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"Ein sehr besonderer Tag"

Serbiens Präsident Boris Tadić erklärte, sein Land werde die Unabhängigkeit des Kosovo niemals anerkennen - auch nach der Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs. Enver Hoxhaj, Bildungsminister des Kosovo, setzt dennoch auf Annäherung.

Enver Hoxhaj im Gespräch mit Christoph Heinemann | 23.07.2010
    Enver Hoxhaj: Guten Morgen!

    Christoph Heinemann: Herr Hoxhaj, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von dem Tenor des Gutachtens hörten und erfuhren, wie die Richter sich entschieden haben?

    Enver Hoxhaj: Ich muss sagen, dass es eine sehr besondere Stunde und eine sehr besonderer Tag war, nicht nur für mich als Mensch und als Politiker, sondern auch für mein Land. In der Stunde und auch an dem Tag habe ich irgendwie eine Vorstellung von all dem vorgestellt, was wir in den letzten 20 Jahren miterlebt haben. Und ich glaube, heute wurde für Gerechtigkeit entschieden und auch für eine langfristige Klarheitsstabilität und gutes Regieren auf dem Balkan.

    Heinemann: Klarheit und Stabilität, sagen Sie – die Serben werden eine Unabhängigkeit des Kosovo nicht anerkennen, das hat Präsident Boris Tadić angekündigt, insofern ändert dieses Gutachten doch nicht viel.

    Enver Hoxhaj: Ich glaube, Gutachten hat das bestätigt, was in den letzten 20 Jahren auf ehemaligem jugoslawischen Boden passiert ist im Sinne, dass der Zerfall Jugoslawiens ein Prozess ja war, der nicht gestoppt werden konnte, und dass bestimmte Nationen einschließlich auch die Kosovaren ihre Rechte haben, als ein kleines Volk dort zu existieren. Wir erwarten nicht von Serbien, dass unser Land und unsere Staatlichkeit anerkennt, aber wir gehen davon aus, dass Serbien vernünftiger wird und langsam eine Art Zusammenarbeit mit anderen Ländern der Region, auch mit Kosovaren beginnt und gleichzeitig daran arbeitet, in bestimmten Jahren uns als einen Staat anzuerkennen, damit wir eines Tages ein Teil Europas sind.

    Heinemann: Dennoch, das Gutachten des Internationalen Gerichtshof ist nicht bindend.

    Enver Hoxhaj: Das war für uns von Anfang ja klar, aber das war eine Frage von serbischer Regierung an den Gerichtshof gestellt, und ich glaube, Serbien hat dadurch auch die einfachste, aber auch gleichzeitig die beste Antwort bekommen. Wir gehen davon aus, dass dieses Gutachten ein Argument für Serbien ja sein soll, dass mit Vergangenheit ja brechen soll und dass es sich auf Zukunft orientiert. Und falls serbisches Leadership wirklich an Europa glaubt, sie sollen nicht mit einem Fuß irgendwo im Kosovo sitzen und irgendwo in Brüssel, sondern sollen sie einfach nur auf europäischen Weg sich fokussieren und das Beste für ihr Volk und ihre Bürger machen.

    Heinemann: Die Serben, Herr Minister Hoxhaj, fordern eine einvernehmliche Lösung. Was stellen Sie sich unter einer solchen Lösung vor?

    Enver Hoxhaj: Die Serben haben in den letzten Monaten mit verschiedenen Lösungen und Szenarien operiert. Sie haben auch von einer Art Trennung, von einer Art Teilung des nördlichen Teils vom Kosovo gesprochen, von einer Ethnität innerhalb des Kosovo gesprochen, eine Art Autonomie. Als kosovarisches Leadership, wir haben 2006 und 2007 bestimmte große Kompromisse gemacht im Rahmen von Verhandlungen von Wien, die von Martti Ahtisaari geleitet worden sind, und alles, was wir wirklich für serbische Minderheiten im Kosovo machen könnten, wir haben gemeinsam mit unseren serbischen Kollegen im Kosovo gemacht. Und jetzt geht es darum, inwieweit wirklich auch bestimmte internationale Akteure und auch Belgrad darauf sehr fokussiert wird, im nördlichen Teil vom Kosovo den Ahtisaari-Plan umzusetzen, da wir als Regierung 90 Prozent des Planes in anderen Teilen umgesetzt haben. Wir haben im letzten November, 2009, Wahlen ja gehabt, es wurden neue serbische meist besiedelten Gemeinden gegründet, und die serbische Minderheit genießt alle Rechte, die eine Minderheit in Europa am besten genießen kann. Und deswegen, wir gehen aus, dass die serbische Regierung diesbezüglich vernünftig verhalten sollte.

    Heinemann: Kleiner Schönheitsfehler – war das der Plan des ehemaligen Vermittlers Martti Ahtisaari wegen der Blockade Russlands nicht vom UN-Sicherheitsrat abgesegnet wurde. Herr Hoxhaj, der Norden des Kosovo wird von Belgrad kontrolliert, Mitrovica ist eine geteilte Stadt – mit welchen Mitteln will sich die kosovarische Regierung dort durchsetzen?

    Enver Hoxhaj: Es bleibt uns eigentlich nichts übrig als Ahtisaaris Plan umzusetzen, dass praktisch nichts anderes nur ein Plan der internationalen Gemeinschaft ist. Und dort werden wir für serbische Minderheiten bestimmte ausweichende Rechte eingeräumt, die keine andere Minderheit in Europa sich vorstellen kann. Und deswegen, wir sind sehr interessiert, dieses Plan umzusetzen. Andere Szenarien sind für uns gar nicht akzeptiert, und der Internationale Gerichtshof hat auch ziemlich klar angedeutet, dass das, was im Kosovo geschehen ist, war ein langfristiger Prozess, ein Prozess, das bestimmte Rationalität sie mitbringt. Und wir bleiben dran, sehr fokussiert bestimmte Empfehlungen des Ahtisaari-Plans umzusetzen, wie wir auch in unserer Verfassung diese Empfehlungen integriert haben, die Teil unseres politischen und rechtlichen Lebens hier sind.

    Heinemann: Heißt das, dass der Norden einen Autonomiestatus erhalten könnte?

    Enver Hoxhaj: Ich glaube nicht, dass das der Fall sein wird. Wir müssen dort nun lokale Wahlen zu bestimmter Zeit mithilfe der internationalen Gemeinschaft organisieren. Und ich muss auch sagen, dass es eine sehr große Bereitschaft von der serbischen Bevölkerung da gibt, Teil des öffentlichen Lebens mit anderen Bürgern in Kosovo zu werden, sei es Albaner, sei es Türken, Bosniaken, Roma und andere Ethnien, die dort leben. Und wir müssen uns weiter den Weg hier machen, das wir vor drei Jahren begonnen haben. Und wir können nicht irgendwie mit bestimmten Szenarien wiederum ja spielen, wie Belgrad – sei es in Bosnien, sei es auf anderen Teilen des Balkans – immer wieder in den letzten 20 Jahren versucht hat zu inszenieren.

    Heinemann: Herr Hoxhaj, die Regierung – Sie kennen den Vorwurf des Kosovo – oder Teile dieser Regierung unter Ministerpräsident Hashim Thaçi gilt als sehr bestechlich. Da arbeiten Leute mit, die vor allem in die eigene Tasche wirtschaften. Wie soll Ihr Land mit einer solchen Truppe auf die Beine kommen?

    Enver Hoxhaj: Im Vergleich zu anderen Staaten auf dem Balkan und Gesellschaften, es gibt einen ganz großen Unterschied, dass wir eine europäische Mission, EULEX, ja haben, das für Rechtsstaatlichkeit in unserem Land sorgt. Natürlich es ist eine Teilung der Gewalten, wie es der Fall auch in anderen Teilen Europas und der Welt ist. Und EULEX hat eine ganz große Unterstützung, sei es vom Premierminister, sei es von der Regierung als Ganzes. Sie sollen mit der Arbeit ja weitermachen. Ich glaube nicht, dass wir von anderen Staaten aus der Region diesbezüglich sehr unterscheiden, aber wir haben eine ganz große Chance, dass wir Rechtsstaatlichkeit dort so einbürgern, das für andere Länder der Region als Modell dienen, und natürlich europäische Unterstützung, und auch EULEX ist sehr willkommen, um seine Arbeit so zu machen, wie es auch geplant worden ist. Und wir brauchen weiterhin die EULEX-Hilfe.

    Heinemann: Letzte Frage: Wo haben Sie so gut Deutsch gelernt?

    Enver Hoxhaj: Ich habe in Wien studiert zwischen '94 und 2000, und ich habe nie irgendwie einen Plan gehabt, in die Politik reinzugehen. Aber wenn man Akademiker auf dem Balkan ist, manchmal muss man Entscheidungen ja treffen, auch in die Politik reinzugehen.

    Heinemann: Enver Hoxhaj, der Bildungsminister des Kosovo, danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Enver Hoxhaj: Ich bedanke mich sehr!