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Ein Seliger wird menschlich

Für seinen Roman über den deutschen Bischof Kardinal Clemens August von Galen, den Papst Benedikt XVI. 2005 seliggesprochen hat, wurde Roland E. Koch von vielen Katholiken angefeindet. Er zeigt einen ernsthaften Mann mit Stärken und Schwächen.

Von Ursula Nowak | 17.01.2012
    Zölibat und Beichtgeheimnis stehen bei konservativen Katholiken an oberster Stelle. Verzicht ist Gebot, um sich allein Gott zu widmen. Der aktuelle Roman "Dinge, die ich von ihm weiß" von Roland E. Koch hat in der katholischen Kirche für Empörung gesorgt. Ja, sogar zu einem Aufruf zum Boykott des Buches, denn der Roman rüttelt an den Grundfesten der konservativ Gläubigen.
    Kardinal Clemens August von Galen ist die historische Grundlage für das umstrittene Buch "Dinge, die ich von ihm weiß". Der Kardinal wurde auch der "Löwe von Münster" genannt, da er sich im Zweiten Weltkrieg mit seinen Predigten gegen das NS-Regime auflehnte. Im Rahmen der katholischen Kirche hat er sich gegen die Judenverfolgungen eingesetzt und vor allem die Euthanasie öffentlich verurteilt. 2005 wurde der Kardinal von Papst Benedikt XVI. seliggesprochen. Das hat den Autor Roland E. Koch veranlasst, diesen Menschen genauer unter die Lupe zu nehmen.

    "Ich hab seine Akten und Briefe und Predigten vor allem gelesen, und er erschien mir dann doch sehr faszinierend dieser Mann und auch ein bisschen verrückt (lacht), ein bisschen schräg. Also, ich hab zum Beispiel erfahren, er konnte nicht mit Messer und Gabel essen, er konnte nicht Fahrrad fahren, er kam aus einer Familie mit 13 Kindern vom Bauernhof, er sprach platt und das hat mich alles sehr beschäftigt. Vor allem aber hat mich bewegt und berührt, als ich gelesen habe, dass er bei einer Predigt auf der Kanzel vor Empörung geweint hat. Und da dachte ich: Dieser Zwei-Meter-Mann, was war das wohl für ein Mensch? Was ging in ihm vor?"

    Roland E. Koch hat die historische Figur neu erfunden. Erzählt wird die Geschichte von Clau - die Abkürzung von Clemens August. Erzählt wird aus der Perspektive der Haushälterin Maria. Zwanzig Jahre nach dem Tode des damaligen Bischofs erinnert sie sich. Wie eine Spionin dringt sie ein in das bischöfliche Palais und beobachtet den Geistlichen. Maria ist rund um die Uhr anwesend, sie hört Gesprächen zu, wenn Würdenträger zu Gast sind, sie bereitet von Galen seine geliebten Bratkartoffeln zu, sorgt sich um seine Schlafstörungen, nichts bleibt ihr verborgen. Nach Feierabend erlebt Maria den Geistlichen privat im Hausanzug. Die beiden tauschen sich über Probleme im Generalvikariat aus und von Galen führt die Bauerstochter in die Welt der Bücher ein. Die beiden kommen sich näher in Gesprächen, dann auch körperlich, sie zeugen eine gemeinsame Tochter, Mechthild. Das Kind darf natürlich nicht sein. Es wird zum Hof von Marias Bruder gebracht, wächst dort auf und erfährt nie, wer seine wirklichen Eltern sind. Maria freut sich über ihr Kind und träumt von einem ganz normalen Familienleben. Der Kindsvater dagegen verstummt und vertieft sich in seine Arbeit. Maria erinnert sich später:

    "Er ist mir bis zum Schluss rätselhaft geblieben, ich habe ihn nicht verstanden und wusste nie, liebt er mich wirklich? Bin ich eine verrückte alte Frau geworden, dass ich auf einmal solche Sachen denke? Was ich damals falsch gemacht habe, wie ich mich hätte durchsetzen können. Ihn hätte ich vieles fragen müssen. Natürlich hätte er über diese Dinge nie gesprochen, so was konnte ich ihm nicht aus der Nase ziehen. Ich dachte damals, wir verstehen uns auch so, schweigend. Ich war sicher, ich wüsste, was er bei mir suchte."

    Eigentlich wäre Maria gerne Lehrerin geworden, doch der Zugang zur Bildung bleibt der Bauerstochter versagt, bis sie den Bischof von Galen kennenlernt. Zum ersten Mal spricht sie mit jemandem, der Bildung hat und ihr diese auch vermittelt. Maria ist wissbegierig, sie ist klug, eine Frau mit Herz und Verstand. Ein halbes Jahr nach der Geburt ihrer Tochter kehrt sie zum Bischof zurück und übernimmt ihre Stelle wieder. Geschickt meistert sie den Spagat zwischen den Aufenthalten bei ihrem Kind und dem bischöflichen Palais. Die politischen Verhältnisse spitzen sich in dieser Zeit zu. Nachdem von Galen anfangs an die wirtschaftliche Erneuerung durch Hitler geglaubt hat, muss er erkennen, dass das NS-Regime menschenunwürdig handelt, er verfasst Predigten, um die Gläubigen aufzurütteln. Und er findet Zustimmung. Doch als sich schließlich eine jubelnde Menge vor dem bischöflichen Palais versammelt, zieht er sich zurück. Er ist ein Mahner, aber kein Revolutionär. Sein Widerstand gipfelt in einer Rede des Schweigens.

    "Ich wartete auf Claus Stimme, auf sein Räuspern, auf seine eintönigen Sätze, aber nichts passierte. Er sah schweigend von der Kanzel herab, mahnend, warnend, mit äußerster Konzentration und Autorität, sodass alle gebannt nach oben blickten, überlegten, verstanden, erschüttert waren... Clau und die Leute hielten lange durch, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde, in der das Schweigen anhielt. Es war wirklich wie eine Ehe zwischen dem Bischof und seinen Gläubigen. Sie sahen ihn an und verstanden ihn."

    Roland E. Koch beschreibt seine Figur als einen "typischen" Westfalen: schwermütig und nachdenklich. Der Bischof demaskiert die gottlosen Ziele der NSDAP und will die Kirche erneuern. Doch er scheitert an seiner Verbitterung. Innerlich ist er aufgebracht, voller Zorn darüber, dass die Kirche sich nicht gegen das Regime stellt. Zuhause knallt er die Türen zu, gelegentlich fliegt auch Porzellan gegen die Wand. Das ist menschlich, auch der Zorn, die Fragen und die Zweifel gegenüber der Kirche. Der Bischof hadert mit Gott.

    "Die Hauptkritiker verstehen das nicht. Die sehen das immer noch als eine Art Sachbuch an und das kann man dann immer wieder sagen, aber das hilft offenbar nicht. Und es hat sich auch gezeigt, bei den Leuten, die das Buch wirklich gelesen haben, die sehen auch, dass ich ja auf der Seite Claus bin, dass ich ihn verlebendigen möchte, ihn vermenschlichen möchte, dass ich ihn ja gar nicht verunglimpfe, sondern dass ich ihn einfach wie einen Menschen mit vielen Seiten zeigen will, mit Schwächen und Macken und nicht als Seligen, nicht als Heiligen, aber als ernsten deutschen Mann in den 30er, 40erJahren, in einer schwierigen Zeit."

    Die politischen Verhältnisse fordern ihren Tribut. Nach der Bombardierung der Kirchen finden nur noch selten Gottesdienste statt. Der Bischof fühlt sich einsam und die Unterstützung von Maria wird für ihn lebensnotwendig. Zum ersten Mal verbringt der Vater Zeit mit seiner Tochter. Es gibt ein paar wenige glückliche Stunden, natürlich heimlich. Immer wieder schreibt Clau an den Papst und hofft auf dessen Hilfe. Doch vergeblich. Nach Beendigung des Krieges wird der Bischof zum Kardinal ernannt. Stoisch nimmt er sein Amt an, aber es verleiht ihm keine neue Kraft. Der große Mann fällt in sich zusammen und wird krank. Er fleht Maria an, bei ihm zu bleiben. Aber Maria hat sich in ihrem Inneren bereits verabschiedet. Sie überwindet ihre Ängste und sie hat ein Ziel: Sie will das Land verlassen. Ihre Hoffnung auf einen Neuanfang macht sie stark. Hin und wieder berät sie den Bischof. Die beiden tauschen sich aus, auch die Beichten hält der Bischof vor Maria nicht geheim. Häufig führt Maria in den Predigten die Feder.

    "In dem Roman ist das so ein Spiel zwischen den beiden, dass sie versucht, ihn dazu zu bringen, dass er seine Predigten so ein bisschen emotionaler macht und dass er mehr auf die Leute eingeht. Und dass er nicht so hölzern redet, wie er das sonst tut. Das ist aber auch ein Spiel so, wie das Ganze ein literarisches Spiel ist zwischen einer erfundenen Figur und einer Historischen und natürlich auch zwischen Mann und Frau und zwischen jemandem, der jetzt ein Würdenträger der Kirche ist und einer einfachen Frau vom Bauernhof."

    Maria wächst über sich hinaus. Sie ist eine starke Frau fernab der Realität dieser Zeit. Roland E. Koch stellt in dem Roman "Dinge, die ich von ihm weiß" eine kluge souveräne Frau dem Geistlichen gegenüber. Er zeichnet das Portrait einer modernen Beziehung, einfühlsam erzählt aus der Perspektive einer Frau. Und Maria erlebt eine enorme Entwicklung von der einfachen Bauerstochter zur emanzipierten Frau. Nach dem Tod von Clau nimmt Maria selbstbestimmt ihr Leben in die Hand und wagt einen Neuanfang. Der Bruch mit Zölibat und Beichtgeheimnis ist der explosive Stoff des Romans, die Emanzipation einer Frau der Subtext. Beides hat konservative Katholiken elektrisiert und die Auflage das Romans in die Höhe schnellen lassen.


    Roland E. Koch: Dinge, die ich von ihm weiß. Roman. Dittrich Verlag, 240 S., 19,80 Euro