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Ein sozialdemokratischer Visionär

Willy Brandt begann seine politische Karriere in Berlin. Er war Bundestagsabgeordneter und Präsident des Abgeordnetenhauses, bevor er am 3. Oktober 1957 zum Regierenden Bürgermeister gewählt wurde.

Von Otto Langels | 03.10.2007
    Willy Brandt: "Ich habe schon, bevor ich gewählt wurde, so viele herzliche Glückwünsche bekommen. Ich danke allen sehr dafür. Ich weiß, ich habe die Unterstützung aus allen Kreisen der Bevölkerung bitter nötig."

    Bemerkte Willy Brandt nach seiner Wahl zum Regierenden Bürgermeister am
    3. Oktober 1957.

    Die bitter nötige Unterstützung, von der Brandt sprach, bezog sich nicht nur auf die schwierige Lage West-Berlins in Zeiten des Kalten Krieges. Der Sozialdemokrat spielte damit ebenso auf die persönlichen Vorbehalte von politischen Gegnern aus anderen Parteien wie auch aus den eigenen Reihen an, gegen die er sich immer wieder zur Wehr setzen musste.

    Willy Brandt, 1913 als Herbert Karl Frahm in Lübeck geboren, fand als Jugendlicher den Weg zur Sozialdemokratie. Vor den Nationalsozialisten nach Skandinavien geflohen, kam er Ende 1946 aus dem Exil nach Berlin. Ein Jahr später war er bereits Berlin-Beauftragter des SPD-Parteivorstandes und gehörte bald schon dem Landesvorstand der Partei an, 1955 wurde er zum Präsidenten des Abgeordnetenhauses gewählt.

    Brandt: "Wir werden von Berlin aus in bescheidener, aber nachdrücklicher Weise unsere Vorschläge unterbreiten, um auch noch im Stadium der Spaltung Deutschlands die Bewegung vom Rhein zurück zur Spree sichtbar werden zu lassen."

    Der politische Aufstieg Willy Brandts in der Berliner SPD verlief nicht reibungslos. Dem pragmatischen Realpolitiker, der seine Partei für neue Schichten öffnen wollte, stand der langjährige Landesvorsitzende Franz Neumann gegenüber, ein Verfechter traditioneller Arbeiterinteressen. Erst nach mehreren Anläufen gelang es Brandt, Landesvorsitzender und Mitglied des Bundesvorstandes zu werden.

    Doch als der Regierende Bürgermeister Otto Suhr im August 1957 starb, wählte das Abgeordnetenhaus Brandt mit großer Mehrheit zu seinem Nachfolger.

    Die Lebensfähigkeit West-Berlins zu bewahren, sah er als vordringlich an:

    "Nämlich die Aufgabe, diese Stadt noch im Zustand der andauernden Spaltung Deutschlands als Hauptstadt zu entwickeln und sie zugleich zu erhalten und wenn möglich noch auszubauen, auch als eine Klammer oder als eine Brücke zwischen den Menschen aus den beiden Teilen Deutschlands."

    Willy Brandt trat angesichts der Spaltung Deutschlands und Berlins für eine bewegliche, unorthodoxe Politik gegenüber der DDR und der Sowjetunion ein, um die Situation der West-Berliner Bevölkerung zu erleichtern. Allerdings war sein Handlungsspielraum eng begrenzt: Die wichtigen Entscheidungen trafen die Alliierten in Washington und Moskau.

    Brandt: "Zunächst wissen wir, dass wir in der Frage der Wiedervereinigung nicht voran gekommen sind, ja dass auch die großen Fragen der internationalen Sicherheit unbeantwortet geblieben sind."

    1958 versuchte der sowjetische Ministerpräsident Chruschtschow, West-Berlin zu isolieren und löste damit eine internationale Krise aus. Sie bot jedoch Willy Brandt die Gelegenheit, entschieden gegen das sowjetische Ultimatum aufzutreten und weltweit Ansehen zu gewinnen. Der Bau der Mauer im Jahr 1961 schließlich war wohl die größte Herausforderung Brandts als Regierender Bürgermeister:

    Brandt: "Der Senat von Berlin erhebt vor aller Welt Anklage gegen die widerrechtlichen und unmenschlichen Maßnahmen der Spalter Deutschlands, der Bedrücker Ost-Berlins und der Bedroher West-Berlins."

    Der Mauerbau fiel in die Zeit vor der Bundestagswahl, zu der die Sozialdemokraten Willy Brandt erstmals als Kanzlerkandidaten nominiert hatten. Brandt stand vor einem Wechsel von der Spree an den Rhein. Der Besuch des amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy 1963 war der letzte Höhepunkt seiner Berliner Amtszeit.

    Kennedy: "”Ich bin stolz, in diese Stadt zu kommen als Gast Ihres verehrten Regierenden Bürgermeisters, der in allen Teilen der Welt als Symbol für den Kampf und Widerstandsgeist West-Berlins gilt.""
    Die letzten Berliner Jahre standen im Zeichen einer "Politik der kleinen Schritte", um die Mauer durchlässig zu machen. Als im Herbst 1966 die Bonner Koalition aus CDU und FDP auseinander brach, verließ Willy Brandt Berlin, um Vizekanzler und Außenminister der ersten CDU-SPD-Bundesregierung zu werden.