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Ein Stück Afrika an der Ruhr

Benin, das schmale Land in Westafrika, ist für viele ein weißer Fleck auf der Landkarte. Dabei gilt es als Vorzeigeland für afrikanische Demokratien. Es gibt ein Mehrparteiensystem und fast ein Drittel der Staatsausgaben fließt in Bildung. Zugleich gibt es aber eine Analphabetenrate von fast 70 Prozent. Regisseure aus Benin waren zu Gast am Theater an der Ruhr.

Von Dorothea Marcus | 18.11.2008
    Alle zwei Jahre findet in Contonou, eine der größten Städte im Benin, das einzige internationale Theaterfestival Westafrikas statt. Und sein Etat von fast einer Million Euro hört sich für afrikanische Verhältnisse sagenhaft an. Drei Theaterformen hätten sich dort in den letzten Jahren besonders entwickelt, berichten die Regisseure aus Benin in Mülheim.
    Tief aus der Tradition kommt etwa der "Griot", aus der alten Kaste der Geschichtenerzähler. Roger Atikpo stammt zwar aus dem Nachbarland Togo, ist aber auch im Benin berühmt. Er spielt auf Französisch und begleitet sich auf der Kora, einem gitarrenartigen traditionellen Instrument. Mit strahlendem Gesicht und feiner Ironie vermischt er alte Märchen mit modernen Elementen, telefoniert mit Gott, erzählt von Einsamkeit, Liebe, aber auch von Armut, Hunger und Inzest. Ohnehin geht es im westafrikanischen Theater häufig um die Frau, um ihre Stellung und Zwangslage. Vor allem beim so genannten "théâtre de sensibilité", dem Aufklärungstheater für die Landbevölkerung. Es kommt ohne viel Sprache aus, sondern lebt vor allem durch Choreografie.

    Das Stück "Sans commentaire" ("Ohne Kommentar") erzählt von einer Frau, deren Mann im Krieg stirbt und die danach für ein besseres Leben das Land verlassen will. Doch die Brüder ihres Mannes mit blauen Schärpen und Kopftüchern lassen sie nicht. Die Frau muss im Familienbesitz gehalten werden, zur Not mit Gewalt. Im Bühnenbild aus traditionellen Grabstelen wehrt sich die Frau schlagkräftig gegen die lästigen Bewerber in Machoposen, die - und das ist richtig komisch - einander voranschicken und danach die Schmach vertuschen. Aber schließlich schaffen sie es natürlich doch. Zum Schluss bleibt die Frau gefangen in der Familie zurück. Der Regisseur Euloge Béo Aguiar:

    "Wie im Voodoo-Kult glaube ich, dass auch Schauspieler in eine Art Trance kommen und von einem Geist geritten werden. Ich mache rituelles Theater. Meine Schauspieler kommen aus verschiedenen Regionen und Stämmen Benins, das ist nicht selbstverständlich in einem Land, in dem es Bildung vor allem an den Küstenregionen gibt. Aber wie kann sich ein Land Demokratie nennen, wenn Frauen nicht die Freiheit haben, über ihr eigenes Leben zu bestimmen? Die Probleme des heutigen Afrika kommen aus solchen Fragen. Wir können also auf der Bühne nicht die reine Schönheit zeigen. Wir müssen die Zuschauer sensibilisieren."

    Es gibt in Westafrika kaum Theaterschulen, selbst im Benin nur eine einzige. Auch geschriebene Texte gibt es kaum im afrikanischen Theater, erst in den 80er-Jahren wurden die ersten Dramen veröffentlicht. Als umso erstaunlicher muss das Stück "Omon-Mi" ("Mein Kind") gelten. Es ist eine ganz neue Form von afrikanischem Kunsttheater. 7 der 62 beninischen Sprachen werden auf der Bühne gesprochen. Das ist etwas Neues in einem Land, in dem Theater bis vor wenigen Jahren fast ausschließlich in der Kolonialsprache Französisch stattfand.

    Und deshalb wird das Stück stets übertitelt, auf interessante Weise: Denn die Übertitel sind ein schwebendes, tiefgründiges Prosagedicht, das zum Bühnengeschehen eine starke poetische Spannung entwickelt. Es geht um eine Frau, die sich weigert, ihr vermeintlich "anormales" Kind verschwinden zu lassen - es wurde mit Plazenta als "falscher Zwilling" geboren. Die bringen im Volksglauben Unglück. Mit aller Kraft setzt sie sich durch und erhält schließlich den Segen des Dorfältesten.

    Die Szenen sind körperlich und atmosphärisch: Hinter einem Vorhang erzählen wiegende und schlagende Schatten von Liebe und Sex, die Geburt ist ein Ritualtanz und dazu steht in den Übertiteln: "In Cotonou bemuttern die Müllberge die Neugeborenen, die Kloschüsseln sind hungriger als die Friedhöfe von Dachau. " Das ist verstörend und atemberaubend, es benutzt afrikanische Traditionen, um sie scharf zu kritisieren. Zum Schluss kommt ein betrunkener, westlicher Mensch auf die Bühne und singt schief Tom Waits. Der Übertitelungstext spricht dazu von den vielen Abtreibungen, die täglich überall passieren. Regisseur Ousmane Aledj ist auch Schriftsteller, Galerist und Herausgeber der wichtigsten Kulturzeitschrift im Benin. Seine Inszenierung machte vor einigen Jahren in ganz Westafrika Furore.
    "Ich beschäftige mich in meinem Theater mit Gewalt und Ignoranz. Ich will nicht die Abtreibung werten. Aber ich will auch zeigen, dass sowohl die Tradition als auch die Moderne Vor- und Nachteile haben. Jede Gesellschaft sollte sich fragen, was sie mit ihren Kindern macht. Und diese Frage ist in Afrika ein hochpolitischer Akt."