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Ein Stück Kuchen von Markus Wolf

Für Lampenfieber sei keine Zeit gewesen, meint Schauspieler Jan Josef Liefers, der vor 20 Jahren bei der Großdemonstration am Berliner Alexanderplatz vier Minuten Redezeit hatte. Als Stasi-General Markus Wolf ihm nach der Rede ein Stück Pflaumenkuchen anbot, habe er gedacht, das müsse das Ende der DDR sein, erinnert sich Liefers.

Jan Josef Liefers im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 04.11.2009
    Silvia Engels: In unserer Interview-Serie zum Mauerfall vor 20 Jahren blicken wir heute auf die Ereignisse des 4. November 1989 in Berlin. In Ost-Berlin demonstrieren die Menschen gegen die SED-Willkürherrschaft. Initiatoren des Protestes sind Vertreter von Künstlerverbänden und der Berliner Theater. Ans Mikrofon tritt ein junger Mann.

    O-Ton Jan Josef Liefers: Mein Name ist Liefers, ich bin Schauspieler. In den letzten Wochen haben Hunderttausende Menschen auf den Straßen unseres Landes das Gespräch eingefordert. Die vorhandenen Strukturen lassen Erneuerung nicht zu. Deshalb müssen sie zerstört werden. Neue Strukturen müssen wir entwickeln, für einen demokratischen Sozialismus. Danke schön!

    Engels: Ein Auszug aus der Rede des Schauspielers Jan Josef Liefers, kurz vor dem Mauerfall. Mittlerweile ist er als "Tatort"-Schauspieler berühmt. 20 Jahre später hat ihn mein Kollege Tobias Armbrüster zu der Zeit damals befragt.

    Tobias Armbrüster: Jan Josef Liefers, wir sprechen über den 4. November 89, die größte Demonstration in der Geschichte der DDR. Der Alexanderplatz, Sie vorne auf der Tribüne am Mikrofon. Hatten Sie Lampenfieber?

    Jan Josef Liefers: Ja, hatte ich. Ich hatte nicht allzu viel Zeit, damit sich das Lampenfieber aufschaukelte, weil ich war ja nicht eingeplant als Redner, habe einen Abend vorher eigentlich erst einen Anruf bekommen, es hätte Hinweise darauf gegeben, dass die üblichen Verdächtigen, die alten Haudegen sich an diesem Morgen versuchen würden, so in die erste Reihe mitzudrängen, das so ein bisschen für sich zu vereinnahmen, die Demonstrationen.

    Es sollte – das war so ein bisschen meine Aufgabe – am Anfang möglichst (ich war gleich als Dritter dran) jemand den vielen Menschen, die da kommen, sagen, dass diese Demonstration nicht die übliche Verarschung ist, wie sie jahrzehntelang vorher in der DDR stattgefunden hatte, sondern tatsächlich eine bestimmte Absicht verfolgt. Ja, das war so ein bisschen meine Aufgabe. Ich sollte mir was ausdenken. "Du hast vier Minuten", hieß es, "und komm morgen früh nicht zu spät." Das war mein ganzes Briefing und da hatte ich eine Nacht Zeit, darüber nachzudenken, was ich überhaupt sagen will.

    Dann morgens in aller Herrgottsfrühe so was wie Lampenfieber aufzubauen, als dieser Platz, dieser Alexanderplatz sich eigentlich minütlich füllte und von Minute zu Minute die Zahl der Menschen sich zu verdoppeln schien – bis heute ist nicht ganz klar, wie viele da waren; die Zahlen schwanken so zwischen 500.000, bis zu einer Million gehen die Schätzungen; nehmen wir mal an, es liegt irgendwo dazwischen -, dann weiß man trotzdem, dass das einfach ein irres Menschenmeer war.

    Armbrüster: Wenn Sie jetzt sagen, da waren einige Redner, die waren umstritten, dann meinen Sie wahrscheinlich zum Beispiel Günter Schabowski vom Politbüro oder Markus Wolf, den Stasi-General.

    Liefers: Richtig, den Stasi-General.

    Armbrüster: Haben Sie denn mit denen gesprochen, als die auch da waren?

    Liefers: Mit Schabowski nicht, aber mit Markus Wolf schon. Der ist mir begegnet. Allerdings hat er mich mehr überrascht, als dass ich ihm begegnet bin, weil ich kannte ihn persönlich nicht und wer so ein bisschen was über ihn weiß, kennt die Legende, die sich um ihn ja rankte.

    Jahrzehntelang war er ein Mann ohne Gesicht, ein Meisterspion, eine wirkliche Legende, ein Mythos. Als ich dann fertig war mit meiner Rede, ziemlich am Anfang, bin ich in so einen kleinen Raum gegangen hinter der Tribüne. Das war so als Aufenthalt gedacht für die Musiker und Redner. Der war leer, da war niemand. Ich habe mich da hingesetzt, wollte einen Kaffee trinken, und dann hörte ich eine Stimme so aus dem Nichts. "Möchten Sie auch ein Stück Pflaumenkuchen?" Ich dreh mich um und da stand Markus Wolf. Der war da seit einigen Jahren schon raus aus der Staatssicherheit, hatte seinen Dienst dort quittiert, wenn man seinen Dienst da überhaupt quittieren kann, keine Ahnung. Jedenfalls war er nicht mehr aktiv und schrieb schon Bücher und so was. Nun stand er da und fragte mich, ob ich ein Stück Kuchen will, und hat mir das dann auch noch gebracht.

    Armbrüster: Haben Sie sich noch mit ihm unterhalten?

    Liefers: Ja, wir haben kurz so ein bisschen geplaudert. Ich gebe zu, ich war etwas befangen und er musste dann gehen, weil auch er hat geredet an dem Tag und ich habe ihm noch ein bisschen zugehört. Er hat das ganz geschickt eingefädelt, erntete aber dann sehr bald Buh-Rufe und Pfiffe.

    Armbrüster: War das für Sie Genugtuung, die Buh-Rufe für Wolf?

    Liefers: Nein. Ganz ehrlich: Als ich diesen Kuchen aß und meinen Kaffee da trank, habe ich eher darüber nachgedacht, was das jetzt zu bedeuten hatte, diese Begegnung, dass der da kommt und mir einen Kuchen hinstellt, und irgendwie dachte ich kurz, das muss das Ende der DDR sein.

    Armbrüster: Sie waren ja, Herr Liefers, auch einer der jüngeren Redner dabei. Viele andere so wie Stefan Heim, Christa Wolf, aber auch Friedrich Schorlemmer, die waren schon seit Jahrzehnten auch als Oppositionelle bekannt. Wie haben die Sie behandelt, da auf diesem umgebauten Lastwagen, von dem man gesprochen hatte?

    Liefers: Da gab es keine Behandlung in dem Sinne. Wir haben uns alle relativ früh getroffen in einem kleinen Kaffee, das hieß Kaffee Espresso am Alexanderplatz. Ich weiß gar nicht, ob es das noch gibt, ich glaube, eher nicht. Da wurde geraucht, ein Kaffee getrunken und der eine oder andere hat sich einen Schnaps eingegossen. Die Älteren kannten sich untereinander. Stefan Heim, ich wusste natürlich, wer das ist, hatte seine Bücher gelesen, aber es gab jetzt da keine Gesprächskontakte. Das war ziemlich straff organisiert. Die Demonstration war überhaupt nur genehmigt worden unter hohen Auflagen, sowohl was Sicherheit, als auch was das Timing anging. Das war auch Stress.

    Armbrüster: War dieser Auftritt für Sie riskant?

    Liefers: Na ja, ich glaube nicht. Ich habe das damals nicht so empfunden und das ist ja auch so ein bisschen der Vorteil, wenn man jung ist und eigentlich keine Ahnung hat. Sagen wir so: Es ist mir leichter gefallen, dort aufzutreten, auf dieser Bühne zu sprechen, es ist mir leichter gefallen, die Beitrittserklärung zum "Neuen Forum" zu unterschreiben, als zum Beispiel später, jetzt, 20 Jahre danach, in einem Buch, in dem Buch, was ich gerade geschrieben habe, darüber zu schreiben. Ehrlich gesagt, das war komplizierter.

    Armbrüster: Sie haben jetzt gesagt, Sie sind dann dem "Neuen Forum" auch beigetreten. Das war ja eine sehr interessante Zeit. Haben Sie in dieser Zeit mal darüber nachgedacht, dass Fach sozusagen zu wechseln und in die Politik zu gehen?

    Liefers: Nein. Nein, das habe ich noch nie in meinem Leben. Mir war damals nicht so bewusst, dass das politisches Handeln bedeutete. Das war eigentlich mehr instinktiv, aus dem Bauch heraus oder so einem vielleicht auch naiven Gerechtigkeitssinn gefolgt. Ich weiß nicht. Schau mal, da kommt jemand mit einer Liste und da steht was drin, dann sagst du, das kann man gar nicht nicht unterschreiben, was hier steht, verdammt noch mal, dann nimmst du einen Stift und unterschreibst es. Dann kommt der nächste Schritt: Plötzlich soll eine Demonstration organisiert werden und plötzlich stehst du vor keine Ahnung, 600.000, 700.000 Leuten und hältst eine kleine Rede. Aber die Schritte, die dahin führen, sind unspektakulärer und die Entscheidung zu sagen, ich gehe jetzt in die Politik – andere haben das ja gemacht; Gregor Gysi hat an dem Tag auch gesprochen, Marianne Birthler ist in die Politik gegangen -, das wollte ich nicht.

    Armbrüster: Mir ist aufgefallen, dass viele Leute erstaunt reagieren, wenn man ihnen sagt, dass Jan Josef Liefers in der DDR groß geworden ist. Wie wichtig ist die DDR heute für Sie?

    Liefers: Vollkommen unwichtig, wobei ich das erklären muss. Die DDR ist für mich, wenn Sie sich einen Kuchen vorstellen und den in gleichgroße Stücke schneiden, dann nehmen Sie ein Stück, halbieren Sie es und das, was übrig bleibt, das ist eigentlich das, was ich mit DDR verbinde. Die DDR ist für mich ein Begriff für ein System, für ein Staatsgebilde, mit dem ich auch damals schon nichts groß zu tun hatte. Das stand halt so mit herum. Aber mein Leben hat, würde ich sagen, nicht in dem Staat DDR stattgefunden, sondern in dem Landstrich, wenn du so willst, mit Menschen und ganz bestimmten Menschen. Dass das System, dass der Staat DDR nicht mehr existiert, ist mir mehr als recht. Was allerdings mein Leben, meine Kindheit, mein Großwerden in Dresden oder mit den Menschen angeht, das ist mir schon wichtig und auf eine gewisse Weise wäre ich auch heute nicht der, der ich bin, wenn ich was weiß ich, in Bielefeld groß geworden wäre.

    Armbrüster: Jan Josef Liefers, vielen Dank für dieses Gespräch.

    Liefers: Gerne!