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Ein Stück über Zukunft von gestern

Zu DDR-Zeiten wurde Stücke von Peter Hacks auf westdeutschen Bühnen inszeniert. "Die Sorge und die Macht" war für den Westen uninteressant und in der DDR verboten. Nun wird dieses Stück am Deutschen Theater Berlin neu inszeniert.

Von Hartmut Krug | 05.09.2010
    Eigentlich gehört Peter Hacks´ umstrittenes Stück "Die Sorgen und die Macht" zu einer in der DDR gern gesehenen Art von Dramatik, den Produktionsstücken. In ihnen wird ein ökonomisches Problem durch die Verbesserung des Arbeiterbewusstseins gelöst, - natürlich unter Anleitung der Partei. Es geht um die Schwierigkeiten beim Aufbau des Sozialismus, der akzeptiert wird, vor allem, wenn das Geld stimmt. Noch bestimmt auch das Geld das Bewusstsein. So übererfüllen die Arbeiter einer Brikettfabrik bei Hacks den Plan, allerdings um den Preis unzureichender Qualität. Die Briketts, für die sie Prämien einheimsen, sind für den Abnehmer, eine Glasfabrik, nicht zu gebrauchen. Wie nun Arbeiter gegen Arbeiter argumentieren und antreten, wie ein Brikettfabrikarbeiter durch die Liebe zu einer Glasfabrikarbeiterin zu neuem gesellschaftlichem Bewusstsein und zu einem emanzipierten Geschlechter-Beziehungs-Verhalten kommt, das wirkt heute nicht sonderlich aufregend und verrät kaum, warum das Stück so heftig von der SED angegriffen wurde. Klar: bei Hacks ändern sich die Menschen und entscheiden ohne die führende Partei. Wohl auch deshalb erreichte ein erster Inszenierungsversuch 1959 am Deutschen Theater nicht das Bühnenlicht, doch die zweite Fassung 1960 wurde 1960 ohne Beanstandungen in Senftenberg gespielt. Die dritte Fassung, 1962 vom Intendanten und Kommunisten Wolfgang Langhoff inszeniert, wiederum am Deutschen Theater, wurde allerdings nach heftigen Vorwürfen abgesetzt, wie auch Intendant Langhoff, und Hacks verlor seine dramaturgische Beraterfunktion.

    Warum man dieses nicht sonderlich gute gestrige Stück heute spielt, das Menschen vor allem als Sprachrohre von Haltungen vorführt, verrät uns die Inszenierung von Jürgen Kuttner und Tom Kühnel nicht. Obwohl sie es überschütten mit einer Fülle von Bezügen, die den Skandal um die Uraufführung kommentieren, von der merkwürdigen aktuellen Renaissance des kommunistischen Dichters Peter Hacks in konservativen Intellektuellenkreisen erzählen und versuchen, die DDR-Geschichte bis in die Nachwendezeit zu beleuchten.

    Das noch deutlich von Brecht beeinflusste Stück spielt am Deutschen Theater meist in Goethes Junozimmer in dessen Weimarer Wohnhaus am Frauenplan, ein Hinweis auf die Entwicklung des Dichters Hacks hin zur Klassik und zum Dichtergenie-Denken. Das ergibt schöne, aber vor allem äußerliche Effekte, wenn die Arbeiter zwischen schmutziger Arbeitskleidung und edlen Biedermeierkostümen wechseln und dabei auch ihre gestisch-mimischen Haltungen verändern. Jürgen Kuttner führt als Moderator durch den Abend, kontextualisiert für das Publikum die Probleme und quasselt sich kabarettistisch durch die Aufführungsgeschichte des Stückes. Leider übernimmt er auch mehrere Schauspielrollen, womit er zum inhomogenen Eindruck des Ensembles beiträgt. Doch es ist anfangs recht witzig, wenn die Schauspieler, während sich die Spielebenen durchschießen, in immer neue Figuren der Zeitgeschichte oder aus dem Stück verwandeln. Original-Texte werden vorgetragen: Ein Mitglied der Kulturabteilung des ZK verdammt das Stück, und Frank Schirrmacher von der FAZ lässt seine wirre Lobhudelei auf Hacks enden mit "er ist unser". Marcel Reich-Ranicki veranstaltet ein literarisches Quartett mit kontroversen Stimmen aus Ost und West, und Biermanns Lied "So oder so, die Erde wird rot" wird vorgetragen, - schließlich hatte Hacks Biermanns Ausbürgerung begrüßt. Ulbricht wettert als bewegtes Wandbild gegen die Inszenierung, und Regisseur Wolfgang Langhoff verliest seine bewegende, zwischen Selbstkritik und Selbstbehauptung schlingernde Erklärung, während leise am Spinett "Die Moorsoldaten" intoniert werden. Dazwischen poltern die Briketts in Goethes Zimmer, ein Fremder will in einer flauen Nachwende-Wessie-Parodie das Haus übernehmen und man tanzt zum Song der DDR-Punkband "Feeling B": "Ich such die DDR und kann sie nicht mehr finden (…) wenn sie zurück käme, würde ich ihr verzeih´n."

    Zum Schluss werden viel zu viele formal wunderbare, aber inhaltlich schlimme und bitterböse Gedichte recht uninspiriert vorgetragen, in denen Hacks nach der Wende über die "finale Niedergangsepoche" jammert, von der Mauer als "der Erdenwunder schönstes" nicht nur ironisch schwärmt und von der Exekution von Bürgerrechtlern fantasiert. Dazwischen gibt es die Szenen aus Hacks´ Stück, bis - anders als im Original - das Arbeiterpaar zu seinem Beziehungshappyend nach der Wende in eine glühende Sonne schreitet. Die überambitionierte, zähe Inszenierung zerfasert sich in dreieinhalb langen Stunden, sie hat kein Timing, keinen Rhythmus und kein klares Thema. Immerhin erhielt sie viel Solidaritätsapplaus.