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Ein stumpfer Stich

Das Wissenschaftsmagazin "Science" sorgt derzeit für Diskussionen: "Science" hatte fingierte Unsinnsartikel an Open-Access-Journale geschickt, die in Dutzenden von Fällen trotzdem akzeptiert worden sind. Die Aussagekraft des "Science"-Tests ist aber umstritten.

Von Bernd Schuh | 16.10.2013
    Auch wenn die Ergebnisse des Selbstversuchs von "Science"-Reporter John Bohannon ernüchternd sind: Daraus zu folgern, dass Open Access eine minderwertige Publikationsform sei, ist zumindest voreilig. Denn Open Access ist nicht gleich Open Access. Die Grundidee, wissenschaftliche Artikel unentgeltlich und unmittelbar jedermann und jederfrau verfügbar zu machen, lässt sich auf ganz unterschiedliche Weise realisieren, betont Dr. Johannes Fournier:

    "Man unterscheidet zur Umsetzung von Open Access grundsätzlich zwei verschiedene Wege, man spricht vom sogenannten goldenen Weg und vom sogenannten grünen Weg des Open Access."

    Fournier ist bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Förderung von Open-Access-Projekten zuständig. Die DFG unterstützt Open Access Publishing, weil sie glaubt, damit letztlich die Qualität von Forschung steigern zu können:

    "Mit dem goldenen Weg bezeichnet man das Verfahren, dass ein Artikel unmittelbar mit seinem Erscheinen in einer Zeitschrift für die Leser über das Internet entgeltfrei zugreifbar ist."

    Der goldene Weg ist also quasi die reine Lehre des Open Access. Ein Verfahren, das den Verlagen, die gedruckte Journale im traditionellen, sogenannten Subskriptionsmodell vertreiben, verständlicherweise nicht schmeckt. Denn ein Artikel, den man nicht kaufen muss, um ihn zu lesen, bringt dem Verleger kein Geld. Deswegen hat sich eine Art Kompromiss herausgebildet, der grüne Weg. Dabei erscheint der Artikel weiterhin auf dem Subskriptionsweg, in einer gedruckten Zeitschrift also, die von Bibliotheken abonniert wird, erklärt Fournier:

    "Aber zusätzlich zu der vom Verlag vorgenommenen Publikation geht ein Autor hin und veröffentlicht seine Autorenfassung dieses Artikels über ein sogenanntes Open-Access-Repositorium, um auf diese Art und Weise zusätzlich zu dem Angebot des Verlages die Möglichkeit zu schaffen, auf diesen Artikel frei zu zugreifen."

    Zwischen dem Erscheinen im gedruckten Heft und der Onlineversion in einer Datenbank verstreicht in der Regel eine gewisse Zeit, um dem Verlag den kommerziellen Vorteil zu sichern. Der "Science"-Reporter John Bohannon hat nun in seiner Auswahl ausschließlich pure Onlinejournale berücksichtigt, also den grünen Weg völlig ausgeklammert. Das wirkt sich zwangsläufig auf das Ergebnis aus. Denn auch auf dem goldenen Weg haben die Verleger Kosten und wollen Geld sehen. Da sie dies nicht über Bibliothekenabos einnehmen können, werden entweder die Autoren selbst oder die Institutionen, für die sie arbeiten, zur Kasse gebeten. Deshalb tummeln sich auf dem goldenen Weg auch Abzocker - Verlage, deren Geschäftsidee einzig darin besteht, eitlen Autoren Geld dafür aus der Tasche zu ziehen, dass ihre Artikel ohne echte kollegiale Begutachtung - das Peer-Review-Verfahren - in einer angeblich wissenschaftlichen Zeitschrift erscheinen. Fournier:

    "Das ist ja auch der Kern der Kritik, auf die Bohannon mit seinem "Science"-Artikel abzielt, dass hier eine Reihe von Verlagen mit obskuren Motiven versucht haben, eine neu entdeckte Goldmine abzugraben, und dass das in der Tat die Standards für das Peer-Review-Verfahren an diesem unteren Ende der Zeitschriften unterminiert hat."

    Wenig überraschend finden sich die Stammsitze solcher unseriösen Verlage nicht selten in Entwicklungs- und Schwellenländern wie Nigeria und Indien. Bohannon hat nun bevorzugt solche Open-Access-Journale angeschrieben, die ohnehin auf einer bekannten schwarzen Liste stehen.

    "Und wenn man einen Artikel bei einer Zeitschrift einreicht, die auf einer schwarzen Liste stehen, weil sie minderer Qualität verdächtigt werden, ist ja auch die Verwunderung nicht so groß, wenn sich tatsächlich bewahrheitet, dass es eine mindere Qualität gibt."

    Psychologen nennen das Selffulfilling Prophecy, Mathematiker Zirkelschluss. Wissenschaftlich unbefriedigend ist auch das völlige Fehlen einer Kontrollgruppe in Bohannons kleiner Testreihe. Hätte eine ebenso große Gruppe von traditionellen Printjournalen vielleicht ähnlich eklatante Mängel offenbart und einen offensichtlich fehlerhaften Artikel ohne größere Korrekturen publiziert? Fournier:

    "Dass es überhaupt keine Unterschiede gibt, kann ich jetzt so tatsächlich nicht sagen. Aber was ja auch allen Lesern dieses "Science"-Artikels bewusst ist, dass es in der Vergangenheit immer wieder Fälle gegeben hat, wo Artikel, die auch in renommierten Subskriptionszeitschriften erschienen sind, für Aufsehen sorgten, weil die Ergebnisse schlichtweg nicht zu halten waren und dann Artikel zurückgezogen werden mussten."

    Interessanterweise ist - laut wissenschaftlicher Studien diesmal - diese Rückrufquote umso größer, je höher das Renommee der betreffenden Zeitschrift ist. Ein weiteres Indiz dafür, dass eher das Begutachtungssystem auf den Prüfstand gehört als der Publikationsweg.