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Ein Symbol, das nachdenklich macht

Zum sechsten Mal hat der Dopingopferhilfeverein (DOH) in dieser Woche in Berlin den Heidi-Krieger-Preis verliehen. Eine in eine Plastik-Pylone verpackte Goldmedaille, die Andreas Krieger, staatlich anerkanntes Dopingopfer, 1986 bei der EM in Stuttgart im Kugelstoßen gewonnen hatte - als Heidi Krieger. Diesmal ging der Preis an zwei ehemalige Trainer aus der DDR - sowie einen Trainer und einen Funktionär aus der Bundesrepublik. Der DOH setzte in der lang währenden Debatte über die Anstellung von Dopingtrainern im deutschen Spitzensport einmal mehr Zeichen.

Von Jens Weinreich | 22.08.2009
    Die Leipzigerin Johanna Sperling, Jahrgang 1932, hat lange überlegt, ob sie mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit geht. Sein hat schon 1963, damals war sie Rudertrainerin, ihre Sportlerinnen schriftlich vor den Gefahren des Dopings gewarnt. Sie schickte den "Sperlingen", wie sie die jungen Frauen nannte, ins Trainingslager der DDR-Nationalmannschaft diese Botschaft:

    "Ich bitte Euch ganz ernsthaft, kein, aber auch kein einziges Mittelchen zu schlucken, das Eure Leistung angeblich steigert, und wenn es als noch so harmlos, als vollkommen unschädlich oder wunderwirkend Euch gepriesen wird. Bitte weißt es zurück, seid stolz darauf und denkt an die kommenden Wettkampfjahre und denkt an Eure Gesundheit. An der eigenen Willensstärke erleidet Ihr keinen Schaden, und davon habt Ihr genügend zur Verfügung. Ich kann Euch Beispiele nennen, welche Auswirkungen solche Mittel der Wettkampfvorbereitung hatten."

    Später hat Johanna Sperling ihre Ruderinnen auch über die Gefahren des anabolen Steroids Oral-Turinabol aufgeklärt. Ihr Brief ist ein sporthistorisches Dokument der Zivilcourage. Johanna Sperling:

    "Das lässt rückblickend doch so ein bisschen Stolz in mir aufkommen, dass ich zu denen nicht gehört habe, die solche fragwürdigen Methoden eingesetzt haben, um zu sportlichen Erfolgen zu kommen. Ich habe mit meinen Sportlern versucht, ehrlich zu trainieren und ich habe meine Aufgabe als Trainer immer darin zu sehen, dass ich von der Methodik, vom Aufbau des Trainings und von der Gestaltung der sportlichen Lebensführung meiner Athleten, dass das meine Hauptaufgabe ist, dass ich meine Sportler nicht nur trainiere, sondern dass ich mich auch darum kümmere, dass sie eine ordentliche Berufsausbildung wahrnehmen, um nach der Zeit des Leistungssports ihren Lebensaufgaben gewachsen zu sein."

    Es waren große Momente, als der Laudator Werner Franke im Berliner Virchow-Klinikum aus dem Brief Frau Sperlings zitierte. Als er die Verdienste der anderen drei Ausgezeichneten ebenso würdigte:

    * Henner Misersky aus Stützerbach, der sich 1985 als Skilanglauftrainer dem Dopingbefehl verweigerte.
    * Hansjörg Kofink aus Rottenburg, der 1972 aus Protest gegen Dopingpraktiken als Bundestrainer Kugelstoßen zurücktrat.
    * Und Horst Klehr, Apotheker aus Mainz, der in den siebziger Jahren im Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) vergeblich gegen die Doper unter Trainern und Funktionären aufbegehrte.

    Hansjörg Kofink war Präsident des Deutschen Sportlehrerverbandes. Er hat sich in diesem Jahr vehement gegen die Vertuschungspraktiken von Sport und Politik und die Anstellung ehemaliger DDR-Dopingtrainer im DLV ausgesprochen. Auch dafür erhielt er die Heidi-Krieger-Medaille.

    "Das ist ein Symbol, das mich sehr nachdenklich macht. Denn wenn man einen Preis für etwas bekommt, was eigentlich selbstverständlich ist, nämlich sich an die Regeln zu halten, dann ist irgendwas nicht mehr in Ordnung. Und was nicht mehr in Ordnung ist, das wissen wir beide ganz genau: Das ist die Welt des Leistungssports bei uns hier und heute. Die ganzen Probleme, die wir heute haben, hängen ausschließlich damit zusammen, dass die Spitze des deutschen Sports in der Wendezeit komplett versagt hat."

    Der Dopingopferhilfeverein hatte viele Sportpolitiker zur Feierstunde geladen, darunter sämtliche Mitglieder des Sportausschusses im Bundestag. Niemand ließ sich blicken. Nur Manfred von Richthofen, langjähriger Präsident des Deutschen Sportbundes, erwies Dopingopfern und Dopingverweigerern die Ehre. Er nennt sie: Vorbilder.

    "Einmal werden Persönlichkeiten ja ausgezeichnet, die Zivilcourage praktiziert haben. Man kann also voller Hochachtung vor ihnen nur sagen, sie hatten den Mut in einer Zeit, wo man ja vonseiten des Staates Anordnungen getroffen hat, die unglaublich waren und hauptsächlich gesundheitsschädlich waren, hatten sie den Mut, dagegen aufzustehen und ihren Aktiven zu sagen: Nehmt keine Mittel, die eventuelle Schäden anrichten können in eurem Körper."

    Henner Misersky, Vater der Biathlon-Olympiasiegerin Antje Misersky, war - wie viele andere - tief beeindruckt vom Brief der Johanna Sperling.

    "Das ist für mich unwahrscheinlich bewegend, wie viel Rückgrat und wie viel moralische Kompetenz diese ehemalige Trainerin an den Tag gelegt hat. Das ist ja ein historisches Dokument. Im Gegensatz dazu ist ja anzumerken, dass diesen fünf durchgewunkenen DDR-Dopingtrainern jegliche ethische und moralische Kompetenz fehlt."

    Monate lang hat Johanna Sperling mit sich gerungen, ob sie die Auszeichnung annimmt, ob sie diesen Teil ihrer Biografie öffentlich macht. Sie war unsicher, wie das in Leipzig bei alten Kollegen ankommen wird. Und hat sich dann doch für die Offensive erschienen.

    "Und dass ich am Ende doch zugesagt habe, war das Motiv, dass ich die Personen nicht vor den Kopf stoßen kann, wenn die sich so einsetzen und wenn die der Auffassung sind, dass eine Lebensauffassung zum Doping im Leistungssport gewürdigt werden muss, dann kann ich das nicht ablehnen."

    Braucht es mehr Worte? Solche Sätze verraten über Johanna Sperling.

    "Dieser Preis beinhaltet für mich, oder so wurde es mir dargestellt, dass es hier einen Personenkreis gibt, der beseelt ist von dem Gedanken gegen das Doping offiziell mit aller Kraft, mit aller wissenschaftlichen Leistung aufzutreten. Und diese Leistung habe ich nicht vollbracht in meinem Leben als Trainer oder als Leistungssportler. Ich bin nicht offiziell gegen das Doping aufgetreten. Deswegen kann ich mich nicht messen mit diesen bisher ausgezeichneten Persönlichkeiten."

    Johanna Sperling war mit Leib und Seele Trainerin. Einen gewissen Punkt aber hat sie nie überschritten. Wenn Medaillen nur noch mit Doping zu erreichen sind, ist das nicht mehr ihr Sport, sagt sie. Und handelte. Sie hat nichts weniger als moralische Integrität bewiesen.