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Ein sympathischer Held

Ahmed will so schnell wie möglich ins Paradies. Der 18-jährige Junge, der mit seiner irischen Mutterm US-Bundesstaat New Jersey aufwächst, will sich ganz und gar Allah verschreiben. Updike gelingt es in seinem Buch "Der Terrorist" lange Zeit den Leser im Unklaren darüber zu lassen, ob seine Religion den liebenswürdigen Ahmed wirklich zu einem Massenmörder machen kann.

Ein Beitrag von Michael Rutschky | 24.09.2006
    Ahmed ist 18 und ein wirklich hübscher Junge - kein Wunder bei der Mischung: Der Vater war ein Student aus Ägypten, hat sich aber bald davongemacht; die irischen Vorfahren der Mutter schlagen sich bei ihr in der entsprechenden Haar- und Hautfarbe nieder. Sie arbeitet als Krankenschwester - doch treiben sie sehr viel weitergehende Ambitionen.

    Eigentlich ist sie Malerin; ständig riecht die ärmliche, leicht verrottete Wohnung nach der frischen Farbe ihres neuesten Bildes, abstrakte Seelenmalerei. Man möchte sich's nicht genauer vorstellen. Man muss das auch nicht. Es genügt zur Charakteristik: Krankenschwester mit künstlerischen Ambitionen, die ihren Sohn allein aufgezogen hat.

    Ahmed charakterisiert es, dass er sich und die anderen gern im unklaren über seinen Nachnamen lässt. Mal heißt er, wie seine Mutter, Mulloy; mal Ashmawy, wie sie verschwundener Vater, der Mutter und Amerika nicht gewachsen war. Ahmed macht gerade den High-School-Abschluss und muss sich entscheiden, wie es in seiner Ausbildung weitergehen soll.
    Auf den High-School-Fluren riecht es nach Parfüm und Körperausdünstungen, nach Kaugummi, unreinem Kantinenessen und nach Stoffen, erwärmt von jungen Körpern - Baumwolle, Wolle und das synthetische Material der Sneakers. Zwischen den Unterrichtsstunden herrscht ein tosendes Hin und Her; der Krach überdeckt als dünne Schicht die darunter brodelnde, gerade noch gezügelte Gewalt. In der Flaute am Ende des Schultages, wenn der auftrumpfende, höhnische Rummel des Aufbruchs sich gelegt hat und nur noch die Schüler, die an Arbeitskreisen teilnehmen, in dem großen Gebäude zurückbleiben, macht sich Joryleen Grant manchmal an Ahmed heran, wenn er in seinem Spind kramt. Er treibt im Frühjahr Leichtatlethik; sie singt im Mädchenchor. Nach den Maßstäben von Central High sind sie beide "brave" Schüler.

    Präsens ist die Erzählzeit, was das Erzählte bannt, stillstellt. Der Leser befindet sich stets an derselben Stelle wie die Erzählung und kann sich deshalb nicht sicher sein, dass sie schon zu einem Ende gekommen ist, das, wie auch immer es sonst ausschaut, immerhin das Erzählen der Geschichte möglich macht.

    Wir befinden uns in der Central High School von New Prospect, New Jersey, das ein Fluss mit seinem prachtvollen Wasserfall beherrscht (Kenner können die Stadt als Paterson, New Jersey, identifizieren, auf das William Carlos Williams, ein Kirchenvater der amerikanischen Moderne, ein buchlanges Poem geschrieben hat, das "The American Experience" gültig zusammenfassen sollte). New Prospect war einst eine reiche Stadt -

    Webereien, Seidenfärbereien, Ledermanufakturen, Fabriken, die Lokomotiven herstellten, pferdelose Wagen und Kabel für die mächtigen Brücken, die sich über die Flüsse und Häfen der mittleren Atlantikküste spannten.

    Aber jetzt verrottet New Prospect seit langem vor sich hin, no new prospects, keine neuen Aussichten für die vielfarbigen Bürger, die hier irgendwie hängengeblieben sind. Wie Mrs. Mulloy, Ahmeds Mutter; Joryleen Grant, die sich für den seltsamen Ahmed interessiert, wird wohl als Pferdchen eines Zuhälters enden, der als Mitschüler Ahmed tyrannisiert und mit Vornamen Tylenol heißt. Einer dieser unglaublich beiläufigen Einfälle John Updikes: Tylenol ist ein Medikament, das der Mutter während der Schwangerschaft wegen des hübschen Namens auffiel, und so gab sie ihn flugs ihrem Sohn. - Und dann gibt es in diesem eingefrorenen Personal noch Jack Levy, 63 Jahre alt, Schülerberater an der Central High School von New Prospect, der ein starkes Interesse an dem rätselhaften Ahmed Mulloy oder Ashmawy nimmt. Als junger Mann wollte Jack Levy Comedian werden; es reichte bloß zum Lehrer. Die Last seines ungelebten Lebens verkörpert Beth, seine Ehefrau, ein Fettsack von ungeheuerlichen Ausmaßen.

    Vor allem charakterisiert es den rätselhaften und braven und ansehnlichen Ahmed Mulloy oder Ashmawy - jeden Tag ein frisches weißes Hemd zu den schwarzen Jeans - , dass er seit früher Jugend fromm ist. Er gehört Allah, der ihm, wie die Formel lautet, näher ist als die Schlagader an seinem Hals. Regelmäßig besucht er den Scheich Rashid, der ihn in der Lektüre des Korans unterweist, in welchem Licht das Amerika der Gegenwart dann erscheint. Viele Szenen verwendet John Updike auf diese Instruktion; er hat sich, wie wir das aus seinen Romanen gewohnt sind, fleißig und sorgfältig eingelesen in den Stoff und weiß ihn episch zu nützen. Aber hier entsteht ein Problem: Die arabischen Koranzitate, die Ahmed erleuchten, erwachen nicht zum Leben in der lateinischen Umschrift. Schon die Ausspracheregeln sind dem Leser unbekannt (sofern er nicht Fachmann ist), und wir verzichten hier auf jeden Zitierversuch. Die Schönheit und Kraft der Koranverse, die Ahmed überwältigen, bleiben unerkennbar, und das mindert bald das Verständnis des Lesers für den jungen Mann.

    Aber bei der Abgangsfeier von Central High für Ahmeds Jahrgang lässt Updike, neben einem katholischen und einem presbyterianischen Geistlichen und einem Rabbi, auch einen Imam auftreten, und dessen Rede kann verdeutlichen, was einen jungen Mann wie Ahmed umtreibt - Updikes Romane sind berühmt für die religiösen Spekulationen, die er zwanglos mit seiner psychologischen und soziologischen Erzählung verknüpft.

    Im Namen dessen, der über das Verborgene wie über das Sichtbare Bescheid weiß! Des Erhabenen! Des Höchsten! Gott ist der Schöpfer aller Dinge! Er ist der Eine! der Allgewaltige! Er hat vom Himmel Wasser herabkommen lassen, und da strömten ganze Wadis mit Wasser, so viel ihnen zugemessen war. Und die Flut trug an der Oberfläche Schaum. Und bei dem, was man im Feuer erhitzt in der Absicht, Schmuck oder Gerät zu erhalten, gibt es Schaum, der ihm ähnlich ist. Was den Schaum betrifft, so vergeht er als Abfall. Was aber das betrifft, was für die Menschen von Nutzen ist, so bleibt es in der Erde. Zu denen, die heute von der Schule abgehen, sagen
    wir: Erhebt euch über den Schaum, den Abfall und erweist euch nützlich auf Erden. Denjenigen, die der gerade Weg in Gefahr führt, rufen wir die Worte des Propheten zu: "Und sagt nicht von denen, die um der Sache Gottes willen getötet werden, sie seien tot. Sie sind vielmehr lebendig."


    Es ist eine große Säuberungs- und Reinigungsphantasie, der Ahmed verfällt, indem er den geraden Weg zu Gott wählt, fort mit dem Schaum, dem Abfall, seiner verschlampten Mutter, der aufreizenden, schon verkommenen Joryleen, fort mit der verrotteten, einst so hoffnungsvollen Stadt New Prospect. Der brave, liebenswürdige Ahmed verfällt einer besonders radikalen Version von Kulturkritik: Das gegenwärtige Leben in den Vereinigten Staaten unterliegt einem umfassenden, alles durchdringenden Schuld- und Verblendungszusammenhang, und John Updike investiert viel erzählerische Arbeit, damit diese Kulturkritik plausibel wird, unabhängig von allen islamischen Einwänden gegen den Westen - diese Kulturkritik hat ja unter seinen eigenen Mitbürgern viele Anhänger und unter den Europäern sowieso. Diese Kulturkritik - am Konsumismus, am Materialismus, am Kapitalismus, am Verrat der Seele an die äußere Welt - ist ein genuines Produkt der westlichen Moderne selber. Der Islam ist das neueste Medium, dessen sich diese Kulturkritik bedienen kann; vor 30 Jahren waren es die Lehren von Mao Tse-tung.

    Jack Levy, den traurigen Schülerberater von 63 Jahren, misslingt es, den liebenswürdigen Ahmed für eine weitere Schulkarriere zu motivieren. Er erwirbt einen Führerschein, der ihm das Fahren von Lastwagen erlaubt, und der Leser schaudert, mit welchem Geschick Updike die Handlungsfäden verknüpft. Ahmed tritt in die Dienste einer Firma namens Excellency, die billige Möbel verkauft. Auf seinen ersten Fahrten begleitet ihn Charlie Chehab, der die Firma zusammen mit seinem Vater, vor Jahren aus dem Libanon eingewandert, betreibt. Wie Ahmed ist Charlie Chehab also einheimischer Amerikaner: Der Terror ist - auf diese Pointe legt der Roman großen Wert - keine Kraft, die unversehens von außen eindringt.

    Auf den gemeinsamen Fahrten instruiert Charlie Ahmed in amerikanischer Geschichte. Sie streifen Orte, wo seinerzeit bedeutende Kämpfe stattfanden beim Krieg der Kolonisten gegen die englischen Kolonialherren. Diese Erde haben die Männer George Washingtons geheiligt mit ihrem Blut, um Freiheit und Selbstbestimmung zu erringen. Lange glaubt der Leser Ahmed in Sicherheit, wenn er sich in der Gesellschaft Charlie Chehabs befindet. Dass der zugleich als Sprachrohr der Kulturkritik am Werbefernsehen, an der korrupten Politik, am ungerechten, ausbeuterischen Kapitalismus, am American Way of Life funktioniert, der Leser meint zu verstehen: So ist das in Amerika. Kein europäischer oder gar arabischer Antiamerikaner übertrifft die Einheimischen in dieser Art von Selbstkritik.

    Schon gar glaubt der Leser den liebenswürdigen, frommen Ahmed in der Gesellschaft Charlie Chehabs ins Sicherheit, als der immer wieder auf Sex zu sprechen kommt, der den 18jährigen zwar intensiv quält, dem er aber, seinen religiösen Vorschriften folgend, keineswegs nachgehen kann. Charlie Chehab verspricht ihm hartnäckig Abhilfe, und tatsächlich wird er für die letzte Nacht bei Tylenol die reizende Joryleen für ihn mieten, die ihrer Aufgabe mit viel Taktgefühl nachkommt. Gemeinsam mit der theologischen Spekulation sind Sexualszenen eine Spezialität von John Updike.

    Irgendwann zeigt sich, dass Charlie Chehab - neben Scheich Rashid, Ahmeds Koranlehrer - der zweite große Verführer ist. Zwar kann er gar nicht heftig genug in der Verehrung George Washingtons schwelgen. Aber dann ist George Washington plötzlich, wie Charlie ausführt -

    Der Ho Chi Minh seiner Zeit. Wir waren die Hamas, wir waren Al-Qaida. (...) Er hat gezeigt, dass in einem Krieg zwischen einer imperialistischen Besatzungsmacht und der einheimischen Bevölkerung- und hier kommen Vietnam und Irak ins Spiel - am Ende die Einheimischen die Oberhand behalten. Sie kennen das Gelände. Sie haben mehr zu verlieren. Sie können nirgendwo sonst hingehen. Entscheidend waren nicht nur die Aktionen der Kontinentalarmee, sondern die der örtlichen Milizen, kleiner, gerissener Grüppchen von Einheimischen überall in New Jersey, die selbständig agierten, britische Soldaten einzeln ausschalteten und wieder in der Landschaft untertauchten - mit anderen Worten, an den Spielregeln des Gegners gemessen, verhielten sie sich nicht fair.

    Oft genug drohte Washingtons Guerilla zu scheitern. Das von Großbritannien unabhängige Amerika wäre gar nicht entstanden.

    Für die Welt wär's vielleicht besser gewesen.

    versucht Ahmed mitzuhalten und bringt eine zentrale Idee der amerikanischen Selbstkritik ins Spiel -

    Dann wäre aus den Vereinigten Staaten so etwas wie Kanada geworden, ungläubig zwar, aber ein friedliches, vernünftiges Land.

    Nach dem zweiten Sieg von George W. Bush kursierte in den einschlägigen Kreisen eine parodistische Landkarte, die all jene Bundesstaaten, welche John Kerry gewählt hatten, gemeinsam mit Kanada als "United States of Canada" auswiesen; den Süden dagegen, der George W. Bush den Sieg brachte, als "Jesusland".

    Unterdessen beginnt Jack Levy, der resignierte jüdische High-School-Mann, eine Liebschaft mit Teresa Mulloy, Ahmeds Mutter, und Updike findet Gelegenheit, seine schönen Sexualszenen zwischen einem 63jährigen und einer 20 Jahre jüngeren Schlampe zu malen. Unterdessen telefoniert Jack Levys fettsüchtige Ehefrau Beth des öfteren mit ihrer Schwester, die in der Hauptstadt Washington in diesem Ministerium arbeitet, das der Sicherung der Heimatfront gegen terroristische Anschläge dient. Ununterbrochen verputzt Beth beim Telefonieren weitere Süßigkeiten und Snacks; viel Beschreibungskunst verwendet Updike auf ihr Körpergebirge, dem sich Jack Levy schon lange nicht mehr sexuell nähert - er wüßte gar nicht, wie.

    Updikes Beschreibungskunst verfährt auch hier einlässlich, liebevoll - die Schmiere, die sich in den Fettfalten sammelt, wird der Leser nicht so schnell vergessen. Er ahnt, daß sich in den Telefongesprächen der fetten Beth mit ihrer Schwester die Gegenkräfte sammeln.

    Charlie Chehab, der Möbelhändler, der so gut erzählen kann, wie George Washington und seine Rebellenarmee operierten, gehört einem Netzwerk an, das die nächste große Untat plant. Der liebenswürdige, fromme, hübsche Ahmed Mulloy oder Ashmawy soll den Lastwagen mit dem Sprengstoff steuern, der in einem Autotunnel New Yorks so explodiert, dass die Wassermassen des Hudson River hereinströmen und die halbe West Side ersäufen. Ahmed weiß, dass er im Augenblick des Attentats ins Paradies eingehen und Allahs Antlitz schauen wird. Er ist ohne Angst und voller Glaubensgewißheit.

    Sollen wir erzählen, wie die Geschichte endet?

    Es gelingt Updike ohne weiteres, den Ausgang so lange wie möglich offen, den Leser im unklaren darüber zu lassen, ob seine Religion den liebenswürdigen Ahmed wirklich zu einem Massenmörder machen kann. Oder ob gerade die Religion ihn davon abhalten und New York retten wird; wie gesagt, in John Updikes Romanen spielten theologische Spekulationen stets eine bedeutende Rolle und trieben das Erzählen an.

    Von den Vorgaben her gelesen, der Zerstörung der Twin Towers am 11. September 2001, hindert Updike nichts daran, eine neuerliche New Yorker Katastrophe auszumalen; 1997 hat er in "Toward the Ende of Time" (deutsch 2000, "Gegen Ende der Zeit") einen amerikanisch-chinesischen Atomkrieg und seine Folgen imaginiert, bis in das städtische Alltagsleben hinein. Doch ist aufregender als die Frage, wie die Sache mit Ahmed Mulloy oder Ashmawy ausgeht, die literarkritische, ob es John Updike wirklich gelingt, uns einen jungen, frommen Selbstmordattentäter plausibel zu machen und nahezubringen.

    Die Aufgabe ist ungeheuerlich - zumal Updike von vornherein die Absicht verfolgt, seinen Helden sympathisch zu malen und uns wegen dieser Sympathie mit seinen Attentatsplänen zu quälen - warum, verdammt, folgt er nicht Jack Levys Karriere-Ratschlägen? Updike arbeitet mit all seiner Erzählkunst daran, die unermeßliche Entfernung zu den Attentätern zu überbrücken. Die Kälte, die mörderische Distanz, die aus den Instruktionen spricht, denen Mohammed Atta und die Seinen gefolgt sind, soll in diesem Roman aufgelöst werden.

    Wenn das Taxi dich zum Flughafen bringt -

    heißt es in den Instruktionen zum 11. September -

    wenn du ankommst, sprich dein Gebet. Und lächle, sei zufrieden, denn du erfüllst eine von Gott geliebte Aufgabe, du wirst das Ende des Tages im Himmel erleben, wo du die Jungfrauen treffen wirst. Wenn du an Bord des Flugzeugs gehst (...), lies deine Gebete. Nimm keine Rache für dich selbst und tue alles für Gott. Halte dich an die Regeln für Kriegsgefangene. Nimm sie gefangen und töte sie, denn Gott sagt: kein Prophet kann Kriegsgefangene haben. (...)
    Wenn du die Ungläubigen siehst, erinnere dich daran, dass die Feinde des Islam Tausende waren, aber die Gläubigen gesiegt haben.


    Nein, das soll Ahmed Mulloy keinesfalls sein, ein kaltes, ferngesteuertes Monster. Wenigstens als Romanleser sollen wir via Einfühlung, Sympathie - oder wie man das nennen will - uns einem solchen Attentäter nahe fühlen. Das ist eben die Aufgabe der schönen Literatur, erregte sich kürzlich während eines Abendessens Lisa, Professorin an einer New Yorker Universität, so hat sie sich in der modernen, bürgerlichen Welt entwickelt: Wenigstens als Romanleser sollst du dir bis ins einzelne vorstellen, wie der andere denkt und empfindet und handelt. Schon gar, wenn er dein Todfeind ist. Das ist Zivilisationsarbeit. Taking the role of the other, wie es der amerikanische Philosoph George Herbert Mead als soziale Basisleistung beschrieben hat. Und das - so die Professorin aus New York City - nehme ich eurem Günter Grass so übel: Daß er nach dem Geständnis gleich abgewiegelt und gemauert hat. Seine Aufgabe als Romanschriftsteller wäre gewesen, uns deutlich vor Augen zu führen, weshalb ein 17jähriger damals die Waffen-SS toll fand!

    Jonathan Raban hat Updikes Roman in der "New York Review of Books"
    attestiert, dass er ein "page-turner" sei, eins dieser Bücher, deren Seiten sich von selber umzublättern scheinen, weil der Leser so intensiv und selbstvergessen folgt. Aber Jonathan Raban hat Einwände:

    "Terrorist" gelingt so vieles - es ist so reich an Szenen glänzend gestalteter Anschauung. Der Roman zieht den Leser in eine fesselnde und spannende Geschichte hinein - weshalb es kleinlich scheint, auf dem einen Punkt herumzureiten, in dem er mißlingt, nämlich via Einbildungskraft die Wurzeln und die Eigenheit des islamischen Kampfes gegen den Westen verständlich zu machen. Weil Updike davor zurückschreckt, der Ideologie, die seinen Plot vorantreibt, wirklich Glaubwürdigkeit zu verschaffen, bleibt das Buch eine zwar teilweise packende, aber letzten Endes doch leere und dünne Geschichte. Wenn der Romanautor bloß mehr Arbeit darauf verwandt hätte, sich in die paranoide und hasserfüllte Welt der Islamisten hineinzudenken; wenn er Ahmed Mulloy intellektuell und emotional reich genug ausgestattet hätte, um seine Treue zum geraden Weg zu Gott mittels rechtschaffener Gewalt zu erklären - "Terrorist" hätte seinen Platz unter Updikes besten Arbeiten gefunden. So betreibt der Roman nur eine kraftvolle, unterhaltsame Werbung um sein Sujet, ohne es wirklich zu erobern, was den Leser enttäuscht.

    Es ist wahr: der liebenswürdige, attraktive Ahmed Mulloyoder Ashmawy nimmt in der Imagination des Lesers keine zwingende Gestalt an - die ihn, den Leser, tief beunruhigen könnte, weil er sich plötzlich einig mit religiösen Massenmördern fühlen müsste.

    Aber vielleicht ist das ganz unmöglich, eine solche epische Vergegenwärtigung des Heiligen, der zum Massenmord bereit ist, um seinem Gott zu dienen. Vermutlich sind all seine Wahrnehmungen längst ausgeblaßt; weder Joryleens saftiger Körper noch die freundliche Nachlässigkeit seiner Mutter noch Jack Levys angestrengte Zuwendung hinterließen noch irgendeine Bewusstseinsspur. Der heilige Massenmörder ist leer, ein weißer Wille.

    Aber eine solche Romanfigur würde keinen Leser engagieren. Die Spannung in John Updikes neuem Roman entsteht, weil wir Ahmed gut leiden mögen und ihm mit Wohlwollen begegnen. Und darin steckt womöglich mehr literarische Arbeit, als ein reiner heiliger Mörder sie gemacht hätte.

    Service
    John Updike: Terrorist. Roman. Übersetzt von Angela Praesent. Reinbek:
    Rowohlt 2006.