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Ein Tempel für die Wissenschaft

Goethe schätzte ihn als Mann von großer Rechtschaffenheit und auch andere sprachen in hohen Tönen von ihm. Der Frankfurter Arzt Johann Christian Senckenberg wollte das Gesundheitssystem seiner Stadt verbessern und gab sein ganzes Geld in eine Stiftung.

Von Martin Winkelheide | 18.08.2013
    "Er ging schnell, doch mit einem seltsamen Schwanken vor sich hin, sodass er bald auf dieser, bald auf jener Seite der Straße sich befand."

    Der Frankfurter Arzt Johann Christian Senckenberg sei ein Mann von großer Rechtschaffenheit gewesen, erinnerte sich Johann Wolfgang von Goethe. Immer gut gekleidet, auf dem Kopf die gepuderte Perücke. Wunderlich aber wirke sein Zickzack-Kurs durch die Straßen.

    "Spottvögel sagten: Er suche durch diesen abweichenden Schritt den abgeschiedenen Seelen aus dem Wege zu gehen."

    Ein geschätzter Arzt – aber immer auf Distanz zu den Frankfurter Stadtoberen. So notiert Senckenberg am 9. Juli 1762 in seinem Tagebuch:

    "Dem Schultheißen Textor und den altesten Schoffen ist (…) alle Unordnung allhier, zuzuschreiben. (…) Sie betreiben alles, um ihren Geldbeutel anzufüllen mit gestohlenem Geld ..."

    Auch wenn von den 40.000 eng und unleserlich beschriebenen Seiten – in Deutsch, Latein, Altgriechisch, Englisch, Italienisch, Französisch – erst ein Bruchteil entziffert ist. Klar ist: Es gab grundlegende Differenzen mit der Stadt. So gründete Senckenberg am 18. August 1763 eine Stiftung mit dem Ziel, die medizinisch-naturwissenschaftliche Forschung, die Ärzte-Ausbildung und das städtische Gesundheitswesen zu fördern. 95.000 Gulden betrug das Startkapital – Vermögen, das er von seinen zwei jung, im Kindbett verstorbenen Ehefrauen geerbt hatte. Lenken sollten die Geschicke der Stiftung vier Ärzte, das "Collegium medicum" und vier Kaufleute, die "Coexecutoren". Im Testament verfügte er:

    "Meine Stiftung soll allezeit separiert bleiben und niemals vermengt mit Stadtsachen, damit nicht die Gewalt darüber in fremde Hände komme, die den heilsamen Endzweck vereiteln."

    Kernstück der Stiftung: die erste Pathologie in Frankfurt - wegen ihrer bühnenartigen Architektur "anatomisches Theater" genannt -, ein Heilpflanzen-Garten, eine Bibliothek und ein Krankenhaus - das Bürgerhospital, so der Senckenberg-Biograf Thomas Bauer.

    "Im ersten Stiftungsbrief ist noch keine Rede von dem Bürgerhospital, das kommt erst im Zusatz zu dem Hauptstiftungsbrief, also zwei Jahre später, 1765, und da ist eben das Hospital für Arme, Bürger und Beisassen der Stadt Frankfurt dabei."

    Die Einweihung des Bürgerhospitals am Eschenheimer Turm erlebte Johann Christian Senckenberg nicht mehr. Am 15. November 1772 stürzte der 65-Jährige vom Baugerüst des gerade fertiggestellten Uhrentürmchens des Spitals.

    Zwei der Stiftung verbundene, aber unabhängige Vereinigungen kamen später hinzu: die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft und der Physikalische Verein. So entstand eine Art Miniatur-Hochschule – lange vor der 1914 gegründeten Johann Wolfgang Goethe Universität.

    "Seine Stiftung ist die erste, die eben auch in so einen wissenschaftlichen Bereich reingeht. Vorher waren die Stiftungen eher auf soziale Zwecke begrenzt. Also es gab Einrichtungen für bedürftige Frauen, vor allen Dingen auch für Kinder. Mit der Idee, eben der Wissenschaft einen ‚Tempel‘ gründen zu wollen, wie er das ja mal formuliert hat, das ist wirklich neu."

    Die Senckenberg-Einrichtungen wuchsen dank der Zustiftungen reicher Frankfurter Bürger. Inzwischen sind sie über die Stadt verteilt: Der Botanische Garten liegt heute hinter dem Palmengarten. Das Bürgerhospital ist Anfang des 20. Jahrhunderts in einen Neubau am Alleenring eingezogen. Seine Büchersammlung ist Teil der Universitätsbibliothek, der Physikalische Verein und die Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft sowie das Naturkundemuseum residieren an der Senckenberganlage.

    Anders als viele andere Stiftungen in Deutschland überstand die "Dr. Senckenbergische Stiftung" die große Inflation von 1923 – wenn auch mit Schwierigkeiten.

    "Man musste da auch zum Beispiel aus der Gemäldesammlung, die ja die Stiftung besitzt, einige Werke verkaufen, um zum Beispiel Kohlen zu besorgen, damit das Krankenhaus weiter beheizt werden konnte."

    Glück – und kaufmännisches Geschick, so Kosta Schopow, Vorsitzender der Stiftungs-Adminstration, sicherten das Überleben von Johann Christian Senckenbergs Vermächtnis.

    "Es gab Werte in Form von Aktien (…) und da sie wahrscheinlich irgendwann unverkäuflich waren und dann später wieder an Wert gewonnen haben, so hat diese Stiftung mit tatsächlichem Geldvermögen sowohl die Inflationszeit als auch den Zweiten Weltkrieg als auch die Währungsreform ganz gut überstanden."