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Ein Theaterstück zum NSU
"Mein deutsches deutsches Land"

Die Geschichte, die Thomas Freyer in seinem neuen Stück "Mein deutsches deutsches Land" erzählt, klingt bekannt, erinnert an den NSU und die Mordserie der drei Rechtsextremisten. Doch wie er es erzählt und bitter weiterdenkt, das ergibt einen beeindruckenden Theaterabend.

Von Hartmut Krug | 05.12.2014
    Das Staatschauspiel Dresden.
    Das Staatschauspiel Dresden. (picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    In seinen Stücken hat Thomas Freyer stets Lebensmodelle und Ideologien auf den Prüfstand gestellt, die in ostdeutscher Nachwendewirklichkeit verortet waren. Und der 1983 in Gera geborene Autor fragte dabei meist auch nach den Ursachen jugendlicher Gewalt. Wobei er statt eindeutiger Erklärungen lieber offene Fragen stellt. Sein neues Stück "Mein deutsches deutsches Land" erzählt eine Geschichte, die stark der des NSU ähnelt. Auch hier gibt es ein jugendliches rechtes Trio, ein Mädchen, zwei Jungen, die aussteigen und eine Mordserie verüben. 16 ausländische Studenten sind die Opfer. Und es gibt Politiker, Polizisten und Verfassungsschützer, die mit allen Mitteln versuchen, diese Morde als unzusammenhängende Taten ohne rechten Hintergrund darzustellen.
    Alles beginnt in der Schule, in der Neuzugang Florian nach dem Unterricht einen Schüler böse zusammenschlägt, weil der ihn beleidigt habe. Schulkameradin Sarah ist beeindruckt:
    Florian: "Was glotzt du so?"
    Sarah: "Hat mir gefallen."
    Florian: "Was?"
    Sarah: "Wie du den fertiggemacht hast. Grad eben. Das hat mir gefallen. Wie der blutet. Guck doch mal."
    Florian: "Scheiße, was willst du hier. Bist du irgendwie bescheuert? (...)"
    Sarah: "Ich wollt dir zugucken. Wollt mal sehen, ob du nur große Töne spuckst."
    Florian: "Ich lass mir nichts sagen. Auch von so einem Spast nicht."
    Zum Trio kommt noch Dominik, der, weil seine Mutter frömmelt, aus Protest im Religionsunterricht kotzt. Genauere Erklärung für den Frust und die Gewalttätigkeit der drei liefert Freyer nicht.
    Kostümbildnerin Barbara Drosihn hat Eltern und deren Freunde überdeutlich als Spießer eingekleidet: In Hausschuhen und zu kurzen Pullundern, die Frauen von Männern in Kittelkleidern gespielt, stehen sie in einer Reihe.
    Rund 30 Figuren bevölkern Freyers Stück, das sich auf drei Zeitebenen bewegt. Gestern ist die Zeit, als sich die drei fanden, die Mordserie findet 2014 im Heute statt, und morgen beginnt laut Textbuch 2020.
    Sechs Schauspieler kämpfen sich im schnellen Kleidungs- und Rollenwechsel durch die Zeiten und das Figurenpersonal. Gespielt wird auf leerer Bühne, auf einem Drehpodest mit steiler Rückwand aus hellbraunen Holzfaserplatten. Immer wenn es sich dreht, verdeckt die Rückwand die sich verwandelnden Darsteller, und schon stehen andere.
    Figuren vor dem Publikum in einer neuen der unendlich vielen Kurzszenen. Die Inszenierung besitzt darstellerischen Schwung und zeigt Phantasie bei ihrem Verzicht auf allzu viele Requisiten. Nicht selten sprechen Personen auf der Bühne mit jemandem, der nur als Live-Großaufnahme auf der Rückwand zu sehen ist. Zwischen den Szenen liefert Jörg-Martin Wagner eine Musik mit fremdländisch-fremdsprachigem Ton, weshalb auch das Deutschlandlied absichtsvoll verfremdet klingt:
    "Musik mit Deutschland, Deutschland über alles."
    Sehr schön, wie die fabelhaften Schauspieler viele Situationen nur spielerisch andeuten, - und wie Regisseur Tilman Köhler den unendlich vielen kleinen Textszenen szenisches Leben einzuhauchen versteht. Auch wenn sich im Verlaufe der zweidreiviertelstündigen Aufführung durch die ewige Wiederkehr des Drehbühneneffekts eine leichte Monotonie einstellt. Vor allem aber brauchte es eine Übertitelung, damit der Zuschauer überhaupt verstand, wer da jeweils in welcher Situation agierte.
    Großen Raum nimmt die politische Ebene ein: Da kämpft ein Kommissar, der vom rechtsradikalen Hintergrund der Mordserie überzeugt ist, gegen seinen opportunistischen Chef, der von "ganz oben" Druck bekommt. Denn weder der Verfassungsschutz noch der Innenminister können oder wollen der Öffentlichkeit rechtsradikale Täter präsentieren. Als bei einem Autounfall des mörderischen Trios Florian umkommt, gibt der Verfassungsschutz Dominik und Sarah neue Identitäten, damit sie für immer aus der Öffentlichkeit verschwinden. Schließlich läuft die Kanzlerwahl mit dem einstigen Innenminister als Kandidaten.
    Am Ende ist der Polizist tot, mit dessen von ihm verkaufter Waffe die Mordserie begangen wurde. Scheinbar Selbstmord, doch der aufrechte Kommissar sagt: "Ich weiß es nicht."
    Vieles, was Freyer erzählt, erinnert uns an den NSU. Doch wie der Autor das leider allzu bekannte erzählt und bitter weiterdenkt, und wie die sechs Darsteller sich durch Rollen und Text kämpfen, das ergibt einen beeindruckenden Theaterabend.