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Ein unbeirrter Querdenker

"Nur schreibend kann man sich von dem Jahrhundert trennen, in dem man geboren wurde", schrieb Nicolás Gómez Dávila. Der kolumbianische Denk-Eremit hasste die Moderne, sah in seinem Jahrhundert nur demokratische Nivellierung, egozentrischen Hedonismus, geistiges Mittelmaß und ästhetischen Zerfall. In seinen Aphorismen betrieb Dávila schwärzeste Misanthropie.

Von Florian Felix Weyh | 07.12.2007
    Er hasste die Moderne, die für ihn gebündelt mit Französischer Revolution und Erfindung der Dampfmaschine begann - Ausdruck von Kräften, die sich, einmal geweckt, nie mehr bändigen lassen wollten. Statt streng katholischer Riten und aristokratischer Umgangsformen sah er, Jahrgang 1913, im 20. Jahrhundert nur noch Roh- und Dumpfheit am Werk, demokratische Nivellierung, egozentrischen Hedonismus, geistiges Mittelmaß und ästhetischen Zerfall. Geschrieben hat er zeitlebens nur für einen kleinen Kreis Vertrauter der kolumbianischen Oberschicht, die man getrost spätfeudalistisch nennen darf. Der Vorgang des Veröffentlichens stieß ihn ab, denn neben der Soziologie lauerte für ihn der Feind aller Wahrheit im Journalismus. Jener Wahrheit, die der radikale Denk-Eremit Nicolás Gómez Dávila am liebsten in jener Form auskristallisierte, die erst kurz vor der Französischen Revolution zu ihrer Blüte gefunden hatte: der Aphorismus. In ein, zwei, maximal drei Sätzen betrieb Dávila schwärzeste Misanthropie, gepaart mit einer Sehnsucht nach Weltverhältnissen, die es historisch nie gegeben hat. Am ehesten spiegeln sie sich in der Mischung aus christlichem Paradies und Platons utopischem Reich des weisen und gerechten Philosophenkönigs wider, in dem selbstlose Klugheit regiert und niemand die Niederungen alltäglichen Wirtschaftens durchschreiten muss.

    "Freiwillig arm oder unfreiwillig reich. Anderes verbittert", notierte der von Geburt an wohlhabende und darum von Erwerbsarbeit suspendierte Unternehmerssohn - ein Standpunkt ex oeconomia. Dieser erlaubte ihm zu demonstrieren, was selbst Gegner an ihm schätzen: eine unglaubliche geistige Autonomie. Kategorien politischer Korrektheit, die während seines Lebens zigfach wechselten, bekümmerten ihn ebenso wenig, wie ihn jemals eine Äußerungsscham bezüglich eines Themas befiel. Non pudeat dicere, quod non pudet sentire, jene Sentenz von Cicero könnte auch über Dávilas Lebenswerk stehen: "Schäme dich nicht zu sagen, was du zu denken dich nicht schämst." Dabei entstanden lustvoll-schmerzliche Sticheleien: "Die Ökologie ist die Schäferspielfassung des strengen reaktionären Textes", schrieb der Kolumbianer der grünen Bewegung ins Stammbuch. Linke Utopien unterminierte er mit scheinbarem Verständnis: "Ich verstehe den Kommunismus, der Protest ist, aber nicht den, der Hoffnung ist." Jener Kirche, die diese Hoffnungen aufnahm, rief er zu: "Der Linkskatholizismus ist die Prätention, Thesen zu taufen, die sich nicht bekehrt haben." Und den Glücksverheißungen liberaler Marktwirtschaften erteilt er ebenfalls eine Abfuhr: "Jede Sache, die rentabel wird, fällt in gemeine Hände." Die Grenze zur Entgleisung scheute Dávila allerdings auch nicht, wenn er elitärem Hochmut freien Lauf ließ: "Die Eugenik entsetzt diejenigen, die ihr Urteil fürchten." Solche Sätze lassen den Erzreaktionär vormoderner Prägung fälschlicherweise als Faschisten erscheinen, wo doch der Faschismus unteilbar der Moderne angehört - aber selbst diese Fehleinschätzung dürfte dem unbeirrten Querdenker gleichgültig gewesen sein.

    Warum sind diese aus der Zeit gefallenen Postulate der allgemeinen Empfehlung wert? Weil Dávila Drogen produziert, die den Leser in einen rauschhaften Ablehnungstaumel versetzen, so wie chemische Drogen rosarote Zustimmung erzeugen. Von letzterer gibt es wahrlich genug, während kathartische Ablehnungsdelirien - man muss seinen Weltekel wenigstens lesenderweise einmal ausleben dürfen - seit Émile Cioran rar geworden sind. Wie alle Drogen lässt sich der schmale Band nur dosiert genießen, was sich freilich von selbst vollzieht. Wie Herausgeber Michael Klonovsky im Nachwort konstatiert, kann man kaum zehn Seiten am Stück lesen, "weil man unentwegt zum Denken gezwungen wird." Das entschärft die Droge zugleich, denn sie wirkt nicht in dumpfen Zonen des Bauchgefühls, sondern stimuliert jene Hirnregionen, in denen Sprachpräzision und Logik beheimatet sind. "Der Aphorismus", gibt Klonovsky Entwarnung, "ist a priori einseitig und gedanklich kurzatmig" So man genügend eigenen Geist mitbringt, ließe das vermuten, kann man die apodiktischen Aussagen widerlegen oder wenigstens ihrer rhetorischen Kniffe überführen. Doch wird, wer nicht an Selbstüberschätzung leidet, rasch kapitulieren. "Die ins Endgültige geschliffenen Aphorismen" (Klonovsky) lassen sich kaum delegitimieren, weil Dávila Welt beschaut, doch keine Weltanschauungspolitik betreibt. Fast programmatisch beginnt die Reclam-Auswahl mit den Worten: "Der erste Schritt der Weisheit besteht darin, fröhlich zuzugeben, dass es keinen Grund gibt, dass unsere Ideen irgendjemanden interessieren könnten."
    Aber inspirieren, amüsieren, bereichern oder verärgern doch. Und das ist schon eine ganze Menge.

    Nicolás Gómez Dávila: "Es genügt, dass die Schönheit unseren Überdruss streift"
    Herausgegeben von Michael Klonovsky
    Reclam Verlag, 168 Seiten, 8,90 Euro