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Ein unbekannter Ernst Bloch

Der Philosoph Ernst Bloch verstand Journalisten als routiniert-verlogene Wahrheitsverkäufer. Er bezeichnete sie als "wesentlich unbeteiligte Zuschauer ihrer eigenen Schreibfertigkeit, im Interesse des Käufers, der Partei oder der Wirtschaftsgruppe des Käufers tätig". Dennoch schrieb auch er viele Jahre für die "Frankfurter Zeitung" insgesamt über 60 ausführliche Texte. Diese sind nun im Suhrkamp Verlag von Ralf Becker herausgegeben worden.

Von Ludger Lütkehaus | 13.11.2007
    "Die Journalisten, von Natur und Amt aus bürgerliche Wesen, sind wesentlich unbeteiligte Zuschauer ihrer eigenen Schreibfertigkeit, im Interesse des Käufers, der Partei oder der Wirtschaftsgruppe des Käufers tätig. Nicht einmal das Geschäft nennt Zeitung beim rechten Namen, sondern jede einzelne bürgerliche Partei, jede wirtschaftliche Klassenvertretung also, sieht sich zu einer angeblichen Allvertretung des Volkes umgelogen. Was sich dieser Art also findet, ist eine bloße Deckung subjektiver und objektiver Leere, oder: wesenslose Menschen geben hier das Wesenlose ihrer Umwelt wieder."

    Der Autor, der da so hart über die "subjektive und objektive Leere", das wesenlose Wesen der routiniert-verlogenen Wahrheitsverkäufer urteilt, als die er "die Journalisten" versteht, war selber etliche Jahre seines schriftstellerischen und philosophischen Lebens Journalist: Ernst Bloch. Nach einem Präludium 1916 hat er von 1927 bis 1934 in der angesehenen "Frankfurter Zeitung" eine Fülle von Feuilletons publiziert, insgesamt über 60 ausführliche Texte, von denen er die meisten wesentlich, unbürgerlich und unverlogen genug fand, um sie später in redigierter Form in die Gesamtausgabe seiner Werke aufzunehmen, beginnend mit den "Spuren", ihrem ersten Band. Berühmt gewordene Texte sind darunter: "Ein alter Krug", ein Vorabdruck aus dem "Geist der Utopie", "Der unbemerkte Augenblick", "Mancherlei Fremde", "Traum von einer Sache", "Geist, der sich erst bildet", "Zum Dritten Reich". Philosophische Essays und Anekdoten verbinden sich mit Natur-, Reise-, Landschafts- und kritischen Zeitbildern, Beiträge zu Literatur, Film, Rundfunk und Musik mit Miniaturen, schlaglichartigen Beobachtungen. Ralf Becker hat jetzt diese Feuilletons, vermehrt um sechs Neufunde, in einem eigenen Band zusammengefasst und kundig kommentiert.

    Bloch hatte die Protektion des Feuilletonchefs Benno Reifenberg und des Redakteurs Siegfried Kracauer gefunden, obwohl der letztere Blochs Buch "Thomas Münzer als Theologe der Revolution" als "unablässiges Dahintaumeln zwischen apokalyptischen Visionen und revolutionärer Propaganda" verrissen hatte. Bloch seinerseits rühmte die "Frankfurter Zeitung" als "Urblatt der Gediegenheit". Ihr bürgerliches Wesen wurde anders als in seiner Journalisten-Schelte nicht rundweg verworfen, im Gegenteil; Bloch an Kracauer:

    "Ich begrüße es, dass Sie in einer großen bürgerlichen Zeitung dem leblosen und kontemplativen Bildungsgeschwätz der Bourgeoisie ein schlechtes Gewissen machen."

    Zum Druck des Essays "Die Angst des Ingenieurs" vermerkt Bloch befriedigt:

    "Viel ist ja schließlich gar nicht weggefallen von antikapitalistischer Tendenz! Ich habe mir das schlimmer vorgestellt. Es lebe doch die Zeitung, in der man so etwas drucken kann."

    Das Lob ist auch in Bezug auf das geschmähte "kontemplative Bildungsniveau der Bourgeoisie" angebracht. Bloch als "Zuschauer der eigenen Schreibfertigkeit" darf dem Feuilletonleser - wohlgemerkt: auf der ersten Seite des Blattes, wenn auch unter dem tagespolitischen Strich - Schwierigkeitsstandards zumuten, die heute nur noch von wenigen Redaktionen toleriert würden.

    Die Mitarbeit an der "Frankfurter Zeitung" ist auch nicht die Ausnahme: Das "Berliner Tagblatt" und die "Vossische Zeitung" zählten ebenso zu Blochs journalistischen Kontakten wie während seines ersten Schweizer Exils 1917/8 die "Neue Zürcher Zeitung" und das von emigrierten Kriegsgegnern herausgegebene "Unabhängige Organ für Demokratische Politik", die stärker tagespolitisch orientierte "Freie Zeitung". Die von Karlheinz Weigand besorgte Bloch-Bildmonographie, die jetzt gleichzeitig mit den Feuilletons aus der "Frankfurter Zeitung" erschienen ist, informiert detailliert und präzise darüber. Das "bürgerliche Zeitungswesen" ist offenbar weniger monolithisch, als Bloch bei seinen Invektiven wahrhat, wie er selber "Spuren" zeigt, die man nicht ohne weiteres bei ihm vermuten würde. Journalismus war weder bloß Nebentätigkeit noch Broterwerb für ihn, sondern "die Forderung des Tages." Beide Bücher erschließen spannungsreiche Zusammenhänge, von denen man vorher kaum wusste.

    Das passt freilich auch zu einer Philosophie, die unter dem Schlagwort "Prinzip Hoffnung" nur trivialisiert in das "kontemplative Bildungsgeschwätz" der Bourgeoisie Eingang gefunden hat. Blochs "Ontologie des Noch-Nicht-Seins", des "Noch-nicht-Bewussten", ist jedenfalls paradoxer, als es sich die kultivierte Schulweisheit träumen lässt. Diese Philosophie entbirgt allenfalls die latente Tendenz des geschichtlichen Werdens im "Dunkel des gelebten Augenblicks", dem selbst ein dunkles Feuilleton nur annähernd Ausdruck geben kann. Ja, dieses Dunkel ist so groß, dass selbst die Frage nach dem noch nicht herausgebrachten Wesen des Menschen und der geschichtlichen Welt zur "unkonstruierbaren Frage" wird, zu schweigen davon, dass sie schon eine Antwort hätte. Allen Bildern des Künftigen zum Trotz, die Blochs "Enzyklopädie der Hoffnung" mit den utopischen und messianischen Traditionen zu antizipieren versucht, gilt das Verdikt, dass man die Verheißung des Noch-Nicht-Seienden am wenigsten mit dem schon Bekannten bebildern darf.

    In einem Feuilleton für die "Frankfurter Zeitung" vom 15. Februar 1929 skizziert Bloch unter dem Titel "Viele Kammern im Welthaus" ohne Rücksicht auf journalistische Deutlichkeitsgebote, dafür in jener unnachahmlichen Diktion, die den Titel "Spuren" tatsächlich verdient, seine überraschend existenzphilosophisch geprägte Phänomenologie des noch Unbekannten.

    "Da draußen rührt sich zu vieles ohne uns. Grünt oder welkt ganz anders dahin, als man denken mag. Ja, schon dies Grün hier kommt nur bei sich vor. Die Blumen duften vielleicht und "träumen", wie man das nannte, aber wer weiß, wozu und worin. Die meisten Tiere leben fern, nicht in unserer Welt. An uns als Kindern sieht es nicht viel gerader aus. Und wieder die Frauen um uns",

    so Blochs kurzer Schluss von den Blumen und Tieren über die Kinder zu den Frauen,

    "sie mögen noch so sehr männliche Sprache als die ihre erlitten, erfahren und schließlich selbst ergriffen haben: an ihnen bleibt Duft aus völlig fremden Gärten genug- Das blanke, üppige Weib, ein gefährliches Fremdwunder, und zugleich die Freundin, das Alter ego im wahrhaft dialektischen Akt der Liebe. ... Kein Begriff ... setzte diesem Übermaß an Rätseln ein Ziel ... Völlig im Nebel, noch ohne Lampe des Begriffs, ist das Subjekt des Existierens überhaupt. Der Weltodysseus ist nicht nur der Philosophie, sondern damit sich selber unbekannt, heißt noch Niemand oder Subjekt ohne Gesicht, Tendenz ohne Materie, sein Ithaka liegt unter dem Horizont."

    Deutlich genug freilich, ja eindeutig, Blochs Urteil in der "Frankfurter Zeitung" vom 22. November 1930 über das, was aus der für ihn utopisch so wichtigen geschichtsphilosophischen Kategorie des "Dritten Reichs" geworden ist:

    "Uralte Gebiete der Utopie werden von Veitstänzern besetzt, die germanische Blutromantik ist beim Kleinbürger angekommen."

    So der hellsichtige Journalist Ernst Bloch.

    Ernst Bloch: Der unbemerkte Augenblick. Feuilletons für die Frankfurter Zeitung 1916-1934. Hrsg. von Ralf Becker. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2007. 399 S., 28,- Euro.

    Bloch. Eine Bildmonographie. Hrsg. vom Enst-Bloch-Zentrum. Bearbeitet von Karlheinz Weigand. Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main 2007, 223 S., Zahlr. Abb., 39,90- Euro.