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Ein Vater ohne jeden Stolz

Hans Albrecht Bethe steuerte wesentliche Erkenntnisse zur Quantenphysik bei, beschäftigte sich mit Fragen der Energieversorgung, arbeitete sich in noch im hohen Alter mit großer Begeisterung in die schwierige Mathematik kosmischer Sternenexplosionen ein. Doch geprägt blieb sein Leben davon, dass er auch am Bau der ersten Atombombe beteiligt war. Am 2. Juli 1906 wurde Bethe geboren.

Von Irene Meichsner | 02.07.2006
    "Es war ein überwältigendes Erlebnis. Das Licht, das so ungeheuer stark war - wir durften nur durch sehr dicke, rußige Gläser es anschauen. Und das von 30 Kilometer Entfernung. Dann die Wolke von Staub, die sich da erhob, ganz sonderbar gespenstisch gefärbt - violett, das waren die radioaktiven Strahlen, die die Luft ionisierten und leuchten ließen. Die erste Reaktion war, dass wir stolz waren, dass wir es fertig gebracht hatten. Die zweite Reaktion war: Um Gottes willen, was haben wir in die Welt gesetzt?"

    Hans Albrecht Bethe, am 2. Juli 1906 in Straßburg geboren, war Chef der Abteilung für theoretische Physik in der Bombenschmiede von Los Alamos, an der Entwicklung der furchtbaren Waffe also wesentlich beteiligt, die im Juli 1945 in der Wüste von New Mexico zum ersten Mal getestet wurde. Jetzt plagten ihn Gewissensbisse:

    "Und das wurde dann verstärkt, als wir die Bilder von Hiroshima sahen, wo das ganze Zentrum der Stadt auf einen Radius, ich glaube beinahe zwei Kilometern, völlig verschwunden war. Und damals haben viele von uns beschlossen, dass wir in Zukunft daran wirken wollten, dass das nicht wieder geschehen sollte."

    Hörte man ihn reden, klang es, als sei er vom Saulus zum Paulus geworden. Doch so eindeutig war das nicht. Bethe wollte etwas gegen die Nazis tun. Er hatte in Deutschland studiert, war zum Zeitpunkt der Machtergreifung Privatdozent in Tübingen und wurde wegen seiner jüdischen Abstammung entlassen.


    "Ich hätte zwar eine Industriestellung bekommen können, aber ich wollte halt reine Wissenschaft betreiben und wollte daher eine Universitätsstellung haben. Also musste ich raus."

    Nach einem Englandaufenthalt lockte ihn ein Professorenposten an die Cornell Universität im US-Staat New York. Was er dort über die Energieerzeugung in der Sonne herausfand, brachte ihm später den Nobelpreis ein. Aber Bethe, seit 1941 amerikanischer Staatsbürger, wusste auch, dass Kollegen, die mit der atomaren Kettenreaktion experimentierten, schon Mitte 1939 an eine Atombombe dachten.

    "Ich hielt das aber für völligen Unsinn und dachte, dass wird gewiss nicht fertig während des Krieges."

    Im Juni 1942 folgte er einer Einladung von Robert Oppenheimer, dem Leiter des Geheimprojekts, nach Los Alamos, und war von der Atmosphäre dort so fasziniert, dass er das militärische Ziel darüber fast vergaß.

    "Ich habe nie in meinem Leben vorher oder nachher so intensiv gearbeitet wie in Los Alamos. Und es war faszinierend auch, weil so viel gute Leute da waren - experimentelle und theoretische Physiker und Chemiker und Metallurgen und so weiter. Und die intellektuelle Atmosphäre war ganz prima.""Nie haben wir gedacht an Tausende, geschweige an Zehntausende. Das war die Sache der Politiker und Militär, nicht unsere."

    Allenfalls einige Dutzend Atombomben habe er sich vorgestellt, sagte Bethe nach dem Krieg. Er wurde Mitglied der "Federation of American Scientists", die gegen die atomare Aufrüstung opponierte. Bethe träumte von einer Rückkehr ins Paradies der reinen Wissenschaft, doch daraus wurde nichts. Er zögerte zwar, beteiligte sich aber, als 1950 der Koreakrieg ausbrach, schließlich auch an der Entwicklung der Wasserstoffbombe.

    "Ich finde nach wie vor, dass es ein schreckliches Unglück ist, dass wir die Wasserstoffbombe entwickelt haben. Und ein großer Teil meines Lebens jetzt und zum Teil bereits seit '45 besteht darin, zu predigen, dass man doch ja nicht so viele Bomben bauen soll und es immer komplizierter und immer raffinierter machen soll. Und davor zu warnen."

    Bethe, der im März 2005 starb, blieb bis ins Greisenalter politisch aktiv. 1995, mit 88 Jahren, forderte er seine Kollegen auf, jede Arbeit an Atomwaffen einzustellen. Und noch ein Jahr vor seinem Tod schaltete er sich - mit 47 anderen Nobelpreisträgern - zugunsten des Demokraten John Kerry in den Präsidentschaftswahlkampf ein. Bethe warnte vor einer Beschränkung der Freiheit der Forschung in den USA - und hielt unbeirrt daran fest, dass die Atomtechnik auch ihre guten Seiten hatte. Geradezu missionarisch trat er für die zivile Nutzung von Kernenergie ein, fast so, als ob er sich davon auch eine Erlösung von Gewissensnöten versprochen hätte.