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Ein vergessener Klassiker

Thema ist Orchestermusik, die im Laufe der Jahre in Vergessenheit geriet. Die Rede ist von Friedrich Witt, einen Musiker der Klassik, dem im 20. Jahrhundert am ehesten wohl noch aufgrund einer Verwechslung eine gewisse Aufmerksamkeit in Musikerkreisen zuteil wurde. 50 Jahre lang spielte man eine Sinfonie von ihm, aber nicht unter seinem Namen, sondern als Jugendsinfonie keines Geringeren als Ludwig van Beethoven.

Von Ludwig Rink | 22.05.2005
    Dieser Fehler ging zurück auf den Jenaer Universitätsmusikdirektor Fritz Stein, einen Schüler Max Regers, der 1909 in seiner Bibliothek die handgeschriebenen Stimmen einer Sinfonie in C-Dur gefunden hatte. Und auf einer dieser Stimmen stand der handschriftliche Vermerk "par Louis van Beethoven". Die Entdeckung war damals eine kleine Sensation, glaubte man doch ein unbekanntes Frühwerk Beethovens aufgefunden zu haben. Fritz Stein gab diese Sinfonie 1911 in Druck, sie wurde jahrelang wiederholt unter Beethovens Namen aufgeführt. Max Reger arrangierte sie vierhändig für Klavier, und die Musikgelehrten beschäftigten sich kritisch mit dem Werk. Die gute Qualität war dabei außer Zweifel, ob aber wirklich Beethoven der Autor war, blieb strittig. Erst Ende der 50er Jahre fand man im thematischen Verzeichnis der Musikalien des Stifts Göttweig in der Wachau die Satzanfänge der umstrittenen Sinfonie mit dem Beisatz "von Friedrich Witt", und nicht lange darauf auch die Stimmen der Sinfonie mit der Autorenangabe Witt. Damit war klar: Diese angebliche Beethoven-C-Dur-Jugendsinfonie stammte von Friedrich Witt. Das führte dann allerdings nicht dazu, den anderen Werken dieses offenbar durchaus mit Beethoven verwechselbaren Meisters erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Hier will jetzt der Dirigent Johannes Moesus Abhilfe schaffen. Ihn haben wir an dieser Stelle schon mit unbekannten Werken von Peter von Winter vorgestellt; sehr aktiv ist er auch in Sachen Antonio Rosetti, dessen Oeuvre er seit 1997 als Präsident der Internationalen Rosetti-Gesellschaft herausgibt und dem er ein spezielles Festival eingerichtet hat. Mit den Hamburger Symphonikern hat Johannes Moesus jetzt also beim Label Dabringhaus und Grimm Friedrich Witts 6. und 9. Sinfonie sowie das Flötenkonzert G-Dur herausgebracht.
    * Musikbeispiel: Friedrich Witt – Minuetto (Ausschnitt) aus der Sinfonie Nr. 9
    Friedrich Witt wurde am 8.November 1770 in Niederstetten geboren. Mit etwa 17 Jahren kam er an den Hof von Oettingen-Wallerstein, um dort seine musikalische Bildung zu vervollkommnen. Er war wahrscheinlich ein Schüler von Antonio Rosetti. Im Wallersteiner Archiv findet sich danach ein Arbeitsvertrag mit Friedrich Witt vom 21. Januar 1790, der besagt, dass Witt mit einem Jahresgehalt von 300 Gulden beim Hoforchester angestellt sei, und zwar als Cellist. Der Fürst gewährte Witt mehrfach Urlaub für Konzertreisen, so etwa nach Potsdam, Ludwigslust und Wien. Wahrscheinlich hielt sich Witt ab 1796 auch einmal für eine längere Zeit in Wien auf. 1802 wurde er dann vom Würzburger Bischof zum Hofkapellmeister berufen. Dieses Amt hatte er bis zur Auflösung der Hofmusik 1814. Zusätzlich arbeitete er ab 1804 im neu gegründeten dortigen Stadttheater als Musikdirektor. Er starb 1836 in Würzburg.

    Der Musiker und Dichter E.T.A. Hoffmann gab sein Debüt als Musikkritiker bei der Allgemeinen Musikzeitschrift mit Rezensionen von Witt-Sinfonien und schrieb: "Was die Zusammenstellung der Sätze, Instrumentierungen betrifft, hat sich Herr Witt als ein gründlich, verständiger Komponist gezeigt." Ernst Ludwig Gerber nimmt ihn 1814 in sein Biographisches Lexikon der Tonkünstler auf mit einer umfangreichen Liste seiner Werke: Oratorien, Opern, Instrumentalkonzerte und "mehrere Sinfonien, wovon seit 1805 zu Offenbach sechs Stücke gestochen worden, welche als Lieblingsstücke in unseren Konzerten aufgenommen sind".

    * Musikbeispiel: Friedrich Witt –3. Satz Rondo aus dem Konzert für Flöte und Orchester

    Gerade dieses Flötenkonzert (Solistin war Susanne Barner) braucht über weite Strecken den Vergleich mit Werken Mozarts nicht zu scheuen. Friedrich Witt bleibt im Stil seinem Lehrer Rosetti ähnlich, entwickelt seine Ausdrucksmöglichkeiten nicht in dem Maße, wie das dann bei Beethoven der Fall gewesen ist, wirkt vergleichsweise traditionell. Aber die Musik macht dem heutigen Hörer rundum Freude, ähnlich, wie es vor etwa 10 Jahren bei der Wiederentdeckung der Musik des Mozart-Zeitgenossen Joseph Martin Kraus der Fall gewesen ist. Die Hamburger Symphoniker schlagen sich wacker, auch wenn manche Details noch nicht in allerhöchster Vollendung gelingen. Auch wäre es einmal interessant, diese Musik auf Originalinstrumenten gespielt zu hören und mit dem Engagement, das Ensembles wie das Freiburger Barockorchester oder Concerto Köln an den Tag legen. Johannes Moesus und die Hamburger Symphoniker vermitteln jedenfalls einen bleibenden Eindruck von den Schönheiten dieser vergessenen Musik.

    Friedrich Witts 6. Sinfonie trägt den Untertitel "Sinfonie turque" und huldigt einer auch bei Mozart und anderen Komponisten der Zeit zu findenden Vorliebe für türkische Folklore oder was man sich so darunter vorstellte. Vor allem in den Ecksätzen der Sinfonie wird durch verstärkten Einsatz von Pikkoloflöte und Schlagwerk exotisches Kolorit erzeugt, Janitscharen-Musik, wie sie auch Mozarts "Entführung aus dem Serail" oder diverse türkische Märsche bietet.

    * Musikbeispiel: Friedrich Witt – Finale aus der Sinfonie Nr. 6

    Friedrich Witt: Orchestral Works
    Susanne Barner, Flöte
    Hamburger Symphoniker
    Leitung: Johannes Moesus
    Label: MDG
    Labelcode: LC 06768
    Bestellnr.: MDG 329 1299-2