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Ein vielschichtiges Bild vom muslimischen Leben in Deutschland

Die Weltanschauung ist hierzulande Privatsache. Deshalb weiß auch niemand so ganz genau, wie viele Menschen ihren Glauben wechseln und beispielsweise zum Islam übertreten: Schätzungen zufolge sind es etwa 5000 im Jahr. Unter ihnen immer wieder auch Anhänger des militanten politischen Islam, die sich ganz dem Dschihad, dem heiligen Krieg, verschreiben. Die Journalistin Cornelia Filter ist der Frage nach den Motiven junger Konvertiten in Deutschland nachgegangen.

Von Jeanette Cwienk | 16.02.2009
    "’Ick liebe Weihnachten’, sagt Amir Mohammed Hartmut Herzog. ‚Warum soll ick damit aufhören, bloß weil ich Moslem jeworden bin? Det is doch der Geburtstag vom Propheten Jesus.’
    Er bittet mich, an einem Tisch Platz zu nehmen, auf dem eine Weihnachtsdecke liegt, darauf ein Adventsgedeck, Schalen mit Christstollen und Domino-Steinen, zwei Gedecke und ein Aschenbecher.
    ‚Sie rauchen?’
    ‚Wat denn sonst? Keen Schweinefleisch, keen Alkohol, ein Laster muss der Mensch doch haben.’"


    Amir Mohammed Hartmut Herzog ist Gründer des Vereins Islamische Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime Berlin & Freunde des Islam. Und er ist Konvertit. Ein Unkonventioneller, ein – wie Autorin Cornelia Filter schreibt - Querkopf. Das macht ihn sympathisch, der Autorin wie dem Leser.

    Etwa, wenn Mohammed Herzog sagt, dass er von einem generellen Kopftuchverbot gar nichts halte. Seine Begründung: Der Koran schreibe das Kopftuchgebot eben nicht generell, sondern nur fürs Beten ausdrücklich vor.

    Bevor er zum Islam konvertierte, war Mohammed Hartmut Herzog Protestant. Über die Arbeit als Jugend-Diakon kam er mit türkischen Jugendlichen in Kontakt und schließlich zu einem Koran auf Deutsch. Um dann verblüfft festzustellen: "Det is ja eigentlich det, wat ick ooch gloobe", erzählt er der Autorin Cornelia Filter.

    "Die ehemaligen Christen, die ich interviewt habe, hatten Schwierigkeiten mit Dreifaltigkeit, die suchten monotheistischen Gott, dann ehemalige Atheisten aus der Ex-DDR, die suchten nach strengen Regeln des Islam, und dann gibt’s auch die, die sich der suffistischen Richtung des Islam zuwenden, dem Suffismus, die dann letztlich ein spirituelles Bedürfnis haben und das dort befriedigt sehen."


    Die persönliche Suche und Auseinandersetzung mit Religion ist für Cornelia Filter nichts Unbekanntes. Gleich zu Beginn schreibt sie über sich selbst, als ehemalige Schülerin einer Klosterschule, die im schwarzen Paderborn mit einem absolut humorlosen Gott aufwuchs. Also solche habe sie einer Dokumentation mit dem Titel "Wwie bringt man Gott zum Lachen?" nicht widerstehen können. Sie handelt von einem Sufi-Orden in der Eifel. Der Suffismus, eine mystische Richtung des Islams, weckt das Interesse der ehemaligen Klosterschülerin Filter. Sie macht sich auf in die Eifel, spricht mit Scheich Hassan Peter Dyck über die Überwindung des Egos und die Hingabe zu Gott als Weg zum Glück. Und sie erlebt das "Großee Dhikr", bei dem sich die Suffis gemeinsam in Trance versenken.

    "Es ist mir aufgefallen, dass wenig Frauen Kopftuch trugen, nur beim eigentlichen Dhikr, wo es um Versenkung in Gott ging – hatten alle ein Kopftuch um, wenn auch ein leichtes und ich war später noch mal bei anderen Suffis in der Niederlausitz – dort war die Gleichheit zwischen Mann und Frau noch stärker, als in der Eifel... das hat mir noch besser gefallen."

    Als kompletten Gegensatz dazu beschreibt die Buchautorin einen Vortrag des Konvertitenpredigers Abu Hamsa, alias Piere Vogel. Bei den Veranstaltungen des jungen Kölners treten regelmäßig Zuhörer zum Islam über. Piere Vogel steht für eine strenge Glaubensausrichtung, ähnlich dem Wahabismus in Saudi-Arabien.
    "Vor dem Eingang sind Schuhe aufgereiht. Männerschuhe. Wo sind die Frauen? Ach, da sind ja ein paar. Die Köpfe mit streng gebundenen Tüchern verhüllt, die Körper unter langen Mänteln verborgen. Ich erschrecke, denn uns nähert sich eine Frau in einer Abbaya, einem schwarzen Körperschleier. Eine schwarze Bone bedeckt den Großteil von Stirn, Wangen und Kinn. So wird das Gesicht entpersonalisiert."

    Die Frau unter dem Schleier ist nicht bereit, Cornelia Filter zu berichten, was sie zum Islam-Übertritt bewogen hat. Piere Vogel dagegen sagt der Autorin zunächst ein Interview zu. Doch nur wenig später ist der Prediger nicht mehr erreichbar, reagiert weder auf E-Mails noch auf Anrufe.

    "Ich musste ihm meine Fragen zuschicken, und ich habe ihn natürlich nach Islamismus gefragt und ich denke, dass er deswegen nicht mehr reagiert hat. Obwohl er, als ich ihn auf einer Veranstaltung getroffen habe, erst ganz offen war, obwohl er so streng ist und eine Richtung des Islam predigt, die ich stark kritisiere, ist er eben so ein netter kölscher Jung, der mal Boxer war und aus ner Kneipe kommt, also ich fand ihn durchaus auch sympathisch."

    Aber eine andere Konvertitin, die Cornelia Filter auf der Veranstaltung kennenlernt, spricht mit ihr. Sumaia, deren griechische Familie seit drei Generationen in Deutschland lebt. Auch sie trägt einen schwarzen Ganzkörperschleier. Früher, so sagt die 18–Jährige, sei sie den ganzen Tag damit beschäftigt gewesen, sich aufzustylen, sei viel auf Partys gegangen. Aber dann habe sie erkannt, dass man sie so gar nicht als Menschen, sondern als Sexualobjekt gesehen habe.

    "Das hab ich häufiger gehört jetzt bei jungen Konvertiten, die sich verschleiern, die eine sagte, ihre Kleidung sei ein Protest für sie gegen den Sexismus in dieser Gesellschaft."

    Manche Konvertiten, berichtet die Buchautorin, sehnen sich nach festen Regeln in einer immer offeneren Gesellschaft. Raschida, Studentin der Islamwissenschaft wurde in der DDR geboren. Heute trägt sie Kopftuch. Die Wende, so erzählt Raschida, empfand sie als bedrohlich. Im Islam habe sie neuen Halt gefunden. Andere, wie Sulaiman Wilms, Chefredakteur der deutschsprachigen "Islamischen Zeitung" sehen in der islamischen Gemeinschaft die bessere Alternative zum profitorientierten, westlichen Wertesystem.
    Cornelia Filter trifft auch Frauenrechtlerinnen, die zum Islam konvertierten.

    "Das hat mich sehr erstaunt muss ich sagen, dass es jetzt zunehmend Frauen gibt, gerade unter den Konvertiten, die anfangen den Koran im Grunde feministisch theologisch zu lesen. Was steht da über Frauen drin, was wird da falsch interpretiert, was wird zum Beispiel auch völlig falsch übersetzt? Es gibt diese berühmte Suche: das arabische Wort, was in der deutschen Übersetzung mit "züchtigt sie, schlagt sei eure Frauen, wenn sie Widerworte geben" - das kann man auch damit übersetzen, "trennt Euch, wenn Eure Beziehung nicht mehr funktioniert."

    Cornelia Filters Buch zeichnet ein spannendes und vielschichtiges Bild vom muslimischen Leben in Deutschland. Etwas zu lang beschreibt sie zunächst die unkonventionellen Konvertiten, wie den Berliner Mohammed Herzog, die aufgeschlossenen Suffis in der Eifel. Aber dann tauchen sie doch noch auf, die neuen Muslime, die uns in den Fernsehberichten begegnen und so fremd erscheinen. Nicht die ganz Radikalen, doch immerhin die Umstrittenen, wie der Kölner Piere Vogel oder wie Sulaiman Wilms, Chefredakteur der "Islamischen Zeitung". Sie lässt die Autorin Stellung beziehen zu Ängsten, die viele Nicht-Muslime umtreiben: Brütet der Islam Terroristen aus, bedroht er unsere Demokratie?

    Wer Cornelia Filters Buch ließt, sollte wissen: Sie ist Feministin – vor allem aus diesem Blickwinkel interviewt und berichtet sie. Mag dieser Fokus hin und wieder zu stark betont erscheinen – er ist wichtig. Denn er steht stellvertretend für die vielen großen Fragen an die muslimische Gemeinschaft: Wie steht sie denn nun zu Gleichberechtigung, Menschenrechten und Toleranz?

    Jeanette Cwienk war das über Cornelia Filters Buch: "Mein Gott ist jetzt Allah und ich befolge seine Gesetze gern". Es ist im Münchner Piper-Verlag erschienen, hat 250 Seiten und kostet 16,90 €.