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Ein von Schweigen und Dunkelheit umgebenes Leben

Georg Trakls Erfolg hielt sich zu Lebzeiten in Grenzen. Nach seiner ersten Gedichtveröffentlichung im Jahr 1908 und seinem 1913 erschienenen ersten Gedichtbuch wurde zwar der unverwechselbare Ton und die in den Gedichten verwendete kräftige Bildsprache sofort bemerkt, aber der Ruhm setzte erst nach Trakls frühem Tod im Alter von 27 Jahren ein.

Von Christian Linder | 03.02.2012
    Eine Welt im Halbschatten, im Herbst, der den "vergilbten Glanz von schönen Sommertagen" in sich trägt, erfüllt von einer "milden Stille" und von "leiser Antwort dunkler Fragen", während sanftes Glockenläuten erklingt - das war Georg Trakls Welt- und Lebensstimmung. Eines seiner berühmtesten Gedichte, "Ein Winterabend", beschreibt diese stille Welt:

    Zitat aus "Ein Winterabend"

    Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
    Lang die Abendglocke läutet,
    Vielen ist der Tisch bereitet
    Und das Haus ist wohlbestellt.

    Mancher auf der Wanderschaft
    Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
    Golden blüht der Baum der Gnaden
    Aus der Erde kühlem Saft.

    Wanderer tritt still herein;
    Schmerz versteinert die Schwelle.
    Da erglänzt in reiner Helle
    Auf dem Tische Brot und Wein.


    Die Glocken haben in Georg Trakls innerem Leben immer wieder geläutet, ohne dass er in ihrer Musik einen wirklichen Trost finden konnte. Seine wahre Lebensmelodie, die sich zunehmend auch in seiner äußeren Existenz ausdrückte, spielte ihm stattdessen von heftiger Selbstzerstörungslust genährte Verzweiflungsbilder vor. Geboren am 3. Februar 1887 in Salzburg als fünftes Kind einer wohlhabenden Bürgerfamilie, wusste Trakl:

    "Ich werde doch immer ein armer Kaspar Hauser bleiben."

    Gegen Ende seines kurzen Lebens - er starb mit 27 Jahren in Krakau in einem Militärhospital an einer Überdosis Kokain - erzählte er einem Arzt seine Krankengeschichte:

    "Als Kind versuchte er sich selbst zu töten. Seit seiner Kindheit schon hat er zeitweise Gesichtshalluzinationen, es kommt ihm vor wie wenn hinter seinem Rücken ein Mann mit gezogenem Messer steht."

    Dem Kind wurde im engeren Kreis der Familie vermutlich zu wenig Sprachaustausch gewährt, sodass der junge Trakl seine ungeheuren Energien immer wieder stauen musste. Ein dunkles Raunen durchzieht seine späteren Gedichte, wenn er auf seine viereinhalb Jahre jüngere Schwester Margarethe zu sprechen kommt, mit der er wohl eine inzestuöse Beziehung unterhielt - "meinem geliebten kleinen Dämon" schrieb er der Schwester im Sommer 1908 als Widmung in Gustave Flauberts "Madame Bovary". Wegen schlechter Leistungen verließ er die Schule ohne Abschluss und absolvierte anschließend ein dreijähriges Praktikum in einer Salzburger Apotheke. Sein Studium in Wien beendet er mit dem Magister der Pharmazie. Damals hatten nicht nur seine Experimente mit Drogen und Alkohol begonnen; er hatte auch zu schreiben angefangen. Von einer französischen Gouvernante - neben der Schwester der einzige Lichtblick in der Familie, mit französischer Lyrik vertraut gemacht, trug er in der Nachfolge Arthur Rimbauds und Charles Baudelaires, aber auch Friedrich Hölderlins der Welt dann sein Kaspar-Hauser-Lied vor:

    Stille fand sein Schritt die Stadt am Abend;
    Die dunkle Klage seines Munds:
    Ich will ein Reiter werden.
    Ihm aber folgte Busch und Tier,
    Haus und Dämmergarten weißer Menschen
    Und sein Mörder suchte nach ihm.


    Ein erster großer öffentlicher Erfolg zeichnete sich ab, als der berühmte Verleger Kurt Wolff 1913 in Leipzig Trakls erstes Buch mit dem lapidaren Titel "Gedichte" publizierte. Sein zweites, 1915 posthum erschienenes Buch Sebastian im Traum konnte er noch zusammenstellen, dann brach - verstärkt auch durch das Erlebnis des Ersten Weltkriegs, in dem Trakl als Militärapotheker verzweifelt war, so wenig helfen zu können - vollends die Depression aus. In seinen Gedichten, die heute als einer der Höhepunkte der deutschsprachigen Lyrik des 20. Jahrhunderts gelten, hat er, auf "die Silberstimme des Windes" lauschend, sein Kaspar-Hauser-Lied zu Ende geschrieben:

    Frühling und Sommer und schön der Herbst
    Des Gerechten, sein leiser Schritt
    An den dunklen Zimmern Träumender hin.
    Nachts blieb er mit seinem Stern allein;

    Sah, dass Schnee fiel in kahles Gezweig
    Und im dämmernden Hausflur den Schatten des Mörders.
    Silbern sank des Ungeborenen Haupt hin.