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Ein Vorbild für liberale Gesetzestexte in Europa

Am 19. März 1812 gab sich Spanien zum ersten Mal eine parlamentarische Konstitution. Die "Verfassung von Cádiz", nach dem Tag ihres Inkrafttretens - dem Josefstag - auch "La Pepa", benannt, blieb zwar nur kurz in Kraft, prägte dennoch die europäische Verfassungsgeschichte.

Von Julia Macher | 19.03.2012
    "Viva la Pepa! "

    Ihren Spitznamen hatte die Verfassung von Cádiz schnell weg. Mit "Viva la Pepa! Hoch lebe Pepa"- feierte man am Tag des Heiligen Josef, des "Pepe" am 19. März 1812, Spaniens erste parlamentarische Verfassung, Sie beruhte auf den Prinzipien der Volkssouveränität, Gewaltenteilung und der politischen Repräsentation.

    "Alle Souveränität liegt in der Nation. Ihr allein steht das Recht zu, sich ein Grundgesetz zu geben."

    Auf der iberischen Halbinsel kämpften Guerrilla-Trupps gegen die französische Armee. Napoleons Bruder, Josef Bonaparte, hielt Teile des Landes besetzt. Die alte Ordnung, das Ancien Regime, war zerstört – und die Verfassung von Cádiz, an der eine von der Zentraljunta einberufene Versammlung zwei Jahre gearbeitet hatte, sollte Spanien nach dem Sieg über Frankreich den Weg zu einer liberalen Gesellschaftsordnung ebnen. Lluis Roura, Verfassungshistoriker an der Freien Universität Barcelona:

    "Die Verfassung von Cádiz hat eine ganz eigene Prägung. An ihr lässt sich der Wille zur Mäßigung ablesen. Sie läutet zwar das Ende des Regimes ein, allerdings nicht auf revolutionärem Weg, sondern durch Reformen. Sie schafft beispielsweise nicht die Inquisition ab, aber proklamiert die Meinungs- und Pressefreiheit - was dazu führt, dass ein halbes Jahr später im Parlament die Abschaffung der Inquisition diskutiert wird."

    Dieser Ansatz machte die Verfassung zum Vorbild für Gesetzestexte in Italien, Griechenland, Mitteleuropa. In Spanien selbst war ihr zunächst nur ein kurzes Leben beschieden. Denn ihre Väter hatten den in französischem Gewahrsam sitzenden König Ferdinand VII. zum Staatsoberhaupt bestimmt, eine Symbolfigur im Kampf gegen Napoleon. Der Bourbone erklärte die Verfassung gleich nach seiner Heimkehr im März 1814 für null und nichtig und führte das Land zurück in einen rigiden Absolutismus. Wer aufbegehrte, wurde gefoltert und hingerichtet. 1820 zwang ein Militäraufstand den Despoten, die Verfassung von Cádiz doch noch zu unterzeichnen.

    "Trágala!" "Schluck sie!" spotteten Ferdinands Feinde. Acht Jahre nach ihrer Verabschiedung erhielt "La Pepa" so eine zweite Chance, allerdings unter neuen politischen und gesellschaftlichen Vorzeichen. Die Liberalen hatten sich unter dem Druck der absolutistischen Verfolgung gespalten und bekämpften sich im Parlament vehement; Kriegskosten und die Ablösung der lateinamerikanischen Kolonien belasteten die Staatskassen.

    "Die Radikalisierung zwischen den verschiedenen Fraktionen behinderte das politische Geschäft, aber in erster Linie endet das liberale Triennium durch eine erneute Wiedereinführung des Absolutismus. Die Geschichte von 1814 wiederholte sich. Abermals spielte Ferdinand der VII. dabei eine verheerende Rolle: Als ihm keine andere Möglichkeit geblieben war, hatte er sich als Verteidiger der liberalen Ideen präsentiert, bloß um sofort wieder dagegen zu intrigieren."

    Die Heilige Allianz sagte Ferdinand dem VII. auf dem Kongress von Verona ihre Unterstützung zu; im Frühjahr 1823 marschierte ein französisches Heer, die "100.000 Söhne von Ludwig dem Heiligen", ein. Wieder begann ein Rachefeldzug gegen die Liberalen, wieder wurde die Verfassung von Cádiz aufgehoben – diesmal endgültig. Erst in den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts, nach Ferdinands Tod und einem blutigen Bürgerkrieg, kam das Ende des Ancien Regime – mit genuin liberalen Reformen wie der Desamortisation, also der Aufhebung der Grundherrschaft und dem Verkauf kirchlicher Ländereien.

    "Die Verfassung von Cádiz blieb während des gesamten 19. Jahrhunderts der Bezugsrahmen. Sie hatte die Weichen für eine neue Gesellschaft gestellt und die Notwendigkeit einer Landreform und neuer Produktionsbedingungen als Erstes sichtbar gemacht. In ihr verankerte Werte wie das Recht auf Eigentum, Erziehung und Gleichheit vor dem Recht haben nichts von ihrer Aktualität eingebüsst."

    Gut möglich, dass sich im krisengezeichneten Spanien der ein oder andere von "La Pepa" auch für die Gegenwart Inspiration erhofft: In der 200 Jahre alten Verfassung ist als Staatsziel das Glück der Nation verankert.