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"Ein wahnsinniger Liebesfilm"

In dem ARD-Film "Die Auslöschung" spielt Klaus Maria Brandauer einen alternden Kunsthistoriker, der sich noch einmal verliebt. Doch das Glück wird von einer Demenz-Diagnose überschattet.

mit Eric Leimann | 08.05.2013
    Wie Klaus Maria Brandauer sich als 70-Jähriger dabei gefühlt hat, einen Demenzkranken zu spielen, das verrät er im Corso-Gespräch.

    Klaus Maria Brandauer: Ich habe mich mein Leben lang mit sehr komplizierten Texten und Figuren auseinandergesetzt, also das ist jetzt nicht eine Ausnahme, sondern das ist natürlich etwas, wo man einen Zugang finden muss und das muss ein sehr persönlicher Zugang sein, weil man kann sich ja nicht medizinisch so weit weiterbilden - was heißt weiterbilden, überhaupt bilden - dass man jetzt über die Krankheit bescheid weiß. Mich hat sehr interessiert, wie reagieren Menschen - und das weiß ich aus meinem Leben - auf Krankheit. Und sehr oft habe ich die Erfahrung gemacht, dass man sich fast ein bisschen geniert, dass der Papa jetzt das hat und die Mama das. Und manchmal soll es sogar eine ganz schwere Krankheit und vielleicht auch tödlich ausgehen und so. Seit Jahrtausenden wissen wir, dass wir auf die Welt kommen und das Ende unseres Daseins ist der Tod. Und dazwischen kann einem alles passieren: Husten und Keuchhusten und Mumps und Unfälle. Und auch schwere Krankheit mit einem letalem Ausgang.

    Eric Leimann: Sie haben einen persönlichen Zugang gesucht. Wie war der Zugang für Sie, wie haben Sie den gefunden?

    Brandauer: Ich habe mir einfach vorgestellt, dass ich - wie soll ich sagen - ausrinne. Dass ich langsam eigentlich das, was man den Lebenssaft nennt oder das Wasser, aus dem wir ja auch zum großen Teil bestehen, dass das einfach versiegt. Und so habe ich versucht, mich der Sache zu nähern - aber das ist nicht das Wichtigste. Das Wichtigste ist ein wahnsinniger Liebesfilm. Ein alter Sack trifft noch mal eine Frau, in die er sich verknallt. Er bleibt dann gleich die Nacht zusammen. Und es wird das, was man eine richtig tolle Zuneigung, eine richtig tolle Beziehung nennt. Und mit der Familie stimmt alles, die Kinder sind da und der Enkel ist da und auf einmal - Nachricht: Sie sind wahrscheinlich erkrankt an Demenz. Ja, da weiß man, was es geschlagen hat. Man weiß nicht, wie lange es dauern wird, wie lange man noch Zeit hat, aber eines ist klar: Es endet fürchterlich, tödlich.

    Leimann: Es gibt ja die Theorie, der ziemlich viele Leute nachhängen, dass es eigentlich keine selbstlose Liebe gibt, dass man liebt, weil man sich in den Anderen positiv spiegelt. Nun kann man sich in einem Menschen, der einen selbst vergisst, der sich selbst vergisst, der alles vergisst, nicht mehr positiv spiegeln. Ist dann eine wirkliche Liebe noch möglich?

    Brandauer: Wieso können Sie sich nicht positiv spiegeln? Ich glaube das schon. Aber - etwas zur Liebe. Das wird sehr schnell gebraucht: Ich liebe dich, ich liebe Pudding und liebe auch Fußball. Also Liebe heißt im Klartext, für einen anderen Menschen auf der Welt sein. Ich sage nicht, dass das ein wünschenswerter Zustand ist. Aber Liebe ist das ja, was wir meinen unter Liebe, im Allgemeinen nicht. Sondern das ist ja eher ein - die Amerikaner, ich habe das heute schon mal gesagt - würden sagen im Englischen: Das ist ein Deal. Also, man lässt sich aufeinander ein. Machst du das, was ich nicht will, dann mach ich das - und das sind sicher nicht die schlechtesten Verbindungen, das sind nicht die schlechtesten Ehen. Aber wirkliche Liebe ist das, was eigentlich sich... .Bewahrheiten muss sich eine Liebe nicht. Die muss sich auch nicht beweisen, sondern die muss es sein. Das muss da sein. Judith ist, nachdem man sieht, wie es dem Ernst geht, da. Und sie ist da, solange der Ernst lebt. Mit allen Konsequenzen. Und das ist schon vice versa. Es ist sogar möglich, einen Menschen zu lieben, der einen nicht wiederliebt.

    Leimann: Das wird ja dann oft als krankhaftes Lieben, als Stalking bezeichnet - heutzutage ...

    Brandauer: Ja gut, man muss sich ja nicht ganz, ganz schlimm benehmen, und da jeden Tag anrufen und Fallen stellen und alles mögliche. Nein, das ist möglich. Aber es ist natürlich eine schöne Sache, mit vier Augen durchs Leben zu gehen. Auch wenn dann plötzlich einer weiß, dass zwei Augen irgendwann sich auslöschen.

    Leimann: Sie würden also sagen: Die wahre Liebe ist selbstlose Liebe?

    Brandauer: Ich würde das schon sagen, ja. Ich würde sagen: Liebe. Wir brauchen nicht "die wahre". Wir brauchen nicht die Umschreibung. Liebe heißt eigentlich: selbstlos. Lieben heißt, jemanden lieben, von dem man nicht zurückgeliebt wird. Aus! Aber das ist in unserem Fall nicht der Fall. Es ist, hoffentlich spürt man das (lacht), eine richtige leidenschaftliche, sehr, sehr harmonische Beziehung.

    Leimann: Die Krankheit Alzheimer oder Demenzerkrankung an sich ist ja mit sehr großer Angst belegt bei vielen Leuten. Wäre bei Ihnen die Angst größer vor so einer Erkrankung oder - ich sage mal - körperlicher Erkrankung in Anführungszeichen - mit wahrscheinlich tödlichem Ausgang?

    Brandauer: Ich weiß, was uns im Leben erwarten kann und bin nicht darauf vorbereitet. Aber ich weiß, dass das passieren kann. Und da macht man sich seine Gedanken, wie wird das sein? Und man hat ja auch Beispiele genug: im Freundeskreis und auch in der Verwandtschaft. Man wird immer mehr und mehr, je länger man lebt, einfach damit konfrontiert. Ich würde nicht sagen, man lernt das. Aber man kann damit umgehen. Und das Entscheidende ist, dass das Leben trotzdem Vorrang hat. Solange man lebt und solange es möglich ist, muss man mit allen Menschen, besonders wenn man eng mit ihnen verbandelt ist oder sie sogar liebt, versuchen, das Leben zu ermöglichen. Alles zu tun, dass das geht. Und immer irgendwie den Versuch unternehmen, alles zu mobilisieren, dass eine vorübergehende Linderung, ja vielleicht sogar Besserung eintreten kann. In diesem Fall ist es sehr, sehr schwer und da kommen einem halt allerlei mögliche Gedanken, nicht? Unsere Gesellschaft ist ja nicht dazu angetan, dass sie sich freut, wenn Menschen sich selber umbringen. Und das finde ich auch richtig so. Aber es muss einen Bereich geben, bei jedem Menschen, wenn er alleine ist, darüber nachzudenken: Will ich das auf mich nehmen, was mich erwartet? Und das ist ja ungeheuerlich! Wenn ein Mensch sich nicht mehr erinnern kann, gar nicht mehr, vollkommen ausgeronnen ist, gibt es ihn nicht mehr.

    Leimann: Müsste man den Menschen in unserer Gesellschaft mehr auf das Sterben vorbereiten? Wird es zu sehr tabuisiert, die Beschäftigung mit dem eigenen Sterben?

    Brandauer: Im Gegenteil. Das Sterben wissen wir. Das Entscheidende ist: Wir müssen sie aufs Leben vorbereiten. Das Leben muss ein Fest sein - auch wenn es Schwierigkeiten gibt. Das Leben muss so ausgeschöpft werden, wie es nur irgendwie geht. Dazu gehört Zuneigung, Herzensbildung. Nicht Bildung, Bildung ist auch nicht schlecht, im Gegenteil ist fantastisch, aber zumindestens Herzensbildung und eine gewisse Solidarität mit allen Menschen, die leben. Und ein Bewusstsein, dass alle, die gelebt haben, jetzt leben und leben werden, miteinander verwandt sind. Also auch wir mit allen (lacht). Und mit großen Geistern und kleinen und dass wir uns freuen, dass wir bei so einer Spezies mit dabei sind. Und dann können wir das ganze Leben selbstverständlich dem Zufall überantworten, wenn wir an nichts glauben oder wir können es dem Schicksal überantworten, wenn wir ein bisschen agnostisch, ein bisschen doch glauben oder so oder an Gezeiten und Gestirne und Weltgeist glauben oder - wir begeben uns in Gottes Hand. Es ist mir alles recht, es kann jeder machen, wie er möchte. Nur das Bewusstsein, darüber nachgedacht zu haben und erfreut darüber nachzudenken. Weil das andere, die Tatsachen - hallo - das wissen wir ja.

    Leimann: Sie haben nun ein großes Plädoyer fürs Leben gehalten. Wenn man so lebt - mit Herzensbildung und allem und das alles ausleben kann - stirbt man dann auch automatisch leichter?

    Brandauer: Es gibt kaum einen Film, kaum ein Theaterstück - von Hamlet bis Ferdinand und Romeo und Oberst Redl, wo ich mich nicht umgebracht habe, erschossen wurde, ermordet wurde, gemeuchelt und alles. Am Theater - nach meinem Tod - geht der Vorhang auf und ich werde mich verneigen. Da bin ich sicher: Bei der Uraufführung dann, bei mir persönlich, werde ich das nicht mehr tun. Hoffentlich werden sich ein paar andere verneigen, aber eben zum letzten Mal. Ich glaube nicht, dass es nötig ist, den Tod so zu glorifizieren, dass man das Leben toll lebt. Ich sage nochmals: Es gehört zum Leben dazu! Und natürlich haben es die leichter, die nicht an einen Abschluss denken mit dem Tod. Sondern dass ihnen irgendetwas begegnet. Aber wir werden uns das nicht vornehmen können. Also mein Plädoyer - es ist nett, dass Sie es gut und richtig finden - aber ich weiß nicht, was ich machen werde. Jetzt rede ich so. Ich hoffe, dass es mir beschieden ist, möglichst diese Sachen nicht zu erleben und wenn ich sie erlebe - dass ich gute Leute habe um mich herum und dass ich nicht weggeworfen werde - von meinen Leuten, von der Gesellschaft. Tschüss! Das mag ich nicht.