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Ein wahrer Politthriller

Der jahrzehntelange Bürgerkrieg in Guatemala tötete rund 200.000 Menschen - und forderte auch nach dem Friedensschluss 1996 Opfer: Am 26. April 1998 wurde Juan Gerardi ermordet, ein Bischof, der die Gräueltaten des Krieges angeprangert hatte. Der US-Journalist Francisco Goldman setzt sich in seinem neuen Buch auf die Fährte der Auftraggeber.

Von Eva Karnofsky | 17.11.2011
    Am 24. April 1998 wurde in der Kathedrale von Guatemala-Stadt unter dem Titel "Guatemala: Nie wieder!" der Bericht über die Menschenrechtsverletzungen während des Bürgerkrieges zwischen linker Guerilla und Armee vorgestellt. Dieser Krieg, der 1960 begonnen hatte, fand erst mit dem Friedensvertrag von 1996 ein Ende. "Guatemala: Nie wieder!" identifizierte ein Viertel der rund 200.000 Opfer dieses Krieges, und der Bericht dokumentierte 410 Massaker, bei denen ganze Gemeinden ausgelöscht sowie 1500 Fälle, bei denen drei oder mehr Zivilisten umgebracht worden waren.

    "Wo immer möglich, identifizierte der Bericht militärische Einheiten, die für Verbrechen verantwortlich waren, und in zahlreichen Fällen nannte er Namen. Am Ende kam er zu dem Schluss, dass die guatemaltekische Armee und mit ihr verbündete paramilitärische Gruppen, wie die Zivilen Selbstverteidigungspatrouillen auf dem Land, für 80 Prozent der Tötungen von Zivilisten verantwortlich waren, die Guerilla hingegen für weniger als fünf Prozent",

    resümiert US-Journalist Francisco Goldman in seinem Buch "Die Kunst des politischen Mordes" das Ergebnis des Berichtes, für den eine Projektgruppe der katholischen Kirche verantwortlich zeichnete. Leiter der Gruppe war Bischof Juan Gerardi. Nach der Veranstaltung in der Kathedrale unterhielt sich Gerardi mit seinem Projektkoordinator Edgar Gutiérrez. Goldman rekonstruierte das Gespräch:

    "'Jetzt wissen wir, wie es passiert ist, aber noch nicht, wer die Befehle gab', erklärte der Bischof. 'Ich glaube, wir müssen ein weiteres kleines Projekt in Angriff nehmen', eine neue Untersuchung 'über die geistigen Urheber' der Kriegsverbrechen. Er ließ die Worte sacken und kicherte dann boshaft. Worauf Gutiérrez antwortete: 'Ay, Monseñor, wenn wir das tun, sind wir so gut wie tot!'

    Zwei Tage später wurde Bischof Juan Gerardi in der Garage seines Pfarrhauses ermordet. Er wurde mit einem Pflasterstein erschlagen.

    Was dann folgt, kommt einem Politthriller gleich. Der Tatort wird nicht korrekt abgesichert, und es werden - wie sich später herausstellt - systematisch Spuren beseitigt. Ein obskurer Fotograf taucht am Ort des Geschehens auf, der - allerdings erst nach Jahren - als Geheimdienstmitarbeiter identifiziert wird, so wie sich in der Mordnacht in der Nähe des Pfarrhauses auch verschiedene Geheimdienst- und Armeeangehörige aufgehalten haben.

    Nacht für Nacht schliefen in einem Park am Pfarrhaus etliche Obdachlose, bolitos genannt und die meisten von ihnen Indigene. Eine katholische Wohlfahrtsorganisation versorgte sie mit Essen.

    "Doch an diesem Abend, wie die Ermittler später von den Indigenen erfuhren, war ein Fremder mit einer Überraschung im Park aufgetaucht: mit Kraft-Käse-Sandwiches und drei unverschlossenen Ein-Liter-Bierflaschen. Einige bolitos behaupteten später, Bier und Essen müssten Schlafmittel enthalten haben, sie seien schnell müde geworden und eingeschlafen. Deshalb, sagten sie, hätten sie nichts Ungewöhnliches gehört oder gesehen."

    Francisco Goldman geht in seinem Buch chronologisch vor. Er ergänzt seine auf acht Jahren der Recherche basierende Darstellung jedoch immer wieder mit historischen Erläuterungen, sodass der Leser einen Einblick in die guatemaltekische Geschichte seit Beginn des Bürgerkrieges 1960 erhält. Goldman geht dabei ausführlich auf die Rolle der Streitkräfte ein, die auch nach der formalen Rückkehr zur Demokratie 1986 weiterhin in Guatemala die Fäden in der Hand behielten und die Politiker zu Marionetten degradierten. Bis heute hat sich daran kaum etwas geändert, wie die Untersuchung des Mordes an Gerardi beweist.

    Während der Mordermittlungen wurde sehr bald deutlich, dass der bis zum Jahr 2000 regierende, konservative Präsident Álvaro Arzú kein Interesse an der Aufklärung des Mordes hatte:

    "Auf die Ermordung Bischof Gerardis folgte eine brutale Regierungskampagne gegen Menschenrechtsorganisationen im Allgemeinen und die katholische Kirche im Besonderen. Im September bezeichnete Präsident Arzú die Menschenrechtler in einer Rede vor Absolventen der Militärakademie als 'so was wie Vaterlandsverräter'."

    2001 wurde neben einem Priester aus Gerardis Stab und zwei Geheimdienstoffizieren ein Oberstabsfeldwebel wegen Beteiligung an der Ermordung Gerardis zu dreißig Jahren Haft verurteilt. Vermutlich war er es sogar, der den Bischof erschlug, doch geklärt wurde auch das nie. Der Oberstabsfeldwebel hatte zuvor in Präsident Arzús Leibwache gedient. Er wurde 2003 im Gefängnis ermordet. Von wem und warum, wurde auch nie aufgedeckt. Vermutlich befürchteten diejenigen, die das Attentat auf Gerardi in Auftrag gegeben hatten, dass der Oberstabsfeldwebel, inzwischen dem Alkohol verfallen, auspacken könnte. Einem der beiden ebenfalls verurteilten Geheimdienstoffiziere gelang es aus dem Gefängnis heraus, sich als mächtiger Drogenhändler zu etablieren - ein Beweis mehr, dass Guatemala von Rechtsstaatlichkeit weit entfernt ist. Ähnliche Verhältnisse herrschen auch in anderen Ländern Lateinamerikas, Goldman arbeitet die Ermordung von Bischof Gerardi auf, doch der Fall Gerardi steht für ähnliche Fälle in anderen Ländern, deren Rechtsstaatlichkeit ebenfalls zu wünschen übrig lässt.

    Nimmt ein Polizist, Staatsanwalt oder Richter in Guatemala seine Aufgabe ernst, muss er um seine Sicherheit fürchten, dies belegt Goldman mit vielen Beispielen. Im Hof des Hauses einer Richterin ging eine Bombe hoch, und auch fast alle anderen mit dem Fall Gerardi befassten Justizvertreter erhielten Todesdrohungen. Sonderankläger Leopoldo Zeissig hatte ebenfalls darunter zu leiden:

    "Als Zeissig einmal seine Frau zu Hause anrufen wollte, meldete sich die Stimme einer fremden Frau, die wie eine besorgte Freundin auf ihn einredete und ihm riet, den Fall abzugeben. Oder es läuteten sämtliche Telefone im Büro gleichzeitig, und sie wurden mit Anrufen bombardiert. Im nächsten Moment klingelten alle Mobiltelefone. Es war wie in einem japanischen Horrorfilm."

    Sonderankläger Zeissig und seine Familie mussten 2001 aus Angst um ihr Leben überstürzt das Land verlassen. Auf der Suche nach den Drahtziehern des Verbrechens an Gerardi wollte der junge Jurist gegen einen hohen Geheimdienstoffizier ermitteln. Und das wusste man zu verhindern. Hätte nicht MINUGUA, die UN-Mission zur Überwachung des Friedensabkommens von 1996, immer wieder auf Aufklärung des Mordes an Gerardi gedrängt und die Menschenrechtsgruppe der katholischen Kirche Guatemalas bei ihren Nachforschungen unterstützt, wären die Ermittlungen wahrscheinlich völlig im Sande verlaufen. Und es wäre auch zu keiner Verurteilung der vier Männer gekommen, die sämtlichen Indizien und Zeugenaussagen zufolge an der Bluttat beteiligt waren.

    Es versteht sich fast von selbst, dass Zeugen bestochen wurden. Außerdem wurden mit Akribie falsche Fährten gelegt, auf die der Geheimdienst dann die Presse aufmerksam machte. Auf eine davon, der zufolge der Bischof von einem Hund zu Tode gebissen worden sein soll, stützten die spanische Journalistin Maite Rico und ihr französischer Kollege Bertrand de la Grange sogar ein Buch, das niemand Geringeres als Literaturnobelpreisträger Mario Vargas Llosa 2004 in einer Zeitungskolumne über alle Maßen lobte. Goldman weist jedoch schlüssig nach, warum die These vom Hundebiss unhaltbar ist. Sie hätte allerdings Armee, Geheimdienst und Politik von jedem Verdacht reingewaschen.

    Goldman konfrontiert den Leser mit einer Fülle von Daten, Namen und Institutionen, doch ein ausführliches Glossar sowie eine Zeittafel erleichtern das Lesen. In einem Nachwort zur deutschen Ausgabe trägt der Autor zudem den neuesten Stand der Dinge nach. Das Verbrechen an Bischof Juan Gerardi jährte sich im April zum dreizehnten Mal, doch dessen Auftraggeber wurden immer noch nicht gefunden. Dass sie in den höchsten Sphären von Armee, Geheimdienst und Politik zu suchen sind, daran lässt Francisco Goldmans Buch keinerlei Zweifel.


    Francisco Goldman: "Die Kunst des politischen Mordes". Aus dem Englischen von Roberto de Hollanda. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2011, 509 Seiten, EUR 24,95.