Samstag, 20. April 2024

Archiv


Ein Wal im Acker

Paläontologie.- Vor drei Millionen Jahren lag das, was heute die sanften Hügel der Toskana sind, unter Wasser, war Teil des paläotoskanischen Archipels. Deshalb werden dort immer wieder Fossilien von Meeresbewohnern gefunden. Nahe Pisa haben Paläontologen jetzt das Skelett eines zehn Meter langen Wals ausgegraben.

Von Dagmar Röhrlich | 09.09.2009
    Forscher inspizieren das komplette Skelett eines Wals, das in der Toskana nahe Pisa ausgegraben wurde.
    Forscher inspizieren das komplette Skelett eines Wals, das in der Toskana nahe Pisa ausgegraben wurde. (Elisabetta Cioppi)
    Fabio Ciappelli hatte eigentlich damit gerechnet, auf dem Acker bei Pisa ein paar Muscheln oder Schnecken zu finden. Doch dann förderte der Hobby-Paläontologe einen riesigen, versteinerten Knochen zu Tage - und in der Erde schien noch mehr zu stecken.

    "Weil er sah, dass der Fund für ihn zu groß war, hat er unser Museum angerufen. Wir erkannten, dass da ein Wal in der Erde steckt, und vor mehr als zwei Jahren haben wir mit der Ausgrabung begonnen",

    erzählt Stefano Dominici, Kurator am Museum für Naturgeschichte in Florenz. Die Qualität des Fundes auf dem Acker in Orciano Pisano begeistert die Paläontologen:

    "Wir hatten Glück, ein komplettes, zusammenhängendes Fossil eines zehn Meter langen und drei Millionen Jahre alten Wals zu finden und nicht nur ein paar Knochen. Bei der Ausgrabung haben wir sehr sorgfältig nach Lebewesen gesucht, für die der Walkadaver seinerzeit eine Nahrungsquelle war. Denn eine ganze Reihe von Tieren und Bakterien haben sich auf solche Kadaver spezialisiert."

    Und auch der toskanische Wal war voll davon. An Walkadavern bilden sich vielfältige Ökosysteme. Haie und Aale, Meerasseln und Würmer, Muscheln und Schnecken - sie alle ernähren sich von den Tonnen Fleisch, Speck, Fett und Knochen, die da am Boden liegen. Ein solcher Riese reicht für Jahrzehnte. In der Tiefsee sind solche Lebensgemeinschaften gefilmt worden. Aber das toskanische Walfossil hat niemals in der Tiefsee gelegen:

    "Wir schätzen, dass das Tier in weniger als 200 Metern Wassertiefe gelegen hat. In so flachem Wasser hat noch niemand ein Walkadaver-Ökosystem gefunden."

    Denn normalerweise treiben die Faulgase den Walkadaver auf und lassen ihn wie einen Luftballon nach oben steigen, weil der Wasserdruck zu gering ist. Dieser Wal blieb aus unbekannten Gründen im flachen Wasser am Meeresboden - und wurde zunächst zum Speisezimmer für die typischen Aasfresser.

    "Wir fanden an den Knochen die Spuren von den ersten Aasfressern, die ankommen, den Haien, Fischen und Wirbellosen. Wir entdeckten aber auch Muscheln und diverse Krebse, die sich von den zerfallenden Knochen ernährt haben."

    Besonders interessant waren die großen Muscheln, von denen Dominici und seine Kollegen zahlreiche Fossilien fanden:

    "Es waren sechs bis sieben Zentimeter lange Muscheln, die inzwischen ausgestorben sind. Aber ihre Verwandten von heute haben sich alle auf das Leben an heißen Tiefseequellen oder Kadavern spezialisiert."

    Die Frage ist nur, wie die Muscheln den Weg zu ihren extremen Lebensräumen in der Tiefsee gefunden haben, denn sie stammen aus dem Flachwasser. Der fossile Wal aus der Toskana stärkt nun die Fraktion der Paläontologen, die glauben, dass die Ahnen dieser Muscheln einst große Kadaver bei der Eroberung ihres neuen Lebensraums genutzt haben:

    "Unser Walkadaver ist am richtigen Platz versunken. Dort hätte er als Nahrungsquelle für ein isoliertes Ökosystem dienen können, in dem neue evolutionäre Entwicklungen ablaufen - eine nahrhafte Insel halben Wegs zwischen dem Flachwasser mit seiner starken Konkurrenz und der Tiefsee. Das ist ein ausgezeichneter Ort für so ein Labor der Evolution."

    Der toskanische Wal war nicht der erste Trittstein auf dem Weg in die Tiefsee. Schon aus der Kreidezeit gibt es Nachweise von Muscheln, die sich die Lebenswelt jenseits des Lichts erschlossen haben. Aber dieser Wal ist das erste Fossil, das zeigt, welche Route sie dabei wohl eingeschlagen haben.