Donnerstag, 28. März 2024

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Ein Wiener Publikumsliebling im 19. Jahrhundert

Im 19. Jahrhundert blühte das Wiener Volkstheater noch einmal auf und erreichte mit Ferdinand Raimund und Johann Nepomuk Nestroy seinen Höhepunkt. Während Raimund die Feenwelt des Biedermeier herbeizauberte, sprengte Nestroy in seinen Stücken die Idylle und brachte mit bissigem Sprachwitz den Realismus auf die Bühne.

Von Eva Pfister | 25.05.2012
    "Bis zum Lorbeer versteig ich mich nicht. Gfallen solln meine Sachen. Unterhalten. Lachen sollen d’Leut. Und mir soll die Gschicht a Geld tragen. Dass i a lach. Das is der ganze Zweck."

    Nach seinem Tod am 25. Mai 1862 drohte Johann Nepomuk Nestroy erst einmal vergessen zu werden. Er war ein Dramatiker, der sich die Rollen auf den Leib schneiderte, ein Vollblutschauspieler, der für den täglichen Theaterbedarf schrieb. Mit ihm würden auch seine Stücke sterben, so dachte man, denn zur hohen Literatur wurden sie nicht gezählt. Dann kam Karl Kraus. Zu Nestroys 50. Todestag im Mai 1912 erhob er den Bühnendichter in seiner Zeitschrift "Die Fackel" in den literarischen Satirehimmel:

    "Nestroy ist der erste deutsche Satiriker, in dem sich die Sprache Gedanken macht über die Dinge. Er erlöst die Sprache vom Starrkrampf, und sie wirft ihm für jede Redensart einen Gedanken ab. Bezeichnend dafür sind Wendungen wie: ‘Wann ich mir meinen Verdruß net versaufet, ich müßt’ mich g’rad aus Verzweiflung dem Trunke ergeben."

    ""Ich glaube, dass es Karl Kraus gelungen ist, Nestroy diesem Bann des Regionalen zu entziehen. So hat Nestroy die Sprache als erster zu einem Gegenstand der Reflexion gemacht, und die ganze Sprachreflexion, die in der österreichischen Literatur eine so große Rolle spielt, lässt sich aus diesen Nestroy’schen Sprachspielen, wenn man so will, ableiten. Das ist die Keimzelle der österreichischen Sprachphilosophie.""
    Sagt der Literaturwissenschaftler Wendelin Schmidt-Dengler. Dass Nestroy trotz aller Hochachtung hauptsächlich in Österreich und Bayern gespielt wird, liegt daran, dass man seinen Sprachwitz kaum übersetzen kann. Von seinen 77 Stücken schafften nur wenige den Sprung über den Weißwurstäquator. Etwa "Der Talismann oder Die Schicksalsperücken", in dem Titus Feuerfuchs wegen seiner roten Haare zum Außenseiter gestempelt wird. Oder "Der Zerrissene", eine ungemütliche Posse, die dem Weltekel eines Kapitalisten die Geldgier der Ärmeren gegenüberstellt. Die meisten Stücke bestechen aber weniger durch ihre Handlung, die oft von fremden Vorlagen abgekupfert ist, als durch den funkelnden Witz, den Nestroy jedem Stoff abringen konnte:

    "Der Ernst hat eine feierliche, eine schauerliche, überhaupt
    viele sehr ernsthafte Seiten, aber ein elektrisches Fleckerl
    hat er doch immer, und da fahren bei der gehörigen Reibung
    die Funken der Heiterkeit heraus."


    Johann Nepomuk Nestroy wurde am 7. Dezember 1801 in Wien als Sohn eines Advokaten geboren und verfolgte zunächst eine Karriere als Sänger. Welch riesiges Pensum ein Bühnenkünstler im 19. Jahrhundert zu bewältigen hatte, zeigt ein Blick auf Nestroys Repertoire: Im Jahr 1826 hatte er 63 Opernpartien bewältigt sowie 49 Sprechrollen. Er rutschte allmählich in sein wahres Fach hinein: die komische Figur in Lokalpossen und Volksstücken. Als solche avancierte er bald zum Wiener Publikumsliebling. Über 30 Jahre lang stand Nestroy fast jeden Abend auf der Bühne, in eigenen wie fremden Stücken. In den beliebten Gesangseinlagen, den Couplets, geißelte er alles, was ihm in die Quere kam.

    "Alle Menschen san heit aufgeklärt wie noch nie
    und beschäftigen sich mit der Astrologie.
    Deshalb wird’s auch ein Aberglauben bald nimmer geben,
    denn man hat’s Horoskop jetzt als Leitstern im Leben.
    Da wird’s eim erst recht Angst und bang:
    Die Welt steht auf kein Fall mehr lang ... "


    Das Kometenlied gehört zu Nestroys populärster Rolle. In der Posse "Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt", spielte er einen von drei Handwerkern, die durch Fortuna zu unverhofftem Reichtum kommen: Den saufenden und philosophierenden Schuster Knieriem, der stoisch dem Weltuntergang durch den Aufprall eines Kometen entgegensieht.

    Johann Nestroy verspottete die Mächtigen ebenso wie deren Untertanen, und er war auch kein Anhänger der 48er Revolution. Seine Haltung war diejenige eines Menschenfeinds – mit Augenzwinkern:

    "Ich glaube von jedem Menschen das Schlechteste, selbst von mir, und ich hab mich noch selten getäuscht."