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Ein Zaun gegen Flüchtlinge

Immer mehr illegale Einwanderer aus afrikanischen Ländern erreichen Europa über den Grenzfluss Evros, der zwischen der Türkei und Griechenland verläuft. In Griechenland will man einen Zaun gegen die Flüchtlinge bauen und fordert Hilfe von der europäischen Grenzschutzagentur Frontex.

Von Anna Koktsidou | 04.10.2011
    Um der Lage Herr zu werden, hat Griechenland die Hilfe von Frontex, der europäischen Grenzschutzagentur angefordert. Gemeinsam überwachen sie nun den Fluss, der Griechenland und die Türkei trennt und auch das Stück Landgrenze zwischen beiden Staaten. Zugleich will Griechenland genau dort einen Zaun gegen die illegalen Einwanderer bauen. Noch ist nichts passiert. Am 4. Oktober läuft die Frist für die Ausschreibung aus. Anna Koktsidou berichtet:

    "Hier der Fluss, der Evros, gegenüber ist die Türkei."

    Vangelis, ein Bauer aus der Region, zeigt auf den Fluss, 150 Meter breit ist er an dieser Stelle und bildet die Grenze zwischen den beiden Ländern. Zugleich bildet er die Außengrenze der Europäischen Union.

    "Die illegalen Einwanderer kommen mit Plastikbooten, lassen sie hier am Ufer liegen, ziehen trockene Kleidung an, die sie in einer Plastiktüte dabei haben, kommen ins Dorf und warten darauf, dass die Polizei sie festnimmt und in ein Aufnahmelager bringt."

    Das Dorf ist Nea Vyssa und die Region ist Evros, die nordöstlichste Region Griechenlands, benannt nach dem Fluss. Das Tor zu Europa. 2010 kamen fast 50.000 Menschen über diese Grenze, das Gros der illegalen Einwanderung nach Europa. Und auch 2011 sind die Zahlen hoch. Eine einzige Stelle im Grenzverlauf führt über Land: da macht der Fluss einen Bogen und fließt auf türkischem Boden – und deswegen ist diese Stelle am leichtesten zu überqueren. Da 2010 die meisten Flüchtlinge über diesen Teil kamen wird sie nun rund um die Uhr bewacht und außerdem soll hier ein Zaun errichtet werden.

    "Siehst du da das gelbe Schild? Hier beginnt die Landgrenze. Sie reicht von Nea Vyssa bis Kastanies. Du kannst diese Grenze mit zwei Sprüngen überqueren. Der Zaun soll bei Kastanies anfangen und bis zum Fluss gehen."

    Noch ist nichts zu sehen, doch die zuständigen Behörden versichern: demnächst gehe es los. Für Jorgos Salamangas, den zuständigen Polizeichef, eine gute Idee:

    "Ja, der Zaun ist eine Lösung für diesen bestimmten Teil, eine technische Hürde, die den unkontrollierten Zugang dort abwendet. Sicherlich werden wir damit das Problem für den gesamten Evros nicht lösen, und auch nicht für ganz Griechenland."

    Denn es hat sich gezeigt: Kontrolliert man im Norden der Region stärker, verlagern sich die Routen in den Süden. Ein Drittel weniger illegale Einwanderer wurden 2011 im Norden von Evros aufgegriffen, im Süden dagegen ist ihre Zahl um über 200 Prozent angestiegen.
    Die Polizisten sind für den Zaun, ganz im Sinne des zuständigen Ministers in Athen. Was sollen sie auch anderes sagen, als treue Beamte? Ganz anders die Kommunen: Bis auf eine, nämlich jene, die es betrifft, sind alle strikt gegen den Bau des Zauns. Die stellvertretende Regionalchefin Georgia Nikolaou:

    "Der Zaun löst nicht das Problem; es sind 12 Kilometer, die gesamte Grenze dagegen 180 km lang, das sind 180 000 Möglichkeiten der Einwanderung. Aber auch als Symbol passt es nicht hierher. Wir können uns nicht vorstellen, dass auf der anderen Seite des Zauns Menschen warten, um hierher zu kommen. Ein Bild, das nicht in unsere Region passt."

    Grenzpatrouille der Polizei: seit Herbst 2010 werden die griechischen Beamten von Kollegen der FRONTEX unterstützt, der europäischen Grenzschutzagentur - zunächst in der Operation Rabbit, nun heißt sie Poseidon. Insgesamt 80 Männer und Frauen, aus Bulgarien, Portugal oder Estland. Ewa Mencure, Sprecherin von FRONTEX und gerade auf Tour durch Evros:

    "Unsere Mitarbeiter gehen auf Patrouillen und wir haben Vans, die mit Wärmebildkameras ausgestattet sind; Frontex hat den Aufrag, Migranten zu entdecken. Das heißt, wenn Frontex sie entdeckt, müssen diese von uns aufgegriffen und in Aufnahmelage gebracht werden. Im Anschluss kommen dann unsere weiteren Experten hinzu, die mit den Migranten sprechen. Damit endet dann aber auch unsere Aufgabe."

    Die Gespräche dienten dazu, mehr über die Fluchtrouten und die Schlepper zu erfahren, so Ewa Mencure. Unumstritten ist der Einsatz nicht: denn die FRONTEX-Beamten bekommen sehr wohl mit, wie katastrophal die Unterbringung der Flüchtlinge in den Lagern der Region ist, dass ihre Grundrechte nicht gewahrt werden. Auf die Frage nach der Verantwortung von FRONTEX selbst sagt Ewa Mencure:

    "Für uns, für Frontex, sind die Menschenrechte von übergeordneter Bedeutung. Unsere Mitarbeiter sind an einen Verhaltenskodex gebunden, der mit den Vereinten Nationen und der Internationalen Organisation für Migration entwickelt wurden, also mit all jenen Einrichtungen, die in diesem Bereich die besten Erfahrungen haben. Wir sind hier, um die griechischen Behörden nach bestem Wissen und Gewissen zu unterstützen. In einigen Bereichen der Zusammenarbeit gibt es Fortschritte, in anderen Bereichen nicht. Es ist eine komplexe und schwierige Situation."

    Zäune, Kameras, Polizisten aus ganz Europa. Vangelis kann nur lachen. Vergebliche Mühe, glaubt er:

    "Die kommen doch weiterhin, ganze Herden von Menschen sind es. Wie soll es auch anders sein? Sie kommen doch aus Kriegsgebieten. Sie haben dort Probleme – und nun bringen sie ihre Probleme zu uns."