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"Ein Zugeständnis von der Projektseite an die Gegner"

Es sei höchst bemerkenswert, was Heiner Geißler in acht Wochen erreicht habe, sagt Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner über das Schlichtungsverfahren. Man sei den Kritikern mit dem geplanten Stresstest entgegengekommen - an dessen Bestehen habe sie keinen Zweifel.

Tanja Gönner im Gespräch mit Friedbert Meurer | 01.12.2010
    Heiner Geißler: Ich kann den Bau des Tiefbahnhofs nur befürworten, wenn entscheidende Verbesserungen an dem ursprünglichen Projekt vorgenommen werden, also, wie ich schon gesagt habe, aus "Stuttgart 21" ein "Stuttgart 21 plus" wird.

    Friedbert Meurer: Das war die zentrale Aussage Heiner Geißlers gestern Abend in Stuttgart. "Stuttgart 21", das Bahnhofsprojekt, soll weitergebaut werden. Die Gegner sind enttäuscht, aber Geißler lässt auch die Bahn, die Stadt und das Land nicht ungeschoren. Das riesige Areal, das mitten in der Stadt frei wird, soll der Spekulation entzogen werden, die Grundstücke in eine Stiftung überführt werden. Zweiter Punkt: Die alten Bäume im Schlossgarten sollen gerettet werden. Und wohl am wichtigsten ist folgendes: Die Bahn muss einen sogenannten Stresstest vornehmen. Dieser Stresstest wird von einem externen Schweizer Unternehmen durchgeführt und darin muss die Bahn nachweisen, dass "Stuttgart 21" um 30 Prozent leistungsfähiger sein wird als der heutige Kopfbahnhof in Stuttgart.

    Am Telefon begrüße ich Tanja Gönner, die Umwelt- und Verkehrsministerin Baden-Württembergs von der CDU. Guten Morgen, Frau Gönner.

    Tanja Gönner: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Sie haben jetzt eine Nacht darüber geschlafen, über den Schlichterspruch. Ist Ihnen heute Morgen doch etwas mulmig geworden angesichts dieser Hürde namens Stresstest?

    Gönner: Nein, überhaupt nicht, weil wir dort sehr genau wussten, auf was wir uns einlassen. Im Übrigen das wichtige ist, dass wir nicht die Leistungsfähigkeit 30 Prozent über den Tag verteilt nachweisen müssen - das war das, was wir immer gesagt haben, es ist möglich, und entgegen der Behauptungen der Gegner haben sie nicht nachgewiesen, dass dies über den Tag nicht möglich ist -, sondern wir sind den Kritikern entgegengekommen und haben gesagt, wir sind bereit, diese 30 Prozent mehr auch während der Spitzenstunde anzubieten, obwohl die Verkehrsprognosen und die demografische Entwicklung dagegen sprechen, dass es tatsächlich in diesem Bereich notwendig ist, aber wir waren bereit zu sagen, wir werden auch das nachweisen.

    Meurer: Aber die Spitzenstunden sind die Rush Hour, das ist der stressige Punkt.

    Gönner: Genau! Genau!

    Meurer: Sind Sie da wirklich sicher, dass dort der Stresstest problemlos klappen wird?

    Gönner: Es geht darum: Wir werden ihn zunächst einmal nachweisen, wir werden ihn machen, und dann wird sich zeigen, ob insbesondere in den Zulaufstrecken noch etwas geändert werden muss. Aber man muss schon sehen, es ist gegenüber dem, was bisher dieses Projekt erbringen sollte, ein Zugeständnis von der Projektseite an die Gegner, es noch leistungsfähiger zu machen. Und wie viel dann anschließend tatsächlich noch gemacht werden muss, steht am Ende dieser Untersuchung. Ich glaube allerdings, dass es weit weniger als das ist, was jetzt gerne von den Kritikern dargelegt wird, und vor allen Dingen weit weniger, als sie jetzt an Kosten dann auch entsprechend verbreiten.

    Meurer: Sind Sie heute Morgen zu 100 Prozent sicher, dass "Stuttgart 21" gebaut wird?

    Gönner: Ja!

    Meurer: Um jeden Preis, egal was es kostet?

    Gönner: Es geht nicht um jeden Preis, sondern wir wissen, nachdem ja auch bisher das, was Heiner Geißler an Veränderungen aufgezählt hat, bereits als Optionen in Teilen vorhanden war, also in den bisherigen Planungen wissen wir in etwa, um welche Beträge es sich handelt, und das sind Beträge, die vertretbar sind. Wir sind zum Beispiel sehr sicher, denn das Schweizer Unternehmen, das das untersuchen soll, hat bereits gesagt, sie sehen nicht das 9. und 10. Gleis als notwendig an, sondern wenn es limitierende Faktoren geben sollte, wären es die Zulaufstrecken.

    Deswegen wissen wir in etwa, in welchem Bereich es sich bewegt. Es sind nicht die 500 Millionen, die überall genannt werden von den Kritikern, sondern wir gehen von einem Betrag zwischen 150 und 170 Millionen aus, und dies halten wir für vertretbar.

    Meurer: Aber da kam gestern die Meldung, Sie würden 500 Millionen bereitstellen. Ist das richtig oder falsch?

    Gönner: Das ist falsch! Ich weiß nicht, woher die Meldung kam. Diese Aussage gibt es von mir auch in keinster Weise. Wir haben nur gesagt, wir sind dann bereit, als Projektträger noch einmal zusammenzusitzen. Wir gehen nicht davon aus, dass wir einen solchen Betrag benötigen.

    Meurer: Sie verlieren auch Geld durch die Stiftung, die die Grundstücke makeln wird. Da hatten Sie doch mit Gewinnen gerechnet durch den Verkauf teuerer Grundstücke, oder?

    Gönner: Zum einen ist das eine Angelegenheit der Stadt Stuttgart. Zum zweiten hat der Oberbürgermeister selber ja bereits diesen Prozess angestoßen gehabt. Und zum dritten war auch der Stadt es wichtig, dass hier eine sinnvolle Entwicklung stattfindet. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob die Stadt tatsächlich mit hohen Einnahmen gerechnet hat, das kann ich nicht beurteilen. Aber wie gesagt, das ist eine Angelegenheit der Stadt, damit hat das Land nichts zu tun.

    Meurer: Wie lange dauert der Stresstest, Frau Gönner?

    Gönner: Das kann ich schwer beurteilen. Experten sagen uns, dass es mehrere Monate dauern kann, weil natürlich jetzt wirklich jedes Teil der Infrastruktur, das geplant ist, jede Weiche, die geplant ist, aufgelistet werden muss, damit hier dann auch entsprechend die richtigen Berechnungen vorgenommen werden können. Aber es wird mehrere Monate dauern.

    Meurer: Gibt es einen Baustopp oder teilweise einen Baustopp?

    Gönner: Nein, dafür gibt es keinen Anlass, weil wir der festen Überzeugung sind, dass das, was herauskommen wird bei einem Stresstest, vertretbar ist. Das sind im Übrigen Dinge, die heute schon als Optionen in den Planungen und Planfeststellungen mit enthalten sind, und der Teil, der jetzt begonnen wird zu bauen, ist unabhängig davon. Deswegen gehe ich nicht davon aus, dass es einen Baustopp geben wird.

    Meurer: Frau Gönner, der Schlichter Heiner Geißler hat gesagt, ein echter Kompromiss war gar nicht mehr möglich, für "K 21" war der Zug abgefahren, Baugenehmigung gab es nur für "S 21", für das Tieferlegen des Bahnhofs. Ist das also kein echter Kompromiss?

    Gönner: Nein. Das war aber auch erwartbar, denn die einen wollen eben nur in dem jetzt vorhandenen Bahnhof Sanierungen vornehmen und dann über viele Jahre, wo viele Schritte Verbesserungen machen, wobei deren Leistungsfähigkeit erst dann tatsächlich eintreten würde, wenn alle unterschiedlichen Punkte dann auch erfüllt worden wären, also in vielen Jahren und Jahrzehnten, und die anderen wollen eben diesen Tiefbahnhof, und da einen Kompromiss zu machen, war ausgesprochen schwierig. Auf der anderen Seite muss ich ehrlich sagen, ich habe höchsten Respekt vor Heiner Geißler und dem, was er uns gestern in 15 Seiten dann auch aufgeschrieben hat.

    Es ist höchst bemerkenswert, was er in diesen acht Wochen erreicht hat, und auch, was er jetzt in seinen Schlichterspruch aufgenommen hat. Also insofern: Auch wenn kein Kompromiss möglich war, finde ich, das, was er hier zusammengetragen hat, ist eine Möglichkeit, um weiterhin zur Befriedung beizutragen.

    Meurer: Die baden-württembergische Umwelt- und Verkehrsministerin Tanja Gönner (CDU) bei uns im Deutschlandfunk heute Morgen. Frau Gönner, schönen Dank.

    Gönner: Gerne geschehen. Schönen Tag!