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Ein zweiter Iran?

Das Parlament Armeniens hat am Freitag eine Amnestie für politische Häftlinge beschlossen. Im März hatte die neue Regierung auf protestierende Anhänger der Opposition schießen lassen, mindestens acht Demonstranten starben, viele wurden verhaftet. Die jetzt beschlossene Amnestie ist aber keine Lösung, sagen Oppositionelle.

Von Gesine Dornblüth | 22.06.2009
    Ein Bezirksgericht in Armeniens Hauptstadt Eriwan Mitte letzter Woche. Gerade ist der Prozess gegen zwei prominente Anhänger der Opposition zu Ende gegangen. Der eine leitete im vergangenen Jahr die Wahlkampagne des oppositionellen Präsidentschaftskandidaten; der andere war Parlamentsabgeordneter – bis die Staatsanwaltschaft seine Immunität aufhob. Die beiden Männer sollen die Unruhen im vergangenen Frühjahr organisiert haben, bei denen mindestens acht Menschen starben. Die Anhänger der Opposition halten das für eine Farce. Die Regierung trage die Verantwortung für die Toten. Unter den Zuschauern ist die Rentnerin Klara Khatschikowa. Wütend hebt sie die Hand.

    "Die Regierung hat sich alles unter den Nagel gerissen: Geld, Gebäude, alles. Ich weine jeden Tag, jede Minute, dass diese ungebildeten Rowdys Armenien regieren. Das ist wirklich unerträglich. Das sind gerade mal 200 Leute. Der Rest der Bevölkerung hasst sie. Das ist eine Tragödie."

    Auch die Amerikanerin Melissa Brown hat viele der Prozesse gegen die Oppositionellen verfolgt. Sie ist die Ehefrau des angeklagten Wahlkampfleiters der Opposition.

    "Man sieht, dass die Richter Anweisungen haben. Sie hören sich die Beweisführungen an, aber die Staatsanwaltschaft hat keine Argumente, es gibt keine glaubwürdigen Zeugen, es gibt keine glaubwürdige Beweise. Die Richter sind gezwungen, warum auch immer, ein Urteil zu fällen. Ich habe eine Richterin weinen sehen, während sie das Urteil verkündete. Andere konnten dem Publikum nicht ins Gesicht sehen, weil sie sich so geschämt haben. Viele Richter sind sicher anständige Leute, aber sie stehen unter Druck. Sie könnten ihren Job verlieren. Vielleicht haben sie auch Kinder in der Armee, um deren Gesundheit sie fürchten, oder ihre Angehörigen besitzen ein Geschäft, das geschlossen werden könnte."

    Am vergangen Wochenende hat das Parlament Armeniens eine Amnestie für Inhaftierte beschlossen. Auch Melissa Browns Ehemann ist darunter. Doch freuen kann sie sich nicht so recht. Natürlich wolle sie, dass ihr Mann nach Hause komme, aber:

    "Eine Amnestie ist nicht gleich Gerechtigkeit. Es ist keine gerechte Lösung. Mein Mann und meine Freunde sind unschuldig. Der Präsident, Sersch Sarkissjan, hat keine moralische Autorität, ihnen etwas zu verzeihen, was sie nicht getan haben. Besonders, weil er, sein Vorgänger Robert Kotscharjan und ihr Team für die Ausschreitungen am 1. März letzten Jahres verantwortlich sind. All die Verfahren gegen die Oppositionsmitglieder sind ein Versuch, die eigene Schuld zu verstecken. Deshalb ist eine Amnestie von ihm für meinen Mann und seine Kollegen absurd."

    Die Amnestie für die politischen Gefangenen ist auch auf Druck des Europarates zustande gekommen. Dessen Mitglieder haben sich der Einhaltung von Menschenrechten verschrieben, und Armenien ist Mitglied im Europarat. Immer wieder kommen deshalb Delegationen aus Straßburg nach Armenien, aber die üben zu wenig Druck auf die armenische Regierung aus, findet Karapet Rubinian, einer der Anführer der Oppositionsbewegung.

    "Leider haben wir eine Menge negative Erfahrungen im Umgang mit den Funktionären der europäischen politischen Organisationen gesammelt. Ich bin sehr unzufrieden damit, dass sie hier ihre eigenen Prinzipien verraten. Seit mehr als zehn Jahren beobachten ausländische Politiker und Diplomaten die politische Situation und die Wahlen in Armenien, und immer stellen sie kleine Schritte in die richtige Richtung fest. In denselben zehn Jahren ist Armenien aber in den Bereichen Demokratie und politische Freiheit um dutzende Kilometer zurück geworfen worden."

    In der vergangenen Woche waren die beiden Berichterstatter des Europarates für Armenien, Georges Colombier und John Prescott, in Eriwan. In dieser Woche wird die Parlamentarische Versammlung des Europarates in Straßburg ihren Bericht beraten. Zumindest einer der beiden Politiker, der ehemalige britische Vizepremierminister John Prescott, ist für seinen rüpelhaften Umgang mit der Pressefreiheit und mehrere Affären bekannt. Viele Oppositionelle halten es für eine Zumutung, mit ihm zusammen zu arbeiten. Sein Kollege, der französische Abgeordnete George Colombier, wehrt sich gegen die Vorwürfe der Opposition.

    "Ich kann nicht kommentieren, was die armenische Opposition sagt. Aber was ich sagen kann, ist, dass wir, seit wir hier arbeiten, Entwicklungen hin zum Positiven sehen. Es ist ein Prozess, aber dieser Prozess läuft."