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Einblicke in die Berichterstattung
Coronakrise zwingt Medien zu Transparenz

Wie wählen Redaktionen ihre Themen aus, wie kommen Reporterinnenen an ihre Quellen? Lange haben sich Medien schwer getan, auch über ihre eigene Arbeit zu berichten. In der Coronakrise zeigen sie nun ungewohnte Einblicke. Langfristig könnte das zu mehr Vertrauen in den Journalismus führen.

Von Stefan Fries | 14.07.2020
Ein Reporter streckt sein Mikrofon mit dem Arm weit von sich in Richtung Interviewpartner, um den coronabedingten Sicherheitsabstand zu wahren
Mit Abstand zu Interviewpartnern aber näher am Publikum - Berichten während der Corona-Pandemie (imago images / CHROMORANGE)
"Dass das mal weltumfassend und weltumspannend wird und Einfluss hat auf so viele Menschen und natürlich auch unsere Arbeit überall, das hätte ich nie für möglich gehalten." - ZDF-Nachrichtenredakteur Carsten Thurau berichtet, wie er die Coronakrise anfangs unterschätzt hat.
Wie viele Kolleginnen und Kollegen seines Senders erzählt er in einer hausgemachten ZDF-Dokumentation, wie Corona seine Arbeit verändert hat. Wie Masken beschafft, Trennwände gebaut, Sendungen neu konzeptioniert wurden. 45 Minuten ist die Doku lang, die das ZDF gerade online gestellt hat – mit Einblicken in die Arbeit, manchem Selbstlob von Redakteuren und wenig Selbstkritischem.
Mehr Transparenz in der Coronakrise
So ausführlich wie das ZDF hat bisher kaum ein Medium die eigene Arbeit transparent gemacht. Lange haben sich Journalistinnen und Journalisten dagegen gewehrt oder es schlicht für unnötig gehalten, über sich selbst zu sprechen. Die Coronakrise hat das geändert. Nicht nur im ZDF, sondern auch in vielen anderen Redaktionen.
"Der Mundschutz, den ich jetzt aufhabe, habe ich auch auf, wenn ich am Schneidetisch sitze, wenn ich am Schreibtisch sitze, und vor allen Dingen, wenn ich rausgehe. Das ist bei uns allen so. Man gewöhnt sich daran. Ich nehm ihn immer nur dann ab, wenn ich ein Interview gebe oder wenn ich mit jemandem rede, der ganz, ganz, ganz weit weg ist und auch den Mundschutz abnimmt, weil wir ganz kurz mal sehen wollen, wie die Menschen aussehen", sagt ARD-Korrespondentin Christiane Meier aus New York im YouTube-Kanal des "Weltspiegels".
Einblicke ins Arbeiten - mal personalisiert, mal oberflächlich
So viel Transparenz in Fernsehen, Radio, Zeitung und Online hat Kommunikationswissenschaftler Julius Reimer bisher nicht gesehen. Reimer forscht seit Jahren am Hans-Bredow-Institut in Hamburg über Transparenz in Medien.
"Teilweise geschah das dann auch tatsächlich sehr, sehr anschaulich und personalisiert. Teilweise wurde eher oberflächlicher erzählt, was sich alles verändert hat. Das ging hinein ins Persönliche, dass man jetzt das Feierabendbier leider per Videochat nur noch machen kann."
Interviewte mit Mundschutz spricht in das Mikrofon eines Kamerateams
Wie deutsche Medien auf die Corona-Pandemie reagieren
Berichten aus dem Home-Office, Senden ohne Publikum – die Corona-Pandemie ist auch für deutsche Medien präsent. Dabei immer im Mittelpunkt: die Berichterstattung zu sichern.
Die "Freie Presse Chemnitz" hat wochenlang in kurzen Videos Mitarbeiter von ihrer neuen Form der Arbeit erzählen lassen, etwa Reporter Jens Eumann, der erklärt, warum er über Demonstrationen mit Verschwörungserzählungen berichtet.
"Natürlich sollte man sich sehr wohl überlegen, ob man jeden kleinen Quatsch, der da irgendwo rumspukt, dann auch noch multipliziert, dadurch, dass wir als Medium ja eine gewisse Multiplikatorfunktion haben – da muss man schon erwägen."
Aufgenommen hat die Videos Sascha Aurich, stellvertretender Chefredakteur Digitales: "So ein kompakter, informativer, aber durchaus auch unterhaltsamer Austausch zwischen zwei Journalisten oder auch mal einem Experten außerhalb der Redaktion."
Mehr Tansparenz, mehr Vertrauen?
Vor der Krise hatten viele Medien eher selten über ihre eigene Arbeit berichtet, etwa über die Quellenauswahl. Bei den zwei Hauptquellen für die Zahlen von Infizierten, Erkrankten und Verstorbenen war es aber offensichtlich, dass Medien offenlegen mussten, welche Daten sie melden - die des Robert Koch Instituts oder die der Johns Hopkins Universität.
Medienforscher Julius Reimer nennt das Produkt- oder Beitragstransparenz: "Indem beispielsweise klar gesagt wird, welche Quellen verwendet wurden für einen Beitrag, indem vielleicht auch problematische Aspekte dieser Quellen genannt werden, indem offengelegt wird, auch, welche Fragen man bei der Recherche nicht beantworten konnte."
Sicht auf das Haupthaus des Bonner "General-Anzeigers"
Berichterstattung über Corona - Sternstunde für die Regionalen
Die überregionalen Medien berichten längst nicht mehr über jede Neu-Infektion mit Corona. Nun schlägt die Stunde des Lokaljournalismus – zum Beispiel beim "Bonner General-Anzeiger".
Die meisten Transparenzbeiträge deutscher Redaktionen bezogen sich allerdings viel allgemeiner auf die Arbeitsbedingungen und gingen selten ins Detail. Dabei könnte Transparenz ihnen durchaus helfen.
Reimer: "Theoretisch soll Transparenz eben dazu führen, dass das Publikum mehr darüber weiß, wie überhaupt die Nachrichten zustande kommen und darüber dann eben auch in die Lage versetzt wird, die Qualität der Nachrichten einzuschätzen und wertzuschätzen. Und das Ganze soll natürlich das Vertrauen in die Medien erhöhen. Das ist die große Hoffnung. Die allerdings, muss man auch sagen, in Teilen bereits empirisch zumindest gestützt wird."
Positives Feedback von den Lesern der "Freien Presse"
Verallgemeinerbar sei das allerdings nach Forschungslage bisher nicht, sondern hänge sehr vom Medium ab und von der Art und Weise der Transparenz.
Welche Auswirkungen die Transparenz-Offensive in der Coronakrise hat, kann auch Reimer noch nicht sagen. Er beurteilt die Berichterstattung sehr unterschiedlich. Wenn nur gezeigt werde, wie Bürocomputer ins Homeoffice gebracht würden, sei das zu wenig, genauso wie Menschelndes allein. Eingeständnisse der unsicheren Faktenlage lobt Reimer aber.
Die "Freie Presse" in Chemnitz will auch nach der Krise weitermachen, sagt Redakteur Sascha Aurich, der von positivem Feedback der Leserschaft berichtet. Nach seiner Wahrnehmung sorgt die Transparenz auch für mehr Vertrauen: "Ich glaube, dass das sehr hilfreich ist, zu vermitteln: 'Wer verbirgt sich eigentlich hinter dem, was ich da jeden Tag präsentiert bekomme?'"
33D-Modell des Coronavirus SARS-CoV2