Donnerstag, 25. April 2024

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Einbruch und Wahn

Steffen Kopetzky hat keine Scheu vor großen Worten. Das fiel schon bei seinem letztjährigen Debüt auf, das den anspruchsvollen Titel "Eine uneigentliche Reise. Handenzyklopädie der Grundprobleme Europas am Ende des 20.Jahrhunderts" trägt, und nicht anders verhält es sich nun in Kopetzkys neuem Roman "Einbruch und Wahn". "Unsere Zeit", ruft sehr symptomatisch einmal sein Held Krampas, ehedem Philosophiestudent in München, aus, "ist eine Zeit des absoluten Irrsinns, der vollkommenen Ausschweifung, des Ungeists, der Verkehrung und des Niedergangs - zugleich aber auch des Aufstiegs, der Klärung und heilenden Einsicht." Und an anderer Stelle wird die "Abscheulichkeit der abendländischen, etwa von Leibniz gestifteten monadischen Subjektivität" gegeißelt. Wer den Mund so voll nimmt, leidet wohl entweder an akutem Größenwahn oder möchte die Literatur noch einmal und in ironischer Absicht am Welterklärungsprogramm der Metaphysik partizipieren lassen. Beides könnte bei Krampas - und Kopetzky - der Fall sein. Wenn also Prunk-Zitate von Hegel und Stanislaw Lem als Motti ins Romaninnere leiten, wenn es in ihm dann jederzeit "epiphanisch" aufblitzt und die Dinge pausenlos "diaphan" werden, wenn von "Olofaktorisch" bis "Idiolatrie" kein Fremdwort unverballhornt bleibt, wenn der Stil sich auf Heideggers Spuren in immer schwindelndere Höhen schraubt, dann ist hier, um mit Thomas Bernhard zu reden, eine auch parodistische "Übertreibungskunst" am Werk. Ihren Höhepunkt erreicht sie in der Formulierung vom "Highlander des Weltgeists", mit der Kopetzky zugleich den Anschluß an den medialen Massengeschmack herstellt.

Christoph Bartmann | 27.07.1998
    "Highlander, das ist eine Kinofigur", erläutert Kopetzky, "mittlerweile gibt es auch eine Serie, die in unglaublicher Menge Folgen produziert, in denen dieser Highlander Abenteuer zu bestehen hat. Da könnte man jetzt noch lang drüber reden, warum ich das genommen. Es geht um dieses Zurückschalten von Gegenwart, die immer durch irgendeine Situation in der Vergangenheit dieses Highlanders, der eben sozusagen ewig lebt, erklärt wird. Das ist für mich ein sehr, sehr interessantes Phänomen, diese Serie. Ich hatte auch überlegt, ob ich sie diffiziler beschreiben sollte, aber, dachte ich mir, nein, diese Figur kennt jeder, der irgendwann ins Kino gegangen ist oder fernsieht, also kann ich sie einfach auch so benennen, ohne größere Explikationen, nur zu sagen, daß der Held eben auch sehr viel fernsieht. Und dann gibt's in diesem Buch drei Formulierungen, die mit einem Attribut und dann "des Weltgeists" auskommen, es gibt den "Old Shatterhand des Weltgeists", das ist in dem Falle Ernst Jünger, es gibt den "Flakhelfer des Weltgeists", es geht um einen Akademiker um eine Generation später, und es gibt dann eben den "Highlander des Weltgeists". Und diese Triade quasi, das sind für mich, drei Grundkonzeptionen, wie Geist, Intellekt, auch sozusagen wahnhafter, suchender, phantastischer, surrealer Intellekt sich verstehen könnte."

    Das Hochgestochene neben dem Banalen, der Drang zur Abstraktion neben den tagtäglichen Überspanntheiten: Diese Mischung macht den Reiz von Kopetzkys Roman aus. Worum es in ihm eigentlich geht, ist nicht ganz leicht zu erklären. Zwei Orte spielen in ihm eine Rolle, Berlin und München, zwei Steinwürfe und zwei schriftliche "Untersuchungen vom Stein", in denen Krampas, der Held des Romans, die logischen, psychologischen und lebensgeschichtlichen Implikationen jener Steinwürfe zu klären versucht. Wer ist Krampas, der vor dem Liebesunglück mit der Freundin Leoni und dem Wahnsystem von Professor Höllsangs Hegel-Seminar die Flucht nach Berlin ergriffen hat? "Ich bin Krampas", fabuliert Kopetzky, ehe er seinem Helden das Erzählen überläßt. "Oder: Krampas ist Ich. Oder: Vielleicht sind wir die zwei aneinandergeschmiegten Flächen eines Möbiusbandes, zwei Stränge eines Wirbels - zwei Seiten einer Figur, deren Gestalt wir beide nicht kennen":

    "Zum einen wollte ich eine Figur schaffen, mit der ich nicht identisch bin, also die mir an sich in gewissem Sinne sehr suspekt ist und sehr unsympathisch ja und nein, auch sympathisch, aber vom Grundduktus her würden wir uns, meine Figur und ich, bestimmt nicht gut verstehen. Und wenn man das so angeht, möchte man aber, wenn man ehrlich ist, diese Figur eigentlich sehr stark machen, also man möchte ihr alles mögliche zubilligen, was man sich selbst vielleicht nicht erlauben würde."

    In Berlin angekommen, wird Krampas Opfer eines Einbruchs. Eines buchstäblichen Einbruchs - denn es wirft ihm eines Augustabends ein Unbekannter einen Stein durchs Fenster und raubt ihm sein "auf dem vor dem Fenster befindlichen Schreibtisch stehendes Faxtelefon mit Anrufbeantworterfunktion" und eines Einbruchs im vielfältig übertragenen Sinn. Der Abstraktionszwang, das verblasene "Hegelgewölk" des ersten Romanteils - dem unter anderem eine wunderbar groteske Schilderung des akademischen Philosophiebetriebs zu verdanken ist - macht nun bei Krampas einem forcierten und leicht paranoiden "Beobachtungextremismus" Platz. Aus dem Opfer wird zunächst ein manischer Alltags-Beobachter - in Supermärkten, auf Hinterhöfen, auf verschiedenen Berliner Schauplätzen vom KdW bis zur Hasenheide - dann eine Art Spion, der seinen Nachmieter, einen ansonsten unbedeutenden "Nordost-Westfalen", bei Tag und Nacht, und sei es nur beim Wurstessen, beschattet. Und schließlich, so hat es den Anschein, wird Krampas selbst zum Täter, der einen Stein durch eben jenes Fenster wirft, hinter dem er selber saß, als ihn der Einbruch ereilte. Ein Einbruch, der nicht nur die Ursache aller weiteren Verwicklungen in Kopetzkys Roman, sondern darüber hinaus eine Leit-Metapher für die Verdüsterung seines Helden darstellt.

    "Einbruch allein von dem Wort", so Kopetzky, "von dem Verb, von dem es herkommt - einbrechen kann man auf einer Eisfläche, über die man geht, wenn an über den See geht, der eine dünne Eisdecke hat. Einbrechen kann man, wenn man über Dächer geht - also immer über Hohlräume, über Räume, in die man sozusagen versinken kann, die eine Art von Schutzfläche haben, die möglicherweise eben nicht stark genug ist. Und natürlich kann man in etwas einbrechen, es gibt ja sozusagen nicht bloß den kriminellen Einbruch, sondern es gibt eben auch den irrationalen Einbruch zum Beispiel, das ist ein Begriff aus der klinischen Psychologie, aber den kennen wir alle. Es gibt den irrationalen, es gibt den emotionalen Einbruch, es gibt auch das Einbrechen an Kondition, an Kraft, es gibt das Einbrechen eines Marathonläufers, und diese ganze Sphäre habe ich versucht auszuschöpfen, in Leitmotiven."

    "Alle sind wahnsinnig", läßt Kopetzky Krampas am Ende konstatieren. Und der Wahn, so wäre zu ergänzen, ist bei all den redenden und körperlosen Männern dieses Romans - sie hören auf sprechende Namen wie Kirsch, Link, Welk, Zorn und Barst - eine Funktion ihrer Reden. Der Wahn, den Kopetzky so anschaulich schildert, ist die Konsequenz einer, so Kopetzky, "richtiggehenden Ehrgeizwucherung in bezug auf das fabelhafte Meistern der Philosophie". Das macht ihn für die, die an ihm leiden, zwar nicht weniger bedrohlich, aber für die, die von ihm lesen, dafür um so komischer. "Er sprach über Hegel", heißt es einmal über den Münchener Professor, letztlich aber war Hegel Metapher für eine ganz bestimmte Überspannung, aus der heraus der Professor agierte". Aus seiner eigenen Überspannung, Hegel und andere Meister betreffend, hat Steffen Kopetzky mit diesem Roman das Beste gemacht.