Mittwoch, 27. März 2024

Eindämmung der Corona-Pandemie
Zero Covid? No Covid? Wo liegt der Unterschied?

Um die Corona-Pandemie endlich in den Griff zu bekommen, fordern die einen Wissenschaftler eine Zero-Covid-Strategie, die anderen wollen das Ziel "No Covid" erreichen. Wo liegen die Unterschiede und wo die Gemeinsamkeiten beider Konzepte?

01.02.2021
    Auf leeren Bänken und Tischen an einem Spielplatz am Wuhleweg in Berlin-Köpenick liegt ein wenig Schnee
    Ein kurzer, harter Lockdown, bis sich kaum mehr jemand infiziert - das ist die Idee von "Covid Zero" (picture alliance/dpa/ Kira Hofmann)
    Seit Monaten ringt die Politik um den richtigen Umgang mit der Corona-Pandemie. Corona sei wie ein Brand, der weiter eingedämmt werden müsse, sagte der Mediziner Marc Hanefeld dazu in Dlf Nova – und zwar so weit, dass nur noch an einzelnen Stellen kleine Feuer brennen, die dann präzise ausgetreten werden können. Helfen könnte also die sogenannte Zero-Covid-Strategie. Doch auch die No-Covid-Strategie hat ihre Anhänger.
    Zwei Hände halten eine eingepackte FFP2-Maske.
    Corona-Pandemie: Offener Brief fordert Zero-Covid-Strategie
    Der einzig richtige Weg im Umgang mit der Corona-Pandemie sei die Zero-Covid-Strategie – das fordern Berufstätige aus dem Gesundheitswesen in einem offenen Brief von der Politik. Mediziner Marc Hanefeld hat den Brief mit initiiert.

    Was bedeutet Zero Covid?

    Der Aufruf von mehreren Dutzend Wissenschaftlern, Ärzten, Pflegekräften und Künstlern gipfelt in dem Ziel, die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohnern nicht nur auf einen Wert unter 50 zu drücken, sondern nahezu auf Null. Der Mediziner Hanefeld betont, dass es dabei weniger darum gehe, konkret die Marke null Neuinfektionen zu erreichen, sondern die Zahl der Corona-Fälle möglichst weit nach unten zu drücken. Ziel ist es, dass es nur noch zu einzelnen Infektionen kommt, bei denen die Ansteckungsketten nachvollzogen und alle Betroffenen schnell isoliert werden können.
    Wie kann das gelingen? Ein harter Lockdown könnte die Fallzahlen nach drei bis fünf Wochen soweit senken, dass Menschen in vielen Gegenden wieder normal leben könnten, so die Theorie. Der Lockdown, so wie wir ihn gerade haben, sei kein wirklicher Lockdown, sagt Hanefeld. Es sei vielmehr so, dass Geschäfte schließen müssten und das restliche Leben laufe normal weiter. Der Virus brauche die Menschen als Überträger, deswegen müssten die Kontaktmöglichkeiten noch viel stärker beschränkt werden – egal wo. Und auch für längere Zeit. Ebenso die Wirtschaft sollte laut Anhängern dieser Strategie auf Null heruntergefahren werden.
    Raul Krauthausen
    Krauthausen: Menschen mit Behinderung werden vergessen
    Der Menschenrechtsaktivist Raul Krauthausen kritisiert im Deutschlandfunk große Mängel beim Schutz von Menschen mit Behinderung in der Pandemie. Auch er ist Unterstützer der Initiative #ZeroCovid.

    Was ist die Initiative #ZeroCovid?

    Die neu gegründete Initiative #ZeroCovid fordert auf Grundlage der Empfehlungen der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen einen umfassenden europaweiten Lockdown in allen lebenswichtigen Bereichen – besonders in der Wirtschaft. Die Rede ist von einer "solidarischen Pause", in der die Wirtschaft für einen bestimmten Zeitraum europaweit stillgelegt werden soll. Die Aktivisten wollen dafür auch die Arbeitspflicht aussetzen. Ein umfassendes Rettungspaket ist deshalb aus Sicht der Initiative nötig.
    Für die Finanzierung sieht die Initiative folgende Möglichkeit: Die Vermögenden in der EU sollen die Maßnahmen in Form einer "Covid-Solidaritätsabgabe" finanzieren. Diese ist laut der Initiative #ZeroCovid für hohe Vermögen, Unternehmensgewinne, Finanztransaktionen und die höchsten Einkommen vorgesehen. Ivo Eichhorn, einer der Initiatoren, sagte dazu im Dlf Kultur, man brauche jetzt eine solidarische Strategie : "Wir fordern, dass nicht der Wirtschaft geholfen wird, sondern, dass diejenigen zahlen, die trotz der Riesenkrise profitiert haben."

    Was bedeutet No Covid?

    Sowohl Zero Covid als auch No Covid verfolgen das Ziel, die Infektionszahlen drastisch zu senken. Die Gruppe europäischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die No-Covid-Strategie unterstützt, will eine europaweite Inzidenz von unter 10 auf 100.000 Einwohner pro Woche erreichen. Zu ihr gehören die Physikerin Viola Priesemann, die Virologin Melanie Brinkmann, Clemens Fuest, Präsident des Münchner ifo-Instituts, sowie der ebenfalls am ifo-Institut tätige Ökonom Andreas Peich und der Soziologe Heinz Bude.
    Fuest: Öffnungen nur dort, wo Testinfrastruktur vorhanden ist
    Wirtschaftsminister Altmaier will weitere Öffnungsschritte aus dem Lockdown. Dies sei nur mit einer veränderten Teststrategie zu verantworten, mahnte ifo-Präsident Clemens Fuest.
    Der Weg zu niedrigen Infektionszahlen wird von beiden Strategien aber unterschiedlich beschrieben. Die Anhänger der No-Covid-Strategie sehen keinen Widerspruch zwischen einer gut laufenden Wirtschaft und dem Gesundheitschutz. Die Autoren, die die No-Covid-Strategie zu Papier gebracht haben, fordern zudem, dass das Vorgehen auf dem gesamten europäischen Kontinent vereinheitlicht werden müsse - wegen der hohen Fallzahlen und der neuen Virusvarianten. Im Prinzip ginge es darum, möglichst viele Maßnahmen parallel laufen zu lassen. Die Expertengruppe schlägt vor, den Lockdown überall dort so lange beizubehalten, bis die Inzidenz von 10 unterschritten wird. In sogenannten lokalen "Grünen Zonen", könnten dann erste Lockerungen stattfinden.
    Die Dlf-Wissenschaftsautoren Arndt Reuning und Volkart Wildermuth sehen darin den Schwachpunkt des Konzepts. Sie fragen: "Wie soll man denn die Grenzen dieser grünen Zonen kontrollieren?"
    Eine Polizeistreife fährt durch die Innenstadt von Bonn. 
    "Zero Covid" - Ausweg oder Irrweg?
    Die Zahl der Corona-Neuinfektionen auf nahe null zu drücken, mittels eines radikalen Lockdowns? Der Schriftsteller Raul Zelik befürwortet diesen Weg, die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot kritisiert ihn scharf.

    Hat sich eine Art No-Covid-Strategie bereits bewährt?

    Australien verzeichnet bisher weniger als 1.000 Corona-Tote. Das Land diene zusammen mit Neuseeland deshalb als Vorbild, sagt auch der Physiker und Modellierer Michael Meyer-Hermann. Zudem ist es beiden Ländern gelungen, dies auch in der Winterzeit umzusetzen. Die beiden Länder hätten allerdings auch keine Grenzen zu Nachbarstaaten, so Meyer-Herrmann. Deshalb sei ein europaweiter Shutdown richtig. Die Pandemie könne man nur auf diese Weise in den Griff bekommen.
    Ein geschlossenes Geschäft mit heruntergelassenen Rolläden in der Altstadt von Dinkelsbühl
    Interview mit Michael Meyer-Hermann
    Modellierer Michael Meyer-Hermann plädiert für einen europäisch synchronisierten Shutdown. Damit könnten die Corona-Neuinfektionen auf ein kontrollierbares Niveau nahe null gedrückt und dort gehalten werden. Mit den Impfungen werde das in den nächsten drei Monaten nicht gelingen.
    Den Erfolg der harten Maßnahmen in Australien und den Willen der Bevölkerung, ihren Teil dazu beizutragen, begründen der Leiter der Abteilung Medizinische und biologische Physik an der TU Dortmund Matthias F. Schneider, Gesundheitsökonom Stephen Duckett und der US-amerikanische Physiker und Systemwissenschaftler Yaneer Bar Yam in einem Gastbeitrag für "t-online" mit folgenden Argumenten:
    • Das Problem beim Namen nennen
    • Transparente Kommunikation von Ziel und Plan
    • Eine Art Belohnung niedriger Zahlen

    Wie könnte eine europäische Strategie im Sinne der No-Covid-Strategie aussehen?

    Klare Kommunikation fordern zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem Aufruf mit Maßnahmen zum Umgang mit der Corona-Pandemie – darunter die Physikerin und Modelliererin Viola Priesemann sowie die Virologinnen Sandra Ciesek und Melanie Brinkmann.
    Virologin Melanie Brinkmann steht am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung HZI
    Pandemie-Bekämpfung - "Es geht nur europaweit"
    Die Virologin Melanie Brinkmann hält eine Lockerung der Corona-Maßnahmen erst bei einer Inzidenzzahl von zehn Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern für sinnvoll. Nötig sei zudem eine einheitliche Eindämmungsstrategie in Europa.
    Die Forderungen der Wissenschaftler*innen zielen zudem ebenfalls auf eine dreistufige gemeinsame europäische Strategie im Umgang mit der Corona-Pandemie:
    1. Erreichen von niedrigen Fallzahlen
    Das gesetzte Ziel: 10 neue COVID-19-Fälle pro eine Million Menschen pro Tag. Dazu brauche es entschlossenes Handeln, meinen die Autorinnen und Autoren des Papiers. Tiefgreifende Interventionen hätten sich als effizient erwiesen. Die Belastung von Psyche und Volkswirtschaft sei dabei von kurzer Dauer.
    Zeigt die Strategie Erfolge, sind laut den Wissenschaftlerinnen weitere Schritte notwendig.
    2. Fallzahlen niedrig halten
    Sobald sich die Fallzahlen auf einem niedrigen Niveau bewegen, könnten die Beschränkungen unter sorgfältiger Überwachung gelockert werden, betonen die Wissenschafterinnen und Wissenschaftler. Beibehalten werden unter anderem das Tragen von Masken, erhöhte Hygiene, moderate Kontaktreduzierung, Tests und Kontaktverfolgung. Ein wichtiger Aspekt bei diesem Schritt: das Testen – mindestens 300 Tests pro Millionen Einwohner sollen durchgeführt werden. Bei lokalen Ausbrüchen ist zudem schnelles Reagieren gefordert – mit gezielten Tests, regionalen Absperrungen oder Reisebeschränkungen.
    Der Soziologe Heinz Bude sagte im Deutschlandfunk, dass solche Lockerungen in einzelnen Regionen wichtig seien, um in der gesamten Bevölkerung wieder für Motivation zu sorgen. Es habe sich eine große Ohnmacht ausgebreitet, die man nur durch gute Perspektiven ausräumen könne.
    Der Soziologe Heinz Bude bei einer Veranstaltung in Wien
    Bude: "Eine Möglichkeit aus dieser Ohnmachtslogik herauszukommen"
    In einer Region die Ansteckungsrate nahe null bringen und dann Maßnahmen lockern. Das könne bundesweit motivieren, sagte der Soziologe Heinz Bude im Dlf.
    3. Eine gemeinsame langfristige Vision entwickeln
    Hier liegt der Fokus auf regionalen und nationalen Aktionsplänen sowie gemeinsamen Zielen auf europäischer Ebene unter Berücksichtigung der COVID-19-Fälle. Hinzu kommt die Entwicklung von Strategien zum Screening, Impfungen, zur Eliminierung, dem Schutz von Risikogruppen und der Unterstützung von Menschen, die besonders von der Pandemie betroffen sind.