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Eine andere Familiengeschichte

Ein Buch voller Hass, Anklagen und Unterstellungen nennen Kritiker Florian Havemanns Biografie, in der er über seinen Vater, den DDR-Dissidenten Robert Havemann, schreibt. Der Suhrkamp Verlag hat das Buch "Havemann" wegen Klagen kurzfristig zurückgezogen und möchte nun eine gekürzte, überarbeitete Version auf den Markt bringen. Die unbereinigte Erstausgabe stellt Ihnen Thomas Moser vor:

14.01.2008
    "Alle kennen Havemann, keiner kennt Havemann. Ich schreibe dies Buch Havemann für mich. Es ist dies ein egoistisches, ein vollkommen egozentrisches Buch, ein ungerechtes sicher, ein für viele verletzendes auch. Es ist dies ein kommunistisches Buch. Weil es ein Buch für alle ist und für mich. Die Armen, die mich kennen. Die mich kennen und dieses Buch trotzdem lesen werden. Obwohl ich ihnen davon abraten werde, es zu lesen."

    Da spielt einer mit Geschichte: Florian Havemann, der so spricht und schreibt. Sohn des toten, bekannten DDR-Regimekritikers Robert Havemann. Ein Künstler, Maler, Musiker, Dichter und seit einigen Jahren Laien-Verfassungsrichter in Brandenburg, 56 Jahre alt. Er hat sein Leben aufgeschrieben und das seiner Familie, fast 2000 Seiten hat er zu Papier gebracht, 1100 wurden gedruckt. Er habe sie für sich geschrieben, betont Florian Havemann, keine historische Wahrheit, nur seine eigene. Die allerdings mit der über seinen Vater, die historische Figur Robert Havemann, hart zusammenprallt. Der Dissident ist für den Sohn ein Mensch voller Widersprüche und Schwächen, die nicht zum öffentlichen Bild passen. Ein Mann mit Doppelleben, Kontakten zu Geheimdiensten und einem taktischen, operativen Verhältnis zur Wahrheit - das ergibt schrille Töne, im Buch wie im Interview in Florian Havemanns Atelier in Berlin-Neukölln:

    "Mein Vater hat nie erzählt, dass er für den KGB gearbeitet hat, dass er für die Stasi tätig war. Er hat es aber anderen Leuten zum Vorwurf gemacht. Und das ist etwas, was den Mann charakterisiert. Für mich war das ein Lügner, und ich habe Recht behalten, es hat sich gezeigt, es war ein Lügner."

    Die Kompromisslosigkeit des Sohnes erklärt sich vielleicht aus der Kompromisslosigkeit des Vaters ihm gegenüber. Als Florian die DDR verließ, warf ihm Vater Robert Verrat vor, Verrat am Ideal des Sozialismus. Trotz Kaltstellung durch die SED war die DDR für Robert Havemann der bessere deutsche Staat. Sohn und Vater sind sich nie wieder begegnet, Robert Havemann starb 1982. Das Thema "Verrat" durchzieht das ganze Buch. Es ist so etwas wie der Schlüssel zum Leben von Robert Havemann, wie zum Buch seines Sohnes und beginnt in der NS-Zeit. Robert Havemann gehörte zu einer Widerstandsgruppe, die aufflog und deren Mitglieder wegen Hochverrates zum Tode verurteilt und hingerichtet wurden, unter ihnen der Wissenschaftler Georg Groscurth. Bis auf Havemann, der überlebte, weil er auf das Angebot der Nazis einging und für sie als Chemiker an der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen forschte. Georg Groscurth habe Havemann deshalb für einen Verräter gehalten, schreibt Florian Havemann nun, dem das Anneliese Groscurth, die Witwe, erzählte. Aber hat Groscurth Havemann den Verrat auch vorgehalten oder hat er nur so über den Kollegen gedacht? Für Florian Havemann spielt das eine Rolle: Er fragt sich nämlich, ob sein Vater ihm nur deshalb habe Verrat vorwerfen können, weil ihm selber der Verratsvorwurf niemals gemacht wurde. Wäre er es, hätte er den Sohn dann vielleicht verstanden? So blieb und wurde Verrat zum normalen, unhinterfragten Bestandteil des Robert Havemann'schen Lebens. Nach dem Krieg war er für den sowjetischen Geheimdienst tätig und dann in der DDR für die Stasi, ehe er zum Regimekritiker und Staatsfeind wurde. Florian Havemann geht es dabei weniger um eine Verurteilung als um das Verständnis von Zeitumständen. Ist Leben, vor allem in diktatorischen Gesellschaften, überhaupt ohne Verrat zu bekommen?

    ""Verrat ist ein Schlüssel für das 20. Jahrhundert sowieso, das ist die Welt des Verrats. Bei meinem Vater ist das vielleicht noch einfacher zu erklären: dass man sich geheim irgendwo trifft und irgendwas macht, das ist sein Milieu, in dem er sich bewegt hat für ewig schon. Sein ganzes erwachsenes Leben bewegte er sich in solchem Milieu. Das heißt, für den gibt es überhaupt nicht diese Schwelle, die wir uns vorstellen."

    Verrat aber auch von der Mutter, die bis zum Ende der DDR als inoffizielle Mitarbeiterin der Stasi geführt wurde. Und schließlich - Florian Havemann schont sich selber nicht - sieht er auch sich als Verräter. Zum Beispiel an seiner Freundin Carmen, die mit ihm in den Westen floh, und die er dort dann nicht vor dem Drogentod bewahren konnte. Das Buch sei eine Abrechnung, ein literarischer Vatermord, so die Kritik. Florian Havemann beansprucht das glatte Gegenteil: er wolle Robert Havemann lebendig werden lassen, den Menschen. Doch das geht nur, indem er die Ikone zerstört.

    "Der Mann ist halt einfach unter seinem Idealbild begraben. Der Mann ist unter dem Denkmal, was man ihm errichtet hat, begraben. Die Person, die hat keine Präsenz, und das liegt natürlich an der Idealisierung, an dem Denkmal, wo die Widersprüche raus sind. Und der Mensch ist nur interessant durch seine Gegensätze, wenn er nicht auf eine Reihe zu bringen ist, auf einen Punkt."

    Wolf Biermann hat Florian Havemann kurz nach dessen Flucht von 1971 in einem Lied verewigt: "Enfant perdu":

    Ein Spottlied auf Flori Have-Kind, das abgehauen ist auf "unsere Kosten". Der Verratsvorwurf also auch von da. Biermann zählte zu Robert Havemanns engsten Freunden, für Florian wie ein großer Bruder. Heute verbindet die beiden Feindschaft. Die Aufnahme ist vom Kölner Konzert Biermanns im November 1976, dem seine Ausbürgerung aus der DDR folgte. Wie man heute weiß, schon vor Biermann Abreise aus der DDR beschlossene Sache. Rechnete Biermann mit seiner Ausbürgerung? Wusste er etwa sogar von dem Beschluss? Florian Havemann legt das in seinem Buch nahe. Margot Honecker persönlich habe es Biermann am Tag vor der Abreise nach Westdeutschland mitgeteilt. Die Zeugen, die Florian Havemann angibt, unter anderem Biermanns ehemaliger Manager Dieter Dehm, äußern sich bisher aber nicht öffentlich dazu. Es geht Havemann aber weniger um den Beweis als um die Interpretation der politischen und beruflichen Lage Biermanns in der DDR.

    "Nehmen wir mal einen Moment an, Wolf Biermann hat im Osten keine Zukunft für sich als Künstler gesehen, dafür hatte er sehr, sehr gute Gründe. Nehmen wir mal an, er will in den Westen; dann hatte er zwei Schwierigkeiten, hätte er gehabt, zwei Schwierigkeiten: Das eine das Lied, was er über meine Flucht geschrieben hat, in dem er sie verdammt. Und die zweite Schwierigkeit wäre mein Vater gewesen. Die Furcht, die er hätte haben müssen, von seinem Freund Robert Havemann eben Verrat am Sozialismus vorgeworfen zu bekommen."

    Die Ausbürgerung Biermanns hieß nach dieser Logik: er konnte in den Westen, ohne nun seinerseits als Abhauer dastehen zu müssen. Wir wollten Wolf Biermann hier zu Wort kommen lassen, er reagierte aber auf die Interviewanfrage nicht. Die Berliner Zeitung zitiert ihn mit den Worten, er habe das Buch nicht gelesen, wisse aber auch so, dass es - Anführungsstriche - "gequirlte Scheiße" sei. Florian Havemann ist für Biermann so etwas wie eine Hypothek, denn er wurde im August 1968 eingesperrt, weil auf den Protestflugblättern, die er verbreitete, auch ein Gedicht Biermanns stand. Während der minderjährige Schüler gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings protestierte, versteckte sich der kritische Dichter. Auch Robert Havemann trat am 21. August 1968 nicht in Erscheinung, und zwar deshalb, weil er mit einer verheirateten Frau im Bett war, behauptet Florian Havemann und schreibt genüsslich: Der Oberoppositionelle hatte Besseres zu tun, als sich um die große Weltpolitik und das Schicksal seines Sozialismus zu kümmern. Für ihn ein echter Havemann.

    Es war der kleine Florian, der sich um die Weltpolitik kümmerte und dafür mit vier Monaten Gefängnis bezahlte. Diese Erfahrung lässt ihn bis heute nicht los:

    Die längste Zeit lebte er im Westen, nur 19 Jahre in der DDR, trotzdem bestimmen sie und DDR-Figuren das Buch. Neben Robert Havemann und Wolf Biermann ist das der Schriftsteller Thomas Brasch, der 2001 im Alter von 56 an Alkohol und Drogen starb. Er war sein wichtigster Freund, der aber nach dem Weggang aus der DDR im Westen keinen Platz fand und dessen Verwahrlosung und Selbstzerstörung Havemann über viele Seiten beschreibt.

    "Havemann" ist ein Buch, das nicht auf eine Formel zu bringen ist, es ist vieles: Autobiografie, Essay, Streitschrift - mit einem ungewöhnlichen, partisanenhaften Schreibstil, der manchmal wie ein Rap daherkommt. Es bietet Diskussionswürdiges, zu dem eine peinliche Hymne auf Gorbatschow zählt, dem nach Florian Havemann die Menschheit ihre Rettung verdankt - und Fragwürdiges wie Havemanns Urteil über die Maueropfer, die er dumm und einfallslos nennt, weil sie bei ihrer Flucht den direkten Weg über diese Grenze nehmen wollten und sich dabei, wie er provokativ sagt, erschießen lassen haben:

    "Was heißt, es gab kein Recht? Gucken Sie doch mal, wo Leute auf der Welt überall erschossen werden von Polizisten! Versteh‘ nicht die Frage. "

    Vor 15 Jahren wäre das Buch wohl nicht verlegt worden. Die Kritik hätte eine noch größere Wucht gehabt, respektlose Spielereien mit Helden und Opfern wären erst recht nicht geduldet worden.

    ""Ich habe mich mit Havemann auseinandergesetzt. Ich wollte Havemann loswerden. Es ist mir nicht gelungen, ich bin Havemann geblieben, Havemann geworden. Ich habe Havemann mit Dreck beworfen, Havemann verdammt und immer doch dabei auch mir selber wehgetan. Ich habe Havemann freigesprochen, Havemann
    Havemann sein lassen. Havemann-Wahn. Eine Fortsetzungsgeschichte. Die Fahne Havemann hochhalten. Die eigene Fahne nun."

    Thomas Moser über Florian Havemann: Havemann. Die bei Suhrkamp erschienene und inzwischen zurückgezogene Erstausgabe umfasst 1099 Seiten zum Preis von 28 Euro, über Umfang, genauen Inhalt und Preis der angekündigten Neufassung, die Ende Januar, Anfang Februar in den Handel kommen soll, ist noch nichts bekannt.


    Bücherliste:

    Florian Havemann: Havemann
    Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main 2007, 1099 Seiten, 28 Euro

    Francesca Weil: Zielgruppe Ärzteschaft - Ärzte als inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit
    Vandenhoeck und Ruprecht Verlag Göttingen 2007, 308 Seiten, 32,90 Euro
    Christian Schertz; Thomas Schuler (Hg.): Rufmord und Medienopfer. Die Verletzung der persönlichen Ehre
    Ch. Links Verlag Berlin 2007, 272 Seiten, 19,90 Euro

    Hans Magnus Enzensberger: Hammerstein oder: Der Eigensinn. Eine deutsche Geschichte Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main 2008, 375 Seiten, 22,90 Euro