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"Eine Art Griechenland 2.0"

Unter der wechselseitigen Abhängigkeit leide auf Dauer sowohl Griechenland als auch Europa, sagt der bayrische Finanzminister Markus Söder (CSU). Er fordert daher einen sauberen Schnitt zu ziehen: geordnete Insolvenz Griechenlands und Austritt aus der Eurozone.

Markus Söder im Gespräch mit Sandra Schulz | 06.02.2012
    Sandra Schulz: Die Ermahnungen kommen jetzt von allen Seiten. Der IWF beklagt faktische Reformunfähigkeit in Griechenland, Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker droht Athen mit einem Ende der EU-Hilfen und in dem Szenario, das er im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" zeichnet, kommt sogar das Wort "Pleite" vor. Und mahnende Stimmen kommen auch an diesem Wochenende von den Koalitionären in Berlin. Das ist die Begleitmusik der jetzt vielleicht wirklich entscheidenden Verhandlungen Griechenlands mit seinen Gläubigern um einen Schuldenschnitt. Genau wissen wir das nicht, weil wir schon seit Wochen ja davon sprechen, davon die Rede ist, die Verhandlungen stünden vor einem Abschluss. Parallel gehen die Gespräche mit der EU-Troika weiter und die Abstimmungen der griechischen Parteien.
    Am Telefon begrüße ich den bayrischen Finanzminister von der CSU. Guten Morgen, Markus Söder.

    Markus Söder: Guten Morgen, grüß Gott.

    Schulz: Haben Sie noch Geduld mit Griechenland?

    Söder: Es geht hier nicht um Geduld, sondern um überhaupt eine Möglichkeit, etwas zu lösen. Wir spüren ja auch aus dem Bericht, der gerade eben gesendet wurde, wir spüren halt alle, dass die da kaum mehr weiter vorankommen. Auf der einen Seite kommen die Griechen in die Situation, dass sie diese Maßnahmen, die sie treffen müssen, kaum mehr treffen können, zum Teil auch nicht treffen wollen, und auf der anderen Seite besteht auf den Seiten derer, die Geld geben sollen, auch eine Geduldsprobe, die immer stärker wird. Und dann ist das Zeitfenster schwierig. Also ich glaube, es wird wenig Sinn machen, ich glaube, wir stehen jetzt kurz vor der Entscheidung. Wenn die Griechen die Reformen nicht treffen können, dann muss auch diese Hängepartie beendet werden.

    Schulz: Es ist ja, das ist klar, heute Vormittag noch einiges ungewiss. Aber eines zeichnet sich schon ziemlich deutlich ab, nämlich dass das Hilfspaket in dem Format von 130 Milliarden Euro wohl nicht reichen wird. Das heißt, dass es für Deutschland dann doch noch teurer wird?

    Söder: Also ein Fass ohne Boden darf es nicht sein, das wurde immer wieder gesagt, und wenn die Griechen selber nicht in der Lage sind und letztlich auch nicht wollen, die Reformen zu machen, dann hat es keinen Sinn. Dann wird es am Ende eben einen entsprechenden Bankrott Griechenlands geben müssen, vielleicht ist diese Insolvenz auch eine Chance. Man muss eben nur sehen, dass eine Pleite Griechenlands keine Pleite des Euro und Europas werden darf, und deswegen ist es jetzt wichtig, parallel zu den Überlegungen, was geht denn noch, auch zu überlegen, was wäre denn dann, so wie es ja schon dieser Tage angestellt wurde, eine Art Landesstrategie zu etablieren. Ich glaube nicht mehr persönlich, dass da eine Einigung möglich ist. Alle bemühen sich, aber es kann nicht sein, dass Deutschland dauerhaft oder Europa dauerhaft zahlt und zahlt und letztlich bei den Griechen und bei der griechischen Regierung vor allen Dingen sich nichts bewegt.

    Schulz: Herr Söder, Sie sehen das grundsätzlich ganz anders als Josef Ackermann, der Chef der Deutschen Bank. Der hat am Wochenende ganz eindringlich vor einer Insolvenz gewarnt. Der sagt nämlich, dass die Kollateralschäden unvorstellbar seien und es damit auch eine Gefahr gebe für die anderen Krisenländer. Inwiefern können Sie das besser beurteilen als Herr Ackermann?

    Söder: Nun, ich glaube, wir haben jetzt einen längeren Diskussionszeitraum hinter uns. Wir haben vor einem Jahr genau diese Diskussion schon einmal geführt, immer wieder erneut, und die Horrorszenarien haben sich nicht bestätigt. Ich glaube, man muss ja auch mal auf der anderen Seite sehen, was den Griechen überhaupt noch zumutbar ist. Macht es einen Sinn, für dieses Geld derartige Reformen zu machen, die nicht umsetzbar sind im Land, die für das Land auch national schwierig sind, oder ist es dann nicht besser, einen Neustart zu machen, eine Art Griechenland 2.0, indem sie sich wirklich überlegen, einen neuen Weg zu gehen, und der kann letztlich nur ein Austritt aus der Eurozone sein. Dann können die Griechen sich selber überlegen, wie sie ihren Weg weitermachen. Diese Verbindung, die jetzt stattfindet, quasi in der gegenseitig wechselseitigen Abhängigkeit, in der die Griechen sich auch von Europa diskriminiert fühlen auf der einen Seite und wo Europa, die Eurozone massiv darunter leidet, das geht auf Dauer nicht, das wäre jetzt nur ein Zwischenschritt. Es gibt ja kaum Aussicht auf Besserung und auch keinen Willen auf Besserung, und deswegen ist es besser, dann einen sauberen und klaren Schnitt zu machen.

    Schulz: Die Horrorszenarien haben sich vielleicht deswegen nicht bewahrheitet, weil Griechenland ja im Moment noch nicht Pleite ist. Die Drohung mit Turbolenzen bei einer Währungsreform, die Tausende von Unternehmen und Banken in die Insolvenz schicken könnten – das ist die Prognose eines Experten vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung -, spielen Sie die Probleme runter?

    Söder: Nein, natürlich sind das Probleme. Aber die Frage ist, was ist die Alternative. Es ist ja offenkundig so, nehmen wir mal an, man gibt jetzt wieder nach und man erklärt alle Reformen aller Experten, internationalen Experten für nicht entscheidend, nach dem Motto, nun gut, die Griechen erklären zwar, sie machen jetzt eine Verbesserung ihrer Wirtschaftsrahmenbedingungen, aber ob sie die dann machen ist auch egal, das ist ja auch keine Lösung. Das führt ja genau zu demselben Problem, immer und immer wieder, und wir werden dann in drei Monaten vor derselben Situation stehen. Und da glaube ich ist es auch aus Gründen des Selbstbestimmungsrechts des griechischen Volkes besser, einen ehrlichen Weg zu gehen, anstatt dies jetzt immer wieder weiter zu versuchen nur aus einer Angst heraus. Dann wäre es besser, eine klare Strategie einer geordneten Insolvenz zu gehen, mit Perspektiven daraus, als das umgekehrte, das Leiden ständig zu verlängern.

    Schulz: Aber mit welchem Argument sollen die Anleger denn künftig noch davon überzeugt werden, wenn ein Euro-Land fällt, dass andere dann nicht auch fallen können?

    Söder: Griechenland ist doch eine absolute Ausnahme. Wenn Sie einmal schauen, beispielsweise Italien: Italien ist grundsätzlich ein reiches Land. Italien hat alle Möglichkeiten, auch aus eigener Kraft die Dinge zu lösen. Ähnliches gilt übrigens für Spanien. Griechenland ist eine Sondersituation, mit Abstand das schwierigste Land und leider auch das Land, in dem seit jetzt einem Jahr de facto nichts passiert ist. Nehmen Sie ein Beispiel: Irland war in ähnlicher Krise vor einem Jahr und hat Maßnahmen getroffen und umgesetzt und sich deutlich verbessert. Übrigens auch in Italien beginnt etliches zu wirken. Insofern ist Griechenland leider, muss man sagen, ein Sonderfall. Dort ist die Situation so schwierig, dass ich nicht glaube, dass jetzt eine weitere, eine neue, eine 100. Verhandlungsrunde letztlich zum besseren Ergebnis führt.

    Schulz: Also Sie schließen aus, dass nach einer Pleite Griechenlands auch andere Problemländer in die Pleite rutschen könnten?

    Söder: Ich sehe dieses Problem nicht in der Dramatik, wie es andere sehen. Gleichwohl muss man sich natürlich das überlegen. Aber die Frage ist, was jetzt die Alternative ist. Es ist doch spürbar – und zwar bei allen -, von IWF, EU-Troika und anderen, dass erkennbar keine Fortschritte erzielt werden. Dann muss man am Ende ehrlich sein. Entweder man sagt, die werden es nicht schaffen können, aus verschiedenen Gründen auch innenpolitisch – das deutet sich ja aus den Vorberichten an -, dann muss man es hinnehmen und dauerhaft subventionieren, oder man geht einen anderen Weg.

    Schulz: Die werden es nicht schaffen können, unterstellen Sie damit nicht vielleicht auch, dass sie es nicht schaffen wollen, und fördern – das ist in der Diskussion ja auch ein wichtiges Thema gewesen – noch weiter die Ressentiments gegen Griechenland?

    Söder: Also ich glaube, dass die griechische Bevölkerung sehr leidet, sehr leidet darunter, dass die Regierungen in der Vergangenheit nicht in der Lage waren, die Probleme auch nur annähernd ehrlich anzupacken. Am wenigsten Schuld haben die griechischen Bürgerinnen und Bürger. Die meiste Schuld tragen die Regierungen der Vergangenheit dort. Mit denen wird gerade verhandelt und da deutet sich ja an, dass der Konsens der letzten Monate leicht aufgekündigt wird. Wenn die Vertreter großer Parteien sagen, wir werden die neuen Maßnahmen nicht mehr schultern können oder schultern wollen, dann glaube ich auch nicht, dass es im Parlament und dann in der Regierung möglich ist, diese Dinge umzusetzen. Also da liegt meiner Meinung nach eher das Problem, die griechischen Bürger können wie immer am wenigsten dafür.

    Schulz: Die Deutschen profitieren ja umgekehrt argumentiert am stärksten vom Euro. Warum ist das denn in der Diskussion und auch in der Argumentation der CSU eigentlich so gut wie gar nicht vorgekommen?

    Söder: Das ist sehr stark vorgekommen, deswegen haben wir uns ja immer beteiligt an der Debatte auch um Hilfsmaßnahmen. Es war immer ganz klar: zunächst ist Hilfe da, zunächst ist das Angebot da, es hat ja auch schon Hilfen gegeben. Die Frage ist nur auf Dauer, wenn wir den Euro wirklich als eine der Leitwährungen der Welt stark halten wollen, wie wir uns weiter aufstellen. Deswegen gibt es ja auch die gesamten Überlegungen der Kanzlerin, Fiskalpakt, Sanktionen, Schulden abbauen, als die zentrale politische Botschaft. Die Frage ist nur: was passiert, wenn die gemeinsamen Ideen, wenn die Leitplanken nicht mehr greifen können, weil einer der Partner gar nicht mehr in der Lage ist, dies zu erfüllen. Dann muss man sich einfach überlegen, was der bessere Weg ist, und zwar für beide Seiten: für die Selbstachtung der Griechen auf der einen Seite, aber auch für die Stabilität des Euro.

    Schulz: Der bayrische Finanzminister Markus Söder (CSU) heute in den "Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank.

    Söder: Danke.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.