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"Eine Bestätigung der Dominanz der Muslimbrüder"

Der ägyptische Präsident feuert seine wichtigsten Militärs - und zementiert so seine Macht. Wird Mohammed Mursi jetzt ein zweiter Mubarak? "Das ist die große Gefahr", sagt Ronald Meinardus, Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo.

Moderation: Bettina Klein | 13.08.2012
    Bettina Klein: Die Macht der Generäle und des Militärs, sie war und ist ein entscheidender Faktor in Ägypten auch nach dem Sturz von Präsident Mubarak. Dessen gewählter Nachfolger Mursi gehört der Muslimbruderschaft an, der zweite wesentliche Spieler. Beide politischen Lager sind nicht ganz das, was sich viele Aufständische beim Sturz des alten Regimes gewünscht hätten. Dennoch gab es Jubel gestern, als die Meldung die Menschen erreichte, die Macht des Militärs würde geschleift. So hörte es sich an, doch ganz den Tatsachen entspricht das möglicherweise nicht.

    Ronald Meinardus ist Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Wir erreichen ihn zurzeit hier in Deutschland, guten Tag, Herr Meinardus!

    Ronald Meinardus: Schönen guten Tag!

    Klein: Eine Teilentmachtung des ägyptischen Militärs, diese Nachricht klang für viele Ägypter erst mal verheißungsvoll. Zu Recht?

    Meinardus: Also, was wir in diesen Stunden, in diesen Tagen in Ägypten erleben, ist ein politisches Drama mit vielen Kapiteln. Im Vordergrund sicherlich der Umgang mit der militärischen Führung durch den zivilen Präsidenten, eine Entmachtung Tantawis und Anans hat stattgefunden, das ist die alte Garde des ägyptischen Militärs. Wir müssen uns erinnern, Herr Tantawi hat die Macht in Ägypten übernommen, nachdem Hosni Mubarak zurückgetreten ist. Gleichzeitig – und das wird nicht betont, aber es ist ein ganz wichtiger Vorgang – ist die zweite Garde gewissermaßen, sind die Stellvertreter im obersten Militär befördert worden.

    Was also stattgefunden hat, ist eine Verjüngung, und das deutet auch daher auf eine politische Kontinuität und weniger auf einen Bruch hinaus. Neuer Verteidigungsminister etwa ist Abdel Fattah al Sisi, der bisher Chef des militärischen Geheimdienstes war, nicht gerade eine sehr zivile Person. Was nicht stattgefunden hat – und dort bin ich nicht einverstanden mit den O-Tönen, die Sie eingespielt haben –, es hat keine Revolution stattgefunden. Wenn eine Revolution stattgefunden hätte – und das sind auch die Forderungen der Revolutionäre, die es durchaus noch gibt –, dann hätten Herr Tantawi und Herr Anan vor ein Kriegsgericht gestellt werden müssen, denn es gibt viele Beschuldigungen, dass das Militär sich in der Übergangszeit Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht hat.

    Klein: Sie sprechen davon, es sei eine Verjüngung und keine Entmachtung. Was halten Sie denn für das Motiv von Mursi?

    Meinardus: Ja, es ist sicherlich ein Versuch, auch in der Öffentlichkeit sich zu lösen von dem Image, dass letztendlich eine Doppelspitze, eine Doppelführung Ägypten regiert. Wir erinnern uns, dass zurzeit, als Mursi im Juni dieses Jahres zum Präsidenten gekürt wurde, das Militär kurzer Hand die Verfassung geändert hat und die legislative Macht an sich gerissen hat. Und in der Öffentlichkeit galt Feldmarschall Tantawi immer als der heimliche starke Mann Ägyptens. Dieses Bild hat sich nun geändert und es sind Menschen jetzt an der Führung, die gewissermaßen auch abhängig sind in der Form von Mursi, weil sie von ihm ernannt worden sind.

    Das Timing ist ganz interessant. Was hier stattfindet, ist auf dem Höhepunkt des Ramadan – das ist vergleichbar bei uns mit Weihnachten und eigentlich eine eher nachrichtenarme Zeit –, anderthalb Monate nur nach dem Amtsantritt von Herrn Mursi findet dieses statt, und – ganz wichtig, entscheidend – eine Woche nach der Eskalation der Sinai-Krise, wo 16 Grenzsoldaten von Terroristen getötet worden sind. Und da hat sich schon gezeigt, dass das ägyptische Militär offenbar nicht 100-prozentig die Kontrolle hat. Und das, was ...

    Klein: ... und was bedeutet dieses Timing jetzt?

    Meinardus: Das ist eine günstige Gelegenheit für Herrn Mursi, zu zeigen, dass er unter Kontrolle ist und dass er die in der Öffentlichkeit geschwächte militärische Führung austauschen kann.

    Klein: Wird sich denn irgendetwas ändern oder haben wir es mit einer Art Farce zu tun, die auf offener Bühne gespielt wird, um die eigentlichen Machtbestrebungen – oder sagen wir neutral: Vorgänge – zu verschleiern?

    Meinardus: Ja, das werden wir in den nächsten Tagen feststellen. Die Tatsache, dass Herr Tantawi und Herr Anan mit dem Schrecken davonkommen gewissermaßen, ist schon ein Indiz, dass es ein wie auch immer geartetes Abkommen zwischen den beiden rechtlichen Institutionen in Ägypten gibt. Die große Frage, die sich immer gestellt wird, ist: Wird die Muslimbruderschaft an die Privilegien der Militärs gehen? Die Militärs kontrollieren etwa 30 bis 40 Prozent der ägyptischen Volkswirtschaft und wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehen, ob an diese Privilegien, die dysfunktional sind für ein modernes Staatswesen, herangegangen wird. Erst dann werden wir wissen, ob es sich tatsächlich um den Anfang einer echten Revolution handelt.

    Klein: Stichwort weniger Privilegien für das Militär: Auch das klang ja in den Ohren vieler erst mal verheißungsvoll. Nun heißt es, das war abgesprochen. Was ist also der Hintergrund dafür?

    Meinardus: Ja, der Hintergrund dafür ist, dass die Muslimbrüder natürlich verunsichert sind. Das Militär hat über Jahrzehnte das Land regiert und Herr Mursi hat auch alles versucht, um zu beschwichtigen, hat gesagt, diese Aktion sei nicht gegen eine gewisse Person gerichtet, es gelte, die Stärke des Vaterlandes wiederherzustellen, es gelte, dafür zu sorgen, dass das Militär sich auf seine Hauptaufgabe, nämlich den Schutz der Grenzen fokussieren kann. Also, das ist die Stoßrichtung. Die Muslimbruderschaft und Herr Mursi sind in diesem Moment nicht daran interessiert, den Konflikt mit dem Militär zu eskalieren.

    Klein: Aber die Kritik von der anderen Seite lautet nun wiederum, der Präsident ziehe alle Macht an sich. Sind diejenigen Juristen, die das jetzt beklagen, alles Anhänger des Militärs beziehungsweise des alten Systems und ohnehin nicht glaubwürdig?

    Meinardus: Nein, das stimmt ganz und gar nicht. Tatsächlich hat jetzt der Präsident – und das ist der zweite Schritt dieses Dramas, das zweite Kapitel – ja die Übergangsverfassung des Juni diesen Jahres außer Kraft gesetzt. Das Militär hatte im Juni die gesamten legislativen Kompetenzen an sich gerissen. Wir müssen wissen, dass es in Ägypten im Moment kein Parlament gibt, die ganzen legislativen Kompetenzen liegen nun beim Präsidenten. Das heißt, die Gewaltenteilung, die für eine funktionierende Demokratie so wichtig ist, ist in Ägypten außer Kraft gesetzt. Es ist jetzt sehr wichtig zu beobachten, wie Mursi mit dem Obersten Gericht umgeht. Das Oberste Gericht gilt noch gewissermaßen als eine Bastion der Mubarak-Anhänger. Wenn jetzt Mursi sich auch an das Oberste Gericht heranmacht – und er hätte die Möglichkeiten –, dann wird es um die Gewaltenteilung und letztendlich möglicherweise auch um die Demokratie in Ägypten sehr dunkel.

    Klein: Unter dem Strich, Herr Meinardus, wie bewerten Sie das Kräfteverhalten jetzt im Augenblick zwischen Muslimbruderschaft auf der einen Seite, Militär auf der anderen und vielleicht auch denjenigen, die eigentlich den Sturz Mubaraks damals angezettelt haben?

    Meinardus: Also, diese, die Letztgenannten sind total marginalisiert. Sie spielen in dieser Rechnung gar keine Rolle, weil sie letztendlich auch keine Strategie haben. Sie wissen nicht, wohin sie wollen, insofern spielen sie keine Rolle. Es ist eine gewisse Normalisierung. Es war eine Dysfunktionalität, eine Doppelherrschaft zu haben und tatsächlich hat Herr Mursi – und das müssen wir ohne Scheuklappen feststellen – natürlich ein demokratisches Mandat, das Militär hatte dies nicht. Und insofern ist es eine Normalisierung, er ist Staatspräsident und hat durchaus die Möglichkeit, auch seine Minister auszutauschen. Insofern ist es eine Bestätigung der Dominanz der Muslimbrüder und ihres Präsidenten im politischen Geschehen und politischen System Ägyptens.

    Klein: Aber ist Mursi dann doch irgendwie eine Art zweiter Mubarak?

    Meinardus: Das ist die große Gefahr. Und das werden wir in den nächsten Wochen sehen. Die Opposition, die säkulare, nicht islamistische Opposition hat für den 24. August zu einem großen Massenprotest aufgerufen. Wir dürfen nicht vergessen, dass bei den Präsidentschaftswahlen 48 Prozent der Ägypter, die gewählt haben, für einen anderen Kandidaten als Mohammed Mursi abgestimmt haben, ausgerechnet einen Kandidaten des alten Regimes. Insofern, es gibt große Opposition gegen die Muslimbruderschaft, es gibt große Opposition gegen Herrn Mursi und wir werden in den nächsten Wochen und Monaten sehen, wie das ausgespielt wird. Auf jeden Fall wird Ägypten weiterhin ein sehr, sehr heißes Thema bleiben.

    Klein: Ronald Meinardus, der Leiter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Kairo. Ich bedanke mich sehr für das Gespräch, Herr Meinardus!

    Meinardus: Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.