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"Eine billige Rentenkürzung soll es nicht werden"

Die SPD schob die Rente mit 67 maßgeblich an, jetzt soll ein Kompromiss her: Erst wenn genügend Ältere in Arbeit sind, soll die längere Arbeitszeit kommen. Gesetze muss man den Realitäten anpassen, rechtfertigt Johannes Kahrs die Aufweichung.

20.08.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Hartz IV und die Rente mit 67, das sind die beiden Themen, die laut einer internen Mitgliederbefragung der SPD fast das Genick gebrochen hätten. Kein Wunder, dass SPD-Chef Gabriel hier möglichst schnell Korrekturen will. Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier jedoch bestand zuletzt im Deutschlandfunk darauf: Die Deutschen müssten sich darauf einstellen, länger zu arbeiten. Die Neuauflage eines erbitterten Streites drohte, das Umfragehoch für die Sozialdemokraten jäh zu beenden. Doch nun gibt es einen Kompromiss, der am Montag im Präsidium präsentiert werden soll und über den nun heftig gestritten wird.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Johannes Kahrs. Er ist der Sprecher des Seeheimer Kreises, also des konservativen Flügels der SPD. Guten Morgen, Herr Kahrs.

    Johannes Kahrs: Moin!

    Heckmann: Starten soll die Rente mit 67 also nicht 2012 wie vorgesehen, sondern erst 2015, wenn überhaupt. Unions-Fraktionschef Volker Kauder sagt, die SPD schiebt Frank-Walter Steinmeier zur Seite und kehrt zurück zur Ideologie.

    Kahrs: Na ja, wir kennen Herrn Kauder, wir wissen, was die jetzige Koalition leistet, und eine Reform hat sie bisher noch nicht auf die Reihe gebracht. Deswegen, finde ich, ist die Union nicht daran, nun uns hier in dieser Frage zu kritisieren, die sollte lieber ihre eigenen Hausaufgaben machen.

    Heckmann: Aber fest steht: die SPD wendet sich ab von einer Reform, der sie selbst zugestimmt hat, wie Sie persönlich selbst im Bundestag auch.

    Kahrs: Also erstens wendet die SPD sich nicht ab. Zweitens hat die SPD dieser Reform nicht nur zugestimmt, sie hat sie sich faktisch auch mit ausgedacht und durchgesetzt, was auch richtig und gut ist. Und drittens ist es so, dass wir, als wir diese Reform gemacht haben, extra reingeschrieben haben, dass man diese Reform zu einem bestimmten Zeitpunkt, nämlich jetzt, auch überprüfen soll, ob die Voraussetzungen für diese Reform stimmen.

    Heckmann: Aber es stand nicht darin, dass die Rente mit 67, der Einstieg darin, zumindest erst 2015 starten soll, sondern 2012.

    Kahrs: Ja, natürlich. Aber es stand auch drin, und das ist für mich wichtig, dass wir überprüfen, ob denn die Voraussetzungen gegeben sind. Und wenn man sagt, wir steigen jetzt einfach ein, dann ist das für viele eine einfache Rentenkürzung. Wir sagen, dass man aber auch bei den 60- bis 64-Jährigen erst mal gucken muss, ob die überhaupt eine Chance haben, wieder Arbeit zu finden, und derzeit sind knappe 21 Prozent der 60- bis 64-Jährigen überhaupt in Arbeit. Das heißt, wir sagen, die Regierung, wir alle müssen uns darum kümmern, Älteren eine Chance zu geben, sie in Arbeit zu bringen, sie in Arbeit zu halten, und dann macht es auch Sinn – das hat ja Frank-Walter Steinmeier gesagt -, länger zu arbeiten. Anders kriegen wir die Rente nicht finanziert. Aber eben auch erst dann, weil eine billige Rentenkürzung soll es nicht werden.

    Heckmann: Im Gesetz steht in der Tat drin, dass die Lage älterer Arbeitnehmer überprüft werden soll und auch regelmäßig Berichte erstellt werden sollen. Es steht aber nicht drin die Hürde von 50 Prozent, dass 50 Prozent der über 60-Jährigen einen sozialversicherungspflichtigen Job haben müssen, um den Einstieg in die Rente mit 67 zu starten. Also insofern: Die SPD robbt sich davon?

    Kahrs: Ich glaube nicht, dass die SPD sich davonrobbt, sondern wir haben diese Reform ja erfunden, wir haben sie durchgesetzt, Franz Müntefering hat sich dafür eingesetzt. Aber die Voraussetzung war immer, dass man den Menschen auch überhaupt die Möglichkeit gibt, in Arbeit zu bleiben. Wenn sie aber nicht in Arbeit sind, ist das eine Rentenkürzung, und deswegen haben wir damals schon dafür gesorgt, dass es spezielle Programme gegeben hat, die Älteren die Chance geben, in Arbeit zu kommen. Für diejenigen, die sowieso schon 45 Lebensjahre gearbeitet haben und 65 geworden sind, gilt die Rente mit 67 auch nicht. Das war damals auch schon klar. Das heißt, es war immer klar, dass Rente mit 67 dafür sorgen soll, dass die, die später anfangen zu arbeiten, wenn sie können, auch länger arbeiten sollen. Ganz klar war aber auch, dass sie überhaupt die Chance haben müssen.

    Heckmann: Der frühere Arbeits- und Sozialminister Franz Müntefering schreibt jetzt in einem internen Brief an die SPD, jetzt die Dynamik zu unterbrechen, wäre ein defensives Signal. Gut für die Glaubwürdigkeit der SPD und der Politik insgesamt wäre das nicht?

    Kahrs: In der Sache hat er recht. Natürlich ist es defensiv. Aber die Realität ist so! Das heißt, man darf ja an den Realitäten nicht vorbeigehen. Wenn nur 21 Prozent der 60- bis 64-Jährigen in Arbeit sind, glauben wir als Sozialdemokraten, muss man dafür sorgen, dass man den Älteren eine Chance gibt, dass sie arbeiten können, und ich glaube, dass hier die Bundesregierung, die Wirtschaft, die ganze Gesellschaft gefragt ist, Älteren die Chance zu geben, Arbeitsplätze anzubieten. Deswegen haben wir damals ja auch ein Programm gestartet, was heißt, "gute Arbeit". Das heißt, man muss Arbeit so gestalten, dass Ältere dort auch arbeiten können, dass es altersgerecht ist und möglich ist. Wir haben diesen demografischen Faktor, die Menschen werden immer älter, wir haben weniger Jüngere. Das heißt, wir haben auch ein eigenes Interesse daran.

    Heckmann: Man muss die Realitäten zur Kenntnis nehmen, haben Sie gerade eben gesagt. Gehört zu diesen Realitäten nicht aber auch, dass, wenn die Rente mit 67 einmal verschoben wird, die Gefahr doch sehr groß ist, dass sie noch einmal oder ein zweites Mal verschoben wird. Das sieht offenbar Franz Müntefering auch so, denn er hat in seinem Brief formuliert, das Augenzwinkern sei kaum zu übersehen.

    Kahrs: Ich glaube, dass man sich genau angucken muss, was in diesem Kompromiss steht. Es steht drin, dass an dem Jahr 2029 – das ist ja das Jahr, in dem die Rente mit 67 voll in Kraft tritt – nicht gerüttelt wird und an dem Einstieg so lange gerüttelt wird, bis wir es schaffen, die Älteren in Arbeit zu bringen. Ansonsten stimmt ja die Voraussetzung für die Reform nicht. Rente mit 67 heißt ja, die Menschen sollen bis 67 arbeiten. Wenn aber nur 21 Prozent der Zielgruppe real in Arbeit sind, bedeutet es für den Rest doch nur, dass die Rente gekürzt wird. Das kann es nicht sein, sondern dann muss die Gesellschaft die Hausaufgaben tun, die sie bisher nicht geschafft hat. Wir hatten eine Wirtschaftskrise, mit der wir nicht gerechnet hatten. Das ist nun mal so. Da muss man Realitäten zur Kenntnis nehmen und Gesetze auch den Realitäten anpassen. Ich finde es auch immer ganz lustig, dass jetzt daraus ein großer Konflikt zwischen Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel und der Partei und weiß der Geier was gemacht wird. Wir haben das damals reingeschrieben, wir haben gesagt, man muss sich die Realitäten angucken, sich den Realitäten stellen, und ich finde, dass die CDU da jetzt rummäkelt, die in der ganzen Zeit, wo sie regiert mit der FDP, nichts Gutes für die Menschen hinbekommen hat, das ist schon geradezu abenteuerlich.

    Heckmann: Herr Kahrs, der Parteilinken reicht der Vorschlag nicht. Sie sagt, was nützt die Verschiebung, wenn 2029 dann die Rente mit 67 eingeführt wird und greift. Klaus Wowereit fordert eine Rückkehr zur Rente mit 65. Björn Böhning fordert, dass eine Aussetzung formal beschlossen wird bei dem Parteitag. Wird das kommen?

    Kahrs: Auf dem Parteitag wird ja anstehen, ob man denn dann diese Kommission einsetzt, wo Ottmar Schreiner, Olaf Scholz und andere drin sind, die denn dann die Bedingungen erarbeiten, nach denen das letztendlich läuft. Ich glaube, dass man immer gucken muss, dass man in einer Partei bestimmte Ergebnisse gemeinsam erarbeitet. Die offene Feldschlacht hilft in der Sache in der Regel selten. Deswegen müssen wir gucken, dass wir den Kompromiss hinkriegen. Und wenn man sagt, dass 50 Prozent der 60- bis 64-Jährigen in Arbeit sein sollen, dann muss man auch gucken, ob das dann eben im Jahre 2015 so ist. Wir glauben als Sozialdemokraten, dass wir alle was dafür tun müssen. Wir brauchen jetzt keine parteiinterne Auseinandersetzung, sondern das gemeinsame Engagement aller, das nach vorne zu bringen.

    Heckmann: Johannes Kahrs, der Sprecher des Seeheimer Kreises, war das hier im Deutschlandfunk-Interview. Besten Dank für das Gespräch.