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"Eine eigene Sprache für sich"

Der gelernte Anästhesist und Regisseur Tugsal Mogul bringt den Klinikalltag seit 15 Jahren auf die Bühne. Nun feierte sein neuestes Stück, "Das Summen der Montagswürmer", im Berliner Ballhaus Naunynstraße Premiere.

Von Michael Meyer | 11.10.2013
    Nazim, ein alter Mann, betritt die Bühne. Im Anzug, graue Haare – es geht ihm nicht gut. Er erzählt davon, wie er selbst in diesem Krankenhaus mal gearbeitet hat, als Rettungssanitäter - lange ist das her - und doch: Deutsch hat er nie richtig gelernt. Kurz darauf treten zwei junge Frauen auf, die eine Krankenhauscontrollerin, die andere Ärztin:

    "Wir haben eine Patientin aufgenommen, die mit einer akuten Appendizitis zu uns in die Klinik kam. Bei starker Schmerzsymptomatik bekam die Patientin hoch dosiert Analgetika." - "Die restriktiven ökonomischen Rahmenbedingungen begründen auch im Jahr 2013, dass kein zusätzliches zentrales Budget zur Unterstützung von Zertifizierungsverfahren definiert werden kann."

    Lauter Worthülsen, hinter denen sich Schicksale verbergen. Ein Krankenhaus ist eben auch nur ein Betrieb, der sich rechnen muss – und auf die Bedürfnisse der Patienten wird nicht viel Rücksicht genommen. Zwei ältere Türkinnen beklagen sich darüber auf dem Flur:

    "Kannst du dich noch an Sezen erinnern? Klagte immer über Ganzkörperschmerz. War immer wehleidig und klagend. Alle nannten sie schon Morbus Bosporus. Bei der zehnten Klage hatte diese Frau einen Herzinfarkt und niemand hat es bemerkt. Aber bei dem Infarkt und der Reanimation war ich schon nicht mehr hier tätig. Und alle dachten, sie hätte ´ne Psychose!"

    Der zweite Teil des Stücks verbindet die Geschichten des Krankenhauses zu einer Familiengeschichte, in der alle auftretenden Personen vorkommen: Nazim, der alte Herr, der am Anfang die Szene betritt, ist der Mann, Vater, Großvater der Ärztin, der Controllerin und der ehemaligen Putzfrau. Seine Diagnose: Krebs und schon weit fortgeschritten.

    Regisseur Tugsal Mogul ist gelernter Anästhesist. Er befasst sich seit 15 Jahren mit Geschichten aus dem Klinikalltag und bringt sie auf die Bühne. In diesem Stück, "Das Summen der Montagswürmer" geht es auch um die Geschichten der türkischen Community, die Sprachprobleme oder wenn junge Türkinnen nach einem Partywochenende aus lauter schlechtem Gewissen mit allen möglichen psychosomatischen Krankheiten in die Notaufnahme kommen. Daher auch der Titel des Stücks. Dieses Phänomen ist sogar durch Studien belegt, erzählt Tugsal Mogul. Daneben gebe es aber natürlich auch andere Geschichten über ältere Patienten:

    "Überall, in jeder Großstadt, wo es Migranten gibt, da gibt es auch Probleme in Kliniken. Ich habe ja selber fünfeinhalb Wochen im Juli im Urban-Krankenhaus in der Rettungsstelle gearbeitet, und hab’s ja auch mitgekriegt, was da für Probleme sind, wenn man die Sprache nicht kann, als Patient. Und viele 75-Jährige die jetzt auch hier, die erste Generation, die wird jetzt alt, in das Alter, in das sie in die Rettungsstellen oft kommen, und da gibt es wirklich oft Probleme, habe ich gemerkt, wo ein Dolmetscher mal hingehört."

    Mogul hat seine Schauspieler einige Tage zur Hospitanz ins Krankenhaus geschickt – denn ein solches Stück könne man viel besser spielen, wenn man sich im Metier ein wenig auskennt. Melek Erenay, die im Stück die Ärztin und Tochter von Nazim spielt, hat den schwersten Text zu sprechen, sie muss die ganzen Fachbegriffe herunterspulen:

    "Es gibt tatsächlich eine Medizinersprache, das man sagt das Abdomen, die Gastro, dass man wirklich in solche Fallen tappt, dass diese Sprache so normal und geläufig ist, dass es wirklich ins Blut übergeht, das war hier jetzt vielleicht extrem, weil es alles auf einmal war, aber das ist schon eine eigene Sprache für sich."

    Am Schluss findet die Familie wieder zusammen – die Krankheit und der Tod lassen alte Konflikte vergessen – so endet das Stück, das neben den tragischen Momenten auch sehr lustige Passagen hat, versöhnlich.

    "Das war’s. Macht bitte die Fenster auf … damit seine Seele hinausfliegen kann."