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Eine "Enttäuschung für Betroffene sexualisierter Gewalt"

Er bedauere es, dass die Studie zum sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche nicht fortgeführt werde, sagt der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig. Es bedeute einen Vertrauensverlust bei Betroffenen - das Geschehen müsse aufgearbeitet werden.

Das Gespräch führte Dirk-Oliver Heckmann | 09.01.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Zwei Jahre ist es her, da erschütterte ein Skandal die Republik, dessen Ausmaße sich wohl kaum jemand vorstellen konnte. Jahrzehntelang sind Hunderte von Kindern und Jugendlichen von Priestern und Angestellten katholischer Einrichtungen sexuell missbraucht worden. Sind Fälle aufgeflogen, haben die Verantwortlichen oft weggeschaut oder nur halbherzig reagiert. Schon die Verhandlungen über die Entschädigung der Opfer sind aus Sicht der Opferverbände enttäuschend verlaufen. Jetzt sind die Bemühungen, den Missbrauch auch wissenschaftlich aufzuarbeiten, gescheitert.
    Johannes-Wilhelm Rörig ist Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung, und ihn habe ich vor dieser Sendung gefragt, was er denn gedacht hat, als er vom Scheitern der Missbrauchsaufklärung gehört hat.

    Johannes-Wilhelm Rörig: ... , dass ich das sehr bedauere, dass dieses Forschungsprojekt nicht gemeinsam fortgeführt werden kann, denn das Forschungsprojekt wird von mir positiv bewertet, auch wenn beim damaligen Start vielleicht einige kritische Stimmen von Betroffenen geäußert worden sind. Ich fand, es war damals ein sehr wichtiges Signal, dass die katholische Kirche schnell bereit war, dieses Forschungsprojekt, dieses kriminologische Forschungsprojekt in Auftrag zu geben.

    Heckmann: Und ist die Entwicklung jetzt eine Bestätigung dafür, dass die katholische Kirche die Aufklärung blockiert aus Ihrer Sicht?

    Rörig: Es ist zunächst erst mal ein nächster Baustein der Enttäuschung für Betroffene sexualisierter Gewalt und es ist ein Vertrauensverlust. Wir haben letztes Jahr die Verlegung des Runden Tisches zur Kenntnis nehmen müssen, das hat Betroffene sehr enttäuscht. Wir haben bis heute nicht das ergänzende Hilfesystem und auch das StORMG, also das Gesetz zur Stärkung der Rechte Betroffener, ist bis heute noch nicht in Kraft getreten, und da ist das natürlich jetzt ein weiterer Baustein, der zu Enttäuschung und Vertrauensverlust bei Betroffenen führt.

    Heckmann: Das ist noch keine Antwort auf meine Frage, Herr Rörig. Sind Sie der Ansicht, haben Sie den Eindruck, dass die katholische Kirche die Aufklärung blockiert?

    Rörig: Ich kann das im Detail im Moment nicht einschätzen, was die Deutsche Bischofskonferenz dazu geführt hat zu sagen, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Professor Pfeiffer und der KFN und der Bischofskonferenz zerrüttet hat. Insofern kann ich da keine klare und abschließende Beurteilung zum jetzigen Zeitpunkt abgeben.

    Heckmann: Aber andererseits hat Christian Pfeiffer bei uns auch im Programm heute Morgen gesagt, die katholische Kirche habe seine Texte vorab einsehen und zensieren wollen und auch Einfluss nehmen wollen auf die Wahl seiner Mitarbeiter bei dem Forschungsprojekt. Wie kommt ein solches Verhalten bei Ihnen an?

    Rörig: Wichtig ist, dass ein solches Forschungsprojekt wissenschaftlich unabhängig durchgeführt werden kann - das ist Grundsatz der Forschung -, und dass die Ergebnisse hinterher veröffentlicht werden können. Schade ist es, dass es einen Dissens zwischen den beiden Vertragspartnern über die Auslegung des Vertrages gibt und dass das jetzt dazu führt, dass dieses ja sehr gut begonnene Forschungsprojekt jetzt nicht zu Ende geführt werden kann.

    Heckmann: Pfeiffer sagte auch, einige hätten offenbar nicht gewollt, dass die Missbrauchsfälle aufgeklärt werden, und er nannte da unter anderem München. Haben Sie den Eindruck, dass der Wille innerhalb der katholischen Kirche durchgängig da ist, diesen Skandal wirklich aufzuarbeiten?

    Rörig: Ich bin überrascht, dass die katholische Kirche hier zur Kündigung des Forschungsprojekts kommt, weil damit natürlich das Signal ausgesendet wird, wie Sie es eben formuliert haben. Ich hatte bisher den Eindruck, aufgrund der verschiedenen Forschungsprojekte, die die katholische Kirche durchführt – das ist ja nicht das Einzige, es gab ja auch das forensische Forschungsprojekt von Dr. Leygraf und auch einzelne Orden haben ja Forschungsprojekte in Auftrag gegeben und Berichte erstellt -, bin ich der Meinung, dass man aus der Gesamtsicht nicht davon ausgehen kann, dass die Kirche jetzt mit der Aufarbeitung Schluss macht. Wir haben beispielsweise mit der Deutschen Bischofskonferenz vereinbart, also mit Bischof Ackermann vereinbart, dass sie sich auch an unserem Hearing, was wir durchführen, zum Thema Aufarbeitung beteiligen wird.

    Heckmann: Sie haben also nicht den Eindruck, dass die gesamte katholische Kirche hier blockiert. Aber gibt es einzelne Teile der Organisation, die aus Ihrer Sicht blockieren?

    Rörig: Der Eindruck wird im Moment jedenfalls vermittelt.

    Heckmann: Und was schließen Sie daraus?

    Rörig: ... , dass allen klar sein muss, dass das Missbrauchsgeschehen aus der Vergangenheit unabhängig und umfassend und systematisch aufgearbeitet werden muss, über die Institutionen auch hinaus und auch für den familiären Bereich, und auch die katholische Kirche muss sich für diesen Bereich engagieren, sie muss Vertrauen und Glaubwürdigkeit wiederherstellen und bei den Betroffenen auch genau dieses Vertrauen erzeugen.

    Heckmann: Christian Pfeiffer, Herr Rörig, hat auch gesagt, er habe Hinweise darauf, dass Akten zu Missbrauchsfällen zumindest in einzelnen Diözesen offenbar gelöscht worden sind. Wie passt das mit dem Anspruch zusammen, diesen ganzen Skandal wirklich systematisch aufzuarbeiten, wie Sie gerade eben gesagt haben?

    Rörig: Ich habe keine sichere Erkenntnis, dass tatsächlich gelöscht oder geschreddert wurde. Wenn ich das richtig zur Kenntnis genommen habe, hat ja genau Herr Professor Pfeiffer das nachgefragt. Und wenn Akten geschreddert werden in einem laufenden Verfahren, ist dieses auf jeden Fall negativ zu bewerten.

    Heckmann: Wie soll es denn jetzt weitergehen?

    Rörig: Die Deutsche Bischofskonferenz hat selbst gestern verlautbart, dass sie das Forschungsprojekt fortsetzen will. Da wird genau drauf zu achten sein und ich werde genau auch darauf schauen, dass wissenschaftliche Unabhängigkeit gewährt wird und dass dieses Forschungsprojekt dann qualitativ anspruchsvoll zu Ende gebracht wird.

    Heckmann: Und glauben Sie, dass das noch geschehen kann?

    Rörig: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

    Heckmann: Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, war das im Deutschlandfunk. Herr Rörig, ich danke Ihnen für das Gespräch!

    Rörig: Auch Ihnen herzlichen Dank.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.