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"Eine etwas blödsinnige und banale Geschichte"

"Zwei Penner mit durchschnittener Kehle an der Porte de la Chapelle, die sind für mich Adamsberg", hatte Mortier erklärt. "Zumal ein Schwarzer mit von der Partie ist. Du solltest sie mir übergeben, worauf wartest du noch? Soll's Weihnachten darüber werden?"

Von Ingrid Müller-Münch | 24.04.2007
    "Ich warte, bis ich weiß, warum sie Erde unter den Fingernägeln hatten".

    Zoff in der Pariser Kriminalbrigade. Die Leichen von zwei Mordopfern werden sowohl von den Drogenfahndern als auch von der Mordkommission reklamiert. Waren es Drogendealer oder gab es andere Gründe für ihren Tod? Wer jemals zuvor Kontakt mit Jean-Baptiste Adamsberg hatte, diesem dickköpfigen, tiefsinnigen Pariser Kommissar, der weiß längst, wer hier den richtigen Riecher hat - in diesem soeben erschienenen Krimi der Pariser Bestsellerautorin Fred Vargas: "Die dritte Jungfrau".

    Als Fred Vargas kürzlich in Köln war, las die Schauspielerin Anna Thalbach die Stelle, an der Adamsberg seinen kleinen Sohn hütet.

    " Sein Mobiltelefon klingelte. Die Gerichtsmedizinerin, hellwach, rief ihn aus dem Leichenschauhaus an.
    "Einen Augenblick, Ariane, ich lege den Kleinen ab."
    "Die Schnittwunde an der Kehle liegt waagerecht. Die Hand, die die Klinge hielt, befand sich demnach weder allzu sehr über der Einstichstelle noch allzu sehr darunter, was eine schräge Wunde ergeben hätte. Kannst du folgen?"
    "Natürlich", sagte Adamsberg, während er weiter mit den Zehen des Babys spielte, rund wie junge Erbsen, die aufgereiht in ihrer Schote lagen. Er legte sich aufs Bett, um den Schwingungen in Arianes Stimme zuzuhören. Offen gestanden waren ihm die technischen Schritte, in denen die Medizinerin vorgegangen war, vollkommen gleichgültig, er wollte einfach nur wissen, warum sie eine Frau vermutete. "

    Eine Frau soll also die Mörderin sein. In einer Geschichte, die wieder so quer gedacht, so schräg konstruiert ist, dass die Autorin selbst sie gar nicht nacherzählen kann.

    " UUUH, wenn man die Geschichte erzählt, hört sie sich dermaßen bescheuert an. Die Handlung ist wichtig, aber eigentlich geht es um die Art, wie sie erzählt ist. Der Stil macht sie aus. Wenn ich sie ihnen also zusammenfassend schildern würde, bliebe nichts als eine etwas blödsinnige und banale Geschichte übrig. "

    Eine blödsinnige und banale Geschichte, die im vergangenen Sommer in Frankreich unter dem Originaltitel "Dans les bois éternels" Hitzehit der französischen Buchhandlung war. Und die zunächst mit dem Tod der beiden Penner an der Porte de la Chapelle beginnen sollte.

    " Zunächst fing das Buch damit an. Mich hat das gelangweilt. Aber ich habe weitergemacht, das Buch zu Ende geschrieben. Hab es durchgelesen, und mich wieder genauso wie zu Beginn gelangweilt. Also hab ich das erste Kapitel umgeschrieben und umgeschrieben. Es war nichts zu machen. Ich habe dann einfach noch ein Kapitel davorgesetzt, habe Adamsberg umziehen lassen, habe einen alten Nachbarn erfunden, einen Spanier, dem ein Arm fehlt. Und genau auf diesem fehlenden Arm spürt der immer noch einen Spinnenstich, der ihn juckt. Und den er kratzt, sozusagen ins Leere hinein. "

    Schon bald stellt sich heraus, dass der Dreck unter den Fingernägeln der beiden Toten von den Gräbern zweier ältlicher Damen stammt, die erst kürzlich auf mysteriöse Weise verstarben. Sturmresistente Jungfrauen, wie ihre Umgebung behauptet. Niemand weiß, was diese beiden mit dem Tod der Penner zu tun haben. Etwa zeitgleich werden in der Normandie, weit weg von Paris, Hirsche brutal massakriert. Adamsberg muss dorthin reisen, trifft in einem normannischen Café auf echte normannische Dickköpfe.

    ""Wir mögen Bullen hier nicht sonderlich", sagte Angelbert, immer noch mit unbeweglichem Arm.
    "Nirgendwo mag man sie" präzisierte Adamsberg.
    "Hier noch weniger als anderswo".
    "Ich habe nicht gesagt, dass ich Bullen mag, ich sagte, ich sei einer".
    "Du magst sie nicht?"
    "Wozu?"
    Der Alte kniff die Augen fest zusammen, sammelte all seine Konzentration für dieses unerwartete Duell.
    "Aber wieso bist du's dann?"
    "Aus Unhöflichkeit."
    Die Antwort, sie kam schnell, kapierte keiner der Männer, nicht mal Adamsberg selbst, der Mühe gehabt hätte, seine eigenen Worte zu erklären. Doch keiner wagte es, sein Unverständnis auszudrücken."

    So muss sich der Kommissar denn zeitgleich mit geöffneten Gräbern, massakrierten Hirschen, einem Wässerchen zur Erhaltung des ewigen Lebens und seiner eigenen Vergangenheit herumschlagen. Langsam wird ihm dabei klar, dass all diese Ereignisse miteinander zu tun haben. Auf die Frage, ob sie diesen Adamsberg eigentlich verstehe, antwortet Fred Vargas:

    " Nein, nicht wirklich. Denn ich kenne ihn nicht gut. Ich bin da auf dem gleichen Kenntnisstand wie meine Leser. Ich weiß nicht, was im nächsten Buch mit ihm passieren wird. Da habe ich nichts vorgesehen. Mir ist inzwischen nur klar geworden, dass er eine Art Gegenpol zu mir darstellt. Er ist eher langsam, unfähig logisch und analytisch zu denken. Er ist in der Lage, die Zeit besinnlich dahinstreichen zu lassen. Dazu bin ich einfach nicht fähig. Selbst angesichts der schönsten Landschaft werfe ich gerade mal einen Blick auf die Gegend, nach zwei Minuten muss etwas anderes tun. Während Adamsberg in der Lage ist, stundenlang am Ufer eines Flusses zu verweilen. Dafür bewundere ich ihn."

    Fred Vargas ist Besinnlichkeit oder Kontemplation fremd. Sie ist Wissenschaftlerin und Archäologin, hat jahrelang an der Pestforschung gearbeitet, sich kürzlich erst für fünf Jahre beurlauben lassen. Ihren größten Spaß hat sie, wenn sie innerhalb von drei Wochen einen Krimi schreibt.

    " Manchmal lache ich so vor mich hin. Denn wenn ich nicht lachen würde, gäbe es ja auch nichts, über dass der Leser lachen könnte. Was das angeht muss ich übrigens höllisch aufpassen. Zuviel Humor schadet der Spannung. Wenn man zuviel lacht hat man keine Angst mehr. Aber man muss in einem Krimi Angst haben, zumindest muss man angespannt sein. Also muss ich mich, was den Humor angeht, zurückhalten, um die Spannung nicht zu zerstören. "

    Sie weiß um die zentrale Aufgabe eines Krimis. Achtet sorgsam darauf, dass ihre Romane dieser Aufgabe auch gerecht werden.

    "Das Ziel eines Krimis ist es, uns zu trösten. In seinem Zentrum steht die Gefahr aber auch die Lösung. Ich bin immer davon ausgegangen, dass der Krimi die älteste Literaturform der Welt ist. Selbst die prähistorischen Menschen unterhielten sich darüber, wo eine Gefahr lauere und überlegten, was nun zu tun sei. Indem man eine Lösung dadurch findet, dass man sich eine Geschichte erzählt, schöpft man Mut für den kommenden Tag. Der Mensch kann nicht überleben, ohne sich Geschichten zu erzählen. Wir verbringen unsere Zeit damit, uns Geschichten über das Leben auszudenken, mit ihrer Hilfe ein Parallelleben zu führen. Mit dem Leben alleine kommen wir nicht zurecht."

    Für Vargas-Fans macht die bewährte Mischung aus Spaß und Spannung auch in ihrem neuesten Krimi die eigentliche Faszination aus. Geboten wird ein zunächst wirr aussehendes Knäuel aus verschlungenen Fährten und einem Kommissar, der durch den Dreck unter den Fingernägeln von zwei toten Männern ein dicht geknüpftes Mordgeflecht entwirrt. Adamsberg gelingt es wieder mal, scheinbar unzusammenhängende Ereignisse schlüssig und nachvollziehbar zu einem Ganzen zu fügen. "Die dritte Jungfrau" - ein Krimi zum schmunzeln, zum zittern, zum mitfühlen bestens geeignet. Und zu guter letzt wird sich herausstellen, dass es die menschlichen Schwächen und ewigen Sehnsüchte sind, die in Mord und Totschlag enden.

    Fred Vargas: "Die dritte Jungfrau"
    Aufbau-Verlag, 2/07, ISBN 978-3-351-03205-0, Ü franz Julia Schoch, 19,95 Euro