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Eine fast fiktive Stadterinnerung

"Barbara Honigmann war im Winter vor zwei Jahren in New York, als Stipendiatin des Deutschen Literaturfonds. Sie fand Zeit, ausgiebig durch das Viertel zu streifen, in dem sie wohnte: das legendäre Greenwich Village mit seinen Bars, Galerien, Jazzclubs. Sie ging herum, traf sich mit einer Freundin aus frühen Tagen, besuchte auch mal eine Party oder Ausstellung, lernte ein paar Leute kennen - was man halt so macht in einer fremden Stadt: nichts Besonderes. Und das beschreibt sie in ihrem neuen Buch. Es ist - wie fast alle ihre Texte - stark autobiografisch gefärbt:"

Von Matthias Kußmann | 02.10.2008
    "Was mich am allermeisten beeindruckt hat, ist dieses überirdische Licht, (...) strahlend blauer Himmel mitten im Winter: Das hab ich noch nie gesehen, das unterscheidet es doch sehr von Europa. (...) Dazu kommen Energieströme, die sich teilweise aus dem Licht speisen (...) und natürlich aus allem anderen: dass die Stadt eben kocht und wirbelt und nie schlafen geht und laut ist, was man alles schon tausendmal gehört hat, aber was tatsächlich sich erfüllt. Aber verbunden mit diesem Licht hat es noch eine ganz andere Dimension..."

    Barbara Honigmann war im Winter vor zwei Jahren in New York, als Stipendiatin des Deutschen Literaturfonds. Zehn Wochen strahlender Sonnenschein - wenn nicht gerade ein Schneesturm wütete. Die Autorin hatte kaum Verpflichtungen. Eine Lesung, ein Seminar mit Studenten, das war´s. Die sogenannten "Sehenswürdigkeiten" der Stadt hatte sie schon früher besucht. So fand sie Zeit, ausgiebig durch das Viertel zu streifen, in dem sie wohnte: das legendäre Greenwich Village mit seinen Bars, Galerien, Jazzclubs. Sie ging herum, traf sich mit einer Freundin aus frühen Tagen, besuchte auch mal eine Party oder Ausstellung, lernte ein paar Leute kennen - was man halt so macht in einer fremden Stadt: nichts Besonderes. Und das beschreibt sie in ihrem neuen Buch "Das überirdische Licht. Rückkehr nach New York". Es ist - wie fast alle ihre Texte - stark autobiografisch gefärbt:

    " Das klingt vielleicht ein bisschen wie ein Herabsetzen: Es ist ja keine richtige Literatur, sondern bloß Autobiografie. Davon hab ich mich inzwischen freigemacht. (...) Meine poetische Quelle ist meine eigene Geschichte. Nicht weil ich die so interessant finde, sondern weil ich die kenne, und andere kenn ich eben nicht. Und dann hab ich vielleicht nicht genug Phantasie, um mir irgendwas auszudenken. Ich hab auch das Gefühl, die Phantasie kann ich dann besser da investieren, wo ich auf niemanden groß Rücksicht nehmen muss. Mit meiner eigenen Geschichte kann ich ja machen, was ich will. Da kommt auch niemand und sagt: "Nein, das war aber nicht so, das war anders" und macht mir gar nen Prozess, oder ich weiß nicht was! Da fühl ich mich irgendwie auch freier."

    Das Buch erzählt kleine Geschichten vor dem Hintergrund einer Welt-Metropole. Vielleicht ist das ja die einzige Möglichkeit, überhaupt noch über eine so oft literarisierte Stadt wie New York zu schreiben: indem man den eigenen Alltag schildert, abseits des Spektakulären und der Sightseeing-Touren - und indem man eine eigene Sprache dafür findet. Bei Barbara Honigmann ist es jenes leise, musikalische Parlando, das wir auch aus ihren andern Büchern kennen. Eine einfache, natürlich wirkende Sprache - die zu schreiben aber harte Arbeit ist:

    " Ich arbeite sehr viel an den Texten. Ich schreibe das mindestens fünf mal, und zwar ganz durch, bis es so fließt. (...) Erst fang ich an zu erzählen, ich muss ja erst mal die Sachen aufs Papier kriegen, die ich überhaupt erzählen will. Dann muss ich meiner inneren Stimme deutlich und immer deutlicher zuhören, um die dann auch wiedergeben zu können."

    Barbara Honigmann wurde 1949 geboren, als Kind assimilierter Juden. Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen sie aus dem Exil zurück und ließen sich in Ost-Berlin nieder, in der Hoffnung auf ein "besseres" Deutschland. Die Hoffnung wurde enttäuscht - und der Vater lebte ständig in Hotels, als sei er jederzeit bereit, das Land wieder zu verlassen. Bis in die 70-er Jahre war Barbara Honigmann Regisseurin und Dramaturgin in Ost-Berlin, am "Deutschen Theater" und der "Volksbühne", dann wurde sie freie Schriftstellerin. Damals wandte sie sich verstärkt ihren jüdischen Wurzeln zu und heiratete Peter Honigmann; er leitet heute das Heidelberger "Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland". 1984 verließen sie die DDR und emigrierten nach Straßburg, wo es eine sehr aktive jüdische Gemeinde gibt. Seitdem bestimmt ein "magisches", doch nicht immer einfaches "Dreieck" das Leben der Autorin - auch bei ihrer New York-Reise:

    " Auf die Frage, "Where do you come from?", damit von Anfang an so viel Klarheit wie möglich geschaffen ist, und vielleicht auch aus einer Art Bekenntnissucht, antworte ich in aller Aufrichtigkeit: "I come from France, but I am a german yew". Die Formelhaftigkeit, in der meine Existenz so ihren Ausdruck findet, beglückt mich. Und sogar in New York bleiben diese Zuordnungen mein magisches Dreieck..."

    ...ein "Dreieck", das es freilich nie ermöglicht, irgendwo ganz zuhause zu sein. Das letzte Wort des neuen Buches lautet: "fremd".

    " Ja. Deswegen steht es ja auch da, find ich auch schön. (...) Irgendwie glaub ich, wenn man sich einmal so rausgerissen hat - sich so ganz einwurzeln, das schafft man dann nicht noch mal. Also in Amerika schaffen sie´s vielleicht noch am ehesten, (...), obwohl, das ist vielleicht auch ne Illusion... Ich will ja gar nicht lamentieren und das Klischee vor mir hertragen: "Ach, ich bin immer fremd!" Das ist vielleicht eine existentielle Fremdheit, die jeder mit sich rum trägt - die man, wenn man sich einmal so bewusst entwurzelt, stärker spürt, als es jeder andere auch spürt oder spüren müsste, wenn er ehrlich wäre, vielleicht..."

    "Rückkehr nach New York": Der Untertitel verweist darauf, dass die Autorin schreibend noch einmal in die Stadt zurückkehrte. Doch schon, als sie dort war, "kehrte" sie in mehrfacher Hinsicht "zurück". New York führte sie immer wieder in die eigene Vergangenheit und die ihrer Familie: Sie traf eine lang verschollene Großtante; im Gespräch mit ihrer Freundin aus der DDR kehrte sie in die wilden 70er Jahre zurück; und auch bei Besuchen in verschiedenen Synagogen sah die praktizierende Jüdin ihre Herkunft gespiegelt.

    " Das war ein ganz großer Zufall: In New York gibt es ja tausend Synagogen aller Arten und Richtungen - und da haben wir auf Anhieb die gefunden, die zu uns passte: (...) Praktizierende Juden, "modern orthodox" nennen die sich selber, das ist auch eine ganz gute Beschreibung - und gleichzeitig eben, was man heute "cool" nennt, also (...) nicht so ne stramme Orthodoxie, deren Lebensstil einfach nicht unsrer ist. (...) Von der Art sind Begegnungen in New York oft, dass man, obwohl alles so übermäßig und überreich und übervoll ist, dass man trotzdem wie durch ein Wunder an dem Platz landet, an den man will, an den man gehört."

    Es müssen gute Wochen gewesen sein in New York. Denn am Schluss überlegt die Erzählerin, wie es wäre, dort zu bleiben und nicht nach Europa zurückzukehren. Der Mythos der Stadt nimmt auch sie gefangen - wie so viele Besucher und Einwanderer vor ihr:

    " Ich hab mich dem Mythos ausgesetzt und dieser Versuchung, das wenigstens zu denken. Es war mir immer klar, dass das nicht realistisch ist, aber ich finde, das gehört zu so einer Erzählung einfach dazu. Die New York-Erzählung ist nicht vollständig, wenn dieser Mythos des Alles-hinter-sich-Lassens nicht darin vorkommt..."

    Barbara Honigmann ist nach Straßburg, ins "alte Europa", zurückgekehrt - und hat eins der schönsten New York-Bücher seit langem geschrieben.