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Eine Folge der "Orbánisierung"

In Luxemburg entscheidet der Europäische Gerichtshof darüber, ob es von Ungarn rechtmäßig war, das Pensionsalter für Richter und Staatsanwälte von 70 auf 62 Jahre herabzusetzen. Die Kritiker des Ministerpräsidenten Viktor Orbán sprechen von einer "Säuberung" der Justiz. Der Vorwurf: Die Regierung wolle unliebsame durch regierungstreue Richter ersetzen.

Von Stephan Ozsváth | 06.11.2012
    Richter und Staatsanwälte in Ungarn konnten bisher arbeiten, bis sie 70 waren. Das hat die nationalkonservative Regierung geändert – und Anfang des Jahres 274 hohe Justizbeamte in Zwangsrente geschickt. Eine Abkehr von ungarischer Rechtstradition, findet der Jurist und Mitbegründer des Budapester Helsinki-Komitees, Peter Hack.

    "Es geht um eine 150-jährige Tradition, mit der die Regierung brach. Auf der Grundlage dieser Tradition konnten Richter, Staatsanwälte und Notare darauf vertrauen, dass sie bis zum Alter von 70 Jahren arbeiten können."

    Die neuen ungarischen Regeln sahen vor, dass hohe Justizbeamte künftig schon mit 62 Jahren in Rente gehen – wie alle anderen auch. Eine Regelung, die auch das ungarische Verfassungsgericht im Sommer kritisierte, Begründung: Eine Schonfrist fehle. Ministerpräsident und Jurist Viktor Orbán sagte nach dem Urteil:

    "Was ich aus den kurzen Nachrichten verstanden habe, ist, dass die drei Rechtsregeln, die die Frage der Pensionierung regeln, nicht im Einklang stehen, dabei geht es um die Verfassung, das Gesetz über die Gerichte und das Rentengesetz. Die müssen wir harmonisieren."

    Doch die Rausschmisse waren damals bereits vollzogen. Und die Geschassten wollten sich mit der Zwangsrente nicht abfinden. Tünde Handó steht seit Jahresbeginn dem mächtigen Landesrichterrat vor – die Ehefrau des Autors der umstrittenen neuen Verfassung entscheidet über Besetzungen von Richterstellen. Und das für die kommenden neun Jahre. Sie sagte im Sommer.

    "Jenen pensionierten Richtern gegenüber, die bereits ihre entsprechenden Papiere bekommen haben, haben wir keine weiteren Verpflichtungen: hinsichtlich des Rechts- oder Dienstverhältnisses. Wenn diese Richter zurück wollen ins Arbeitsleben, müssen sie vor Gericht gehen."

    Was sie auch taten: 200 geschasste Juristen klagten vor ungarischen Gerichten, 150 wandten sich auch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Zwei Richterinnen bekamen vor dem Arbeitsgericht im westungarischen Zalaegerszeg bereits Recht. Sie müssen wieder eingestellt werden. Rückendeckung bekommen sie auch von der EU: Die Brüsseler Kommission beanstandet die Zwangspensionierungen in ihrer Vertragsverletzungsklage. Nicht vereinbar mit EU-Recht, so die Begründung. Ganze Berufsgruppen dürften wegen ihres Alters nicht diskriminiert werden, heißt es. Zumal die ungarische Regierung den allgemeinen Einstieg in den Lebensabend nun bei 65 Jahren festschreiben will. Ministerpräsident Viktor Orbán konterte die Kritik seinerzeit so:

    "Hinsichtlich der Richter, da hat die EU keine Kompetenz. Das ist eine ungarische Angelegenheit. Dabei erscheint das Pensionsalter als Streitfrage. Dabei ist es doch gerade die Europäische Union, die transparente, klare Rentenregelungen fordert, und die gibt es in Ungarn."

    Das sehen Kritiker ganz anders: Ihr Vorwurf ist, die Regierung versuche nicht nur Geld zu sparen, indem sie teure ältere Richter und Staatsanwälte los wird, sondern auch politisch Unliebsame durch Regierungstreue zu ersetzen. Justizminister Navracsics kündigte im Sommer an, wiedereingestellte Juristen würden nicht auf ihre alten Jobs zurückkehren, sondern nur noch als Beisitzer oder Sachbearbeiter". Die alten Stühle sind ohnehin nicht mehr frei. Mehr als 100 Jungrichter wurden bereits zum 1. April eingestellt.