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Eine Frage der Wahrheit

Camille de Peretti, Jahrgang 1980, gehört zu den jungen Schriftstellertalenten in Frankreich. In ihrem neuen Roman schildert sie das extravagante Leben der italienischen Gräfin Luisa Casati und kontrastiert es mit dem Alltag ihrer Ich-Erzählerin.

Von Christoph Vormweg | 30.07.2013
    Zu den beliebtesten Themen der Klatschpresse gehört das Schicksal von Millionen-Erbinnen. Eine der exzentrischsten war die 1881 geborene italienische Gräfin Luisa Casati. Zu ihren Obsessionen gehörte die eitle Lust, sich von den bedeutendsten Künstlern ihrer Zeit porträtieren zu lassen. Dafür zahlte die exzentrische Diva Unsummen. Und so wurde sie zu der - nach der Jungfrau Maria und der ägyptischen Königin Kleopatra - angeblich am häufigsten gemalten Frau der Kunstgeschichte. "Der Zauber der Casati" schlägt auch Camille de Perettis Erzählerin in den Bann. Sie will unbedingt ein Buch über diese Ausnahmefrau schreiben.

    "Jedes Mal, wenn ich ein neues Buch schreibe, nehme ich mir ein literarisches Genre vor. Als erstes habe ich einen Briefroman geschrieben, danach den oulipotischen, auch ins Deutsche übersetzten Roman "Wir werden zusammen alt". Dieser hier nun gehört zum biografischen Genre. Was für eine Frage stellt sich, wenn man eine Biografie schreiben will? Es ist die Frage der Wahrheit. Man sagt den Lesern: Ich verspreche euch, dass alles, was ihr lesen werdet, wahr ist. Es handelt sich um wahre Personen, die wirklich gelebt haben, um Daten und Orte, die real sind – und doch ist das alles nichts als Blabla. Céline hat einmal gesagt: Eine Biografie ist eine Erfindung. Und das stimmt. Denn wie habe ich die Biografie der Casati geschrieben? Es gab ganze Jahre, zu denen es keinerlei Material gab. Aber ich konnte auch keine Lücken in dem Buch lassen und dem Leser sagen: Denk dir die Jugend doch gefälligst selber aus! Es war meine Arbeit, diese Jugend zu erfinden."

    Alle ernst zu nehmenden Biografen wissen es: Eine Lebensbeschreibung ist ein Eiertanz auf der Kippe zur Literatur. Denn jede Perspektive auf eine Figur bleibt subjektiv. Deshalb hat Camille de Peretti – und hierin liegt das Spannende - den Prozess der Annäherung mitgeschildert. Denn der Versuch, eine Biografie über die Gräfin Casati zu schreiben, wirft ihre Erzählerin rasch auf sich selbst zurück.

    "Ich habe mich also entschlossen, meinem Leser parallel das Leben der Biografin, das heißt, mein eigenes Leben zu erzählen. Ich wollte ihm so vorführen, wie ich dieses Buch geschrieben habe: wie ich recherchiert habe, wie ich zum Geburtsort der Casati gereist bin, was ich dort gefunden habe und was nicht, wie ich mich in sie hinein versetzt habe. So erzähle ich - aus dem Bedürfnis nach Wahrheit heraus - zwangsläufig auch mein eigenes Leben, damit sich der Leser, wenn er dieses Buch liest, selber Fragen darüber stellt, was es heißt, eine Biografie zu schreiben."

    Aus der geplanten Biografie wurde so ein zweigleisiger, gut gebauter Roman. Sein Reiz liegt im Aufeinanderprallen von Gegenwart und Vergangenheit, von zwei ganz unterschiedlichen weiblichen Lebensentwürfen. Die Casati – das ist vor allem Traumstoff: gigantische Feste mit Großkünstlern, Stars und Sternchen, opulent kreierte Kleider, ihr Leben als Muse des berühmten italienischen Schriftstellers Gabriele d´Annunzio. Auf der anderen Seite steht gut ein Jahrhundert später ihre Biografin, die unter ihrer Ehe mit dem Maler César leidet. Von ihrem Traum, selbst die Muse eines großen Künstlers zu werden, muss sie bald Abschied nehmen.

    "César hat also zu meinem Leben gehört – auch wenn man solche realen Personen in einem Roman letztlich verändert. Man deformiert oder verfeinert sie, man zerstört sie oder man bauscht sie auf. Für mich ist César der Prototyp Mann mit einem außergewöhnlichen Talent, das er aber aus Faulheit vergeudet. Für mich dagegen ist die Arbeit etwas ungemein Prägendes. Denn ich komme aus einem sozial benachteiligten Milieu. Meine Mutter war alleinerziehend und sehr willensstark. Sie hat mir immer gesagt: Nur mit Arbeit kann man da rauskommen. Schriftstellerin zu sein – das war in meiner Familie allerdings gar nicht akzeptiert. Denn das sei kein Beruf. Nur die Faulen würden Künstler. Also habe ich studiert, in Banken gearbeitet und meine Miete, bevor ich von meinem Schreiben leben konnte, auf ganz unterschiedliche Weise erwirtschaftet. Deshalb gehe ich auch sehr ernsthaft ans Schreiben heran: Ich stehe früh auf und schreibe zu festgesetzten Zeiten – als wäre ich eine Angestellte und müsste so und so viel Bücher im Jahr abliefern. Anders César. Der war von allen Zwängen befreit. Er kam aus einer Familie ohne Geldsorgen, wo alles leicht ist. Dort hat man ihm den Wert der Arbeit nicht beigebracht. Und ich glaube, dass Genie ohne Arbeit zu nichts führt. Selbst wenn Arbeit ohne Genie auch nicht viel wert ist. Das Ziel ist, von beidem ein bisschen zu haben. Aber trotzdem: Ohne Arbeit kommt man zu nichts im Leben."

    Für die Gräfin Casati stellen sich solche Fragen gar nicht. Für sie ist alles käuflich. Dafür weiß sie nie genau, ob sich ihre sogenannten Freunde nur für ihr Geld interessieren. Mit anderen Worten: Der Roman "Der Zauber der Casati" reißt immer wieder existenzielle Abgründe auf. Ins Melodramatische kippt er aber nie.

    "Jedes Mal, wenn ich einen Roman beginne, hoffe ich, dass es ein extrem trauriges, tragisches Buch wird. Aber am Ende ist es immer lustig. Für mich ist das natürlich eine Katastrophe. Denn jedes Mal, wenn ich Leute zum Weinen bringen will, bringe ich sie zum Lachen. Ich weiß nicht, warum. Ich schreibe über eine Frau, die ein spektakuläres Leben hatte, das aber elend endet, eine Frau, die die Liebe nicht kennengelernt hat - aber ich mache das mit viel Selbstverspottung. Und so wird das letztlich ziemlich heiter. "

    In schöner Regelmäßigkeit trifft Camille de Peretti den tragikomischen Ton. Das macht ihre eingängige Prosa so abwechslungsreich. Auch zeichnet sie in ihrem Roman "Der Zauber der Casati" ein feinfühliges, facettenreiches Bild der Liebe in all ihren Spielarten von Blendung und Selbstbetrug. Besonders gelungen ist hier zum einen das Porträt Césars als hoffnungslos egozentrischem Künstler und Bohemien; zum anderen die Beschreibung eines kurzen lesbischen Intermezzos, bei dem die Gräfin Casati ihre zeitlebens berechnende Herrschaft über die eigenen Gefühle verliert. Hier sieht man, wie subtil Camille de Peretti das Verhalten ihrer Figuren seziert, wie gekonnt sie ihre Komplexe und Widersprüche freilegt.

    Camille de Peretti: Der Zauber der Casati.
    Aus dem Französischen von Hinrich Schmidt-Henkel
    Rowohlt Verlag, Reinbek 2013, 288 Seiten, 19,95 Euro