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"Eine Geschichte aus dem Volk"

Mit nur 38 Jahren starb George Gershwin an den Folgen eines Tumors. Zwei Jahre vor seinem Tod wurde sein bedeutendstes Werk in Boston uraufgeführt: "Porgy and Bess". In Deutschland kam es erst 1952 auf die Bühne.

Von Georg-Friedrich Kühn | 30.09.2010
    Die große Oper, die große Liebesgeschichte mit der kleinen Tragödie sollte es werden, eine "Volksoper" mit viel Alltag und großen Gefühlen. Bisher hatte George Gershwin Songs, Orchesterstücke, Musicals geschrieben. Nun also eine durchkomponierte Oper mit gesungenen Rezitativen, Arien und Ensembles.

    Die "Metropolitan", das erste Haus am Platz, hatte ein Stück über New York bestellt. Aber Gershwin spürte, dass die amerikanische Volksoper, die ihm eigentlich vorschwebte, dort nicht hin passte. Was der Sohn russisch-jüdischer Einwanderer mit "Volksoper" meinte, beschrieb er später so:

    "Porgy and Bess ist eine Geschichte aus dem Volk, und die Musik, die die Leute darin machen, ist natürlich Volksmusik ... Weil ich die Musik ganz aus einem Guss haben wollte, komponierte ich meine eigenen Spirituals und Volkslieder. "Porgy and Bess" handelt von dem Leben der Neger in Amerika. Deshalb gibt es darin Elemente, die es bisher noch in keiner Oper gab."

    "Summertime" ist der erste Song, den Gershwin für "Porgy and Bess" komponierte, ein Wiegen- und Todeslied. 1926 hatte Gershwin einen Roman geschenkt bekommen, "Porgy" von DuBose Heyward – und sofort verschlungen: Die authentische Geschichte über einen schwarzen Fischer in Charleston/South Carolina, gelähmt, gehänselt, verliebt in die flattrige Bess, verdächtig eines Mordes aus Eifersucht. Zwar kann man ihm nichts beweisen. Bess aber erliegt den Lockungen eines zwielichtigen Drogenhändlers, "Sportin' Life". Der handelt mit anderem "Stoff", als ihn die Schwarzen sich mit den Spirituals verabreichen.

    Mit Heyward einigte sich Gershwin schnell übers weitere Vorgehen: Beim Libretto half Heywards Frau Dorothy, bei den Liedtexten Gershwins Bruder Ira. Aber es dauerte noch Jahre, bis sich Gershwin ans Komponieren traute. Mehrmals reiste er nach Charleston, um die Atmosphäre der Stadt zu atmen. Das Frühjahr 1934 verbrachte er auf einer Insel vor der Küste, lebte dort mit den Schwarzen, studierte ihre teils noch unverfälscht afrikanische Kultur. Zum Beispiel ihre polyphone Art von Gebeten, die sie "Shouting" nannten.

    20 Monate arbeitete Gershwin an der Oper, instrumentierte sie selbst. Und nur Schwarze sollten Schwarze spielen. Im Sommer 1935 begann Rouben Mamoulian, der schon eine Theaterversion des Stücks inszeniert hatte, mit den Proben. Erstmals aufgeführt wurde "Porgy and Bess" am 30. September 1935 in Boston. Für die offizielle Premiere im New Yorker Alvin Theatre wurde noch gekürzt. Heute spielt man die Oper wieder in der Bostoner Fassung. Das Publikum war begeistert. Die Kritiker mäkelten, am harschesten Virgil Thomson:

    "Hier hat jemand, der es niemals hätte versuchen dürfen, über ein Thema, das niemals hätte gewählt werden dürfen, und mit Hilfe eines Librettos, das niemals hätte akzeptiert werden dürfen, ein Werk komponiert, dem man eine gewisse Kraft und Bedeutung nicht abstreiten kann."

    Den Durchbruch brachten erst die zweite Aufführungsserie 1942, fünf Jahre nach Gershwins frühem Tod, und die Europäische Erstaufführung als Akt des Widerstands im von den Nazis besetzten Kopenhagen. Gershwins "Porgy" wurde Vorbild: für Kurt Weill und seine amerikanische Oper "Street Scene", für Leonard Bernstein und seine "West Side Story". Beide Stücke spielen in New York. Dorthin zieht es am Ende auch Porgy auf der Suche nach Bess.