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Eine Geschichte der Zensur

Zensur, die Kontrolle von Inhalten und Meinungen, konnte auf die Literatur geradezu stimulierend wirken. Das ist eine der Erkenntnisse, die Bodo Plachtas Monografie "Zensur" darlegt. Angefangen mit der ersten deutsche Zensurordnung aus der Kinderzeit des Buchdrucks, 1486 vom Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg erlassen, zeichnet Plachtas die Praxis der Literaturauswahl über die Jahrhunderte.

Von Florian Felix Weyh | 13.06.2006
    »Auf den Dächern schrei’n die Katzen Weh
    wie der Herr im Garten von Gethsemane«

    Das ist ein Vers. Kein sonderlich geistvoller, Carl Zuckmayer hat Besseres gedichtet, doch bei der Niederschrift wird er wohl kaum gefürchtet haben, strafrechtliche Grenzen zu überschreiten. Indes fanden sich durchaus Staatsanwälte, die meinten, der Kalauer sei blasphemisch und nicht von der Kunstfreiheit gedeckt. Also mussten sich die Gerichte der Weimarer Republik damit beschäftigen, wie in zahllosen anderen Fällen der Zwischenkriegszeit. Eine Zensur gab es selbstredend nicht mehr, alle diesbezüglichen Gesetze des Kaiserreichs waren abgeschafft. Zensur gab es auch nicht in jenem Staat, der sich so stolzgeschwellt »demokratische Republik« nannte … nein, es gab sie wirklich nicht in der DDR, betont Bodo Plachta in seinem instruktiven Reclam-Band zum Thema. Man bekam bloß keine Druckgenehmigung für Werke, die den Oberen missfielen.

    Diese kaschierte Unterdrückungspraxis diente als Alibi für Erich Honecker, um nach dem Untergang seines Regimes unbeirrt zu behaupten, Zensur hätte es unter ihm nie gegeben. So griff der US-Historiker Robert Darnton zu einer erweiterten Definition, als er sich mit der Publikationspraxis in Ostdeutschland beschäftigte: »Zensur existiert überall, wo bei der Produktion von Literatur ein Auswahlprozess besteht.«

    Wörtlich genommen, würde das eng für Verlagslektoren, Rundfunkredakteure, Kritiker in jedweder Staatsform, denn Auswahl (böse: Selektion) gehört zum Buchgeschäft wie Regen zum Gewitter. Doch Darnton meint staatliche Auswahlprozesse, die freilich historisch erst spät in Erscheinung treten.

    Die erste deutsche Zensurordnung aus der Kinderzeit des Buchdrucks erließ 1486 der Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg – aus Sorge vor theologischen Abweichlern. Über Jahrhunderte ging es nicht um staatliche, sondern um kirchliche Macht, wenn Gedanken, Formulierungen, Ideen unterdrückt werden sollten. Erst viel später zogen die weltlichen Herren nach und etablierten die Zensur als – wie es im Zedlerschen Universallexikon von 1733 heißt – »vorsichtige Durchlesung eines Buches«. 1749 institutionalisierte Friedrich der Große das Verfahren in Preußen und richtete eine entsprechende Verwaltungsbehörde ein.

    Seine Wiener Gegenspielerin Maria Theresia war nicht minder interessiert an der Gedankenkontrolle ihrer Untertanen. Von ihrer »Censurs-Hofcommission« ließ sie 4.615 Bücher verbieten, darunter als besondere Petitesse den Catalogus Librorum selbst, also das Verzeichnis der indizierten Bücher. Niemand sollte durch die frei zugängliche Auflistung Appetit auf das Verbotene bekommen. Das war konsequent gedacht, ebenso konsequent wie die an der Lesepraxis orientierten Karlsbader Beschlüsse von 1819. Sie führten die Vorzensur – also offizielle Lektüre vor Publikation – für Druckwerke bis 320 Seiten ein. Umfangreichere Werke, spekulierten die regierenden Fürsten des Deutschen Reichs, würden sowieso kaum gelesen, darauf musste kein Zensor seine knappe Zeit verschwenden. Jedenfalls nicht im Voraus; und bei der für sie geltenden Nachzensur verschob sich das Risiko auf den Verleger. Er musste hohe Druckkosten begleichen, riskierte aber stets, entschädigungslos beschlagnahmt zu werden, fand sich auch nur ein zu beanstandender Satz im 500- oder 800-Seiten-Konvolut.

    Als diabolisch-genial könnten man diese Regelung bezeichnen, was darauf verweist, dass die Geschichte der Zensur kein Kampf zwischen dummen Zensoren und klugen Autoren, sondern eine Auseinandersetzung unter geistig Gleichrangigen war. Um Geschriebenes verbieten zu können, muss man es verstehen, mithin selbst ein Intellektueller sein. Zeitweilig gab es sogar prominente Überläufer aus der publizistischen Freiheit hin zur staatlichen Kontrolle, ob aus Naivität oder der Überzeugung, Schlimmeres verhüten zu können. So gehörte im Kaiserreich Thomas Mann dem Münchner »Zensurbeirat« an, den er freilich nach einem Eklat um Frank Wedekind verließ. Dass unsouveränere Autoren als Mann es nicht ungern sahen, wenn ihr schärfster Konkurrent aus dem Verkehr gezogen wurde, gehört freilich ebenso zur Geschichte der Zensur wie die Werbewirksamkeit von Verboten.

    Schon Goethe spekulierte auf den Wertzuwachs seiner Xenien, würden sie wenigstens vom Wiener Hof verboten. Aus allem lässt sich ablesen, und das dokumentiert Bodo Plachtas Monografie kenntnisreich, dass Zensur eine vielgestaltige »Kommunikationsbehinderung« ist, deren Auswirkung auf die Literatur unter Umständen sogar stimulierend sein kann. Ob man allerdings so weit gehen sollte wie bestimmte Fraktionen in der Kulturwissenschaft, die nur noch von einem »Kulturphänomen« sprechen, sei mit Bodo Plachta angezweifelt. Immerhin hat die Zensur auch Leben gefordert, etwa das des Nürnberger Druckers Johann Philipp Palm, der 1806 auf Napoleons Befehl hin füsiliert wurde. Die Wirkung war für die französischen Besatzer indes nicht zufrieden stellend: Statt die Hegemonie zurück zu gewinnen, vergrößerte sich die Unruhe im Volk, und das Schriftgut gegen Napoleon nahm zu. Man kann Gedanken eben nicht unterdrücken.