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Eine Herkulesaufgabe

Obwohl der Krieg in der Demokratischen Republik Kongo vorbei ist, ist die Infrastruktur nach wie vor zerstört, Rebellengruppen bedrohen den Osten des Landes. Doch einige Bürger wagen sich an die Herkulesaufgabe des Wiederaufbaus.

Von Christiane Kaess | 13.03.2010
    Im Büro von Cyprien Birhingingwa hängen gerahmte Fotos an der Wand. Auf einem von ihnen ist Präsident Joseph Kabila abgelichtet. Umgeben von einer Menschenmenge schüttelt er Cyprien Birhingingwa, dem kleinen stämmigen Mann, die Hand. Die Szene wirkt feierlich und friedlich.

    Doch Birhingingwa will diesen Eindruck von Ruhe und Frieden im Land nicht stehenlassen und erklärt, wie es zu dem Foto gekommen ist: Der Präsident war zu einer Trauerfeier gekommen. Birhingingwa hatte sie nach den tödlichen Attentaten auf einen Priester und eine Nonne aus der Umgebung organisiert.

    "Wir haben keinen Krieg mehr im eigentlichen Sinne. Es gibt hier vielmehr eine Art Terrorismus, der sich in der Region ausgebreitet hat. Man tötet da einen Priester, dort einen Menschenrechtler, einen Journalisten hier und so weiter."

    Und dennoch ist Birhingingwa optimistisch. Er ist hier geboren, kennt schlimmere Situationen. Er hat den Kongokrieg erlebt - in all seiner Brutalität und Grausamkeit. Heute können sich Birhingingwa und seine Mitstreiter immerhin mit gewählten Regierungsvertretern auseinander setzen.

    "Wenn bei bestimmten Problemen nichts vorwärts geht, bringen wir das auf den Tisch - mit Demonstrationen oder einem Memorandum. Wir veröffentlichen viel, wir sprechen viel mit den Behörden. Manche verstehen uns, manche nicht. Einige kapieren einfach noch nicht die Rolle der Zivilgesellschaft als Gegenstück zur Regierung."

    Kongos Nichtregierungsorganisationen wollen verhindern, dass aus der machtvollen Regierung erneut eine Diktatur wird. Doch wer Vetternwirtschaft oder politische Morde öffentlichkeitswirksam anklagt, wer durchsetzen will, dass vom Abbau der Rohstoffe auch die Menschen vor Ort profitieren und gleichzeitig die Natur geschützt wird, lebt gefährlich.

    Birhingingwa ist dennoch guter Laune. Wenn er von einem Termin zum nächsten hetzt, macht er im Vorbeilaufen Witze mit Bekannten auf der Straße. Um die Arbeit der vielen kleinen Interessengruppen abzustimmen, haben die engagierten Bürger Birhingingwa zu ihrem Sprecher gewählt.

    Bei einem schnellen Mittagessen über einem Teller Fleischspieße erinnert er sich an die Zeit, als die NGOs anfingen, sich zu organisieren. Mit leuchtenden Augen erzählt er von der Aufbruchstimmung Anfang der 90er-Jahre - nach der Perestroika und dem Berliner Mauerfall. Auch in Afrika kam neue Hoffnung auf, sagt er, auf mehr Demokratie.
    "Durch die Arbeit mit der Zivilgesellschaft konnte ich von unten nach oben arbeiten. Ich konnte die Probleme der Bevölkerung analysieren und Projekte für ihr tägliches Leben organisieren. Und gleichzeitig konnte ich die Politiker wegen schlechter Regierungsführung anklagen und sie zur Verantwortung rufen."

    Von Krieg und bewaffneten Konflikten, die rund vier Millionen Menschen das Leben kosteten und die Infrastruktur in Schutt und Asche legten, erzählt Birhingingwa, als sei all das nur eine Art Kulisse gewesen, vor der sich seine Arbeit abspielte: Er hat Flüchtlinge integriert, für sauberes Trinkwasser gesorgt, die Frauen gefördert - es gibt kaum etwas, bei dem er nicht mitgemacht oder das er nicht geleitet hat.

    Den kritischen Blick auf die politischen Entwicklungen hat er dabei bis heute nicht verloren. Während sein Jeep durch die unzähligen Schlaglöcher rumpelt, erzählt er von der jüngsten Militäroperation von kongolesischer Armee und Vereinten Nationen. Deren Ziel: Die aggressivste Rebellengruppe in der Region, die "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas", kurz FDLR, zu vertreiben. Die Operation sei fehlgeschlagen:

    "Unsere Bevölkerung stand hinter dieser Operation, weil sie hoffte, dass die FDLR das Territorium verlassen würden. Aber leider war das nicht der Fall. Der Großteil der Rebellen besetzt die Minen mit Coltan, Zinnerz, oder Gold. Die beuten sie aus und entwickeln mafiöse Strukturen."

    Und tun noch einiges mehr: Sie plündern, zerstören Dörfer, ermorden Zivilisten.
    Es hat geregnet. In den armen Stadtteilen, die voll von Menschen sind, schlingern Motorräder durch den Schlamm. Birhingingwas Wagen gerät ins Rutschen, als es bergab geht. Befestigte Straßen gibt es wenige in Bukavu. Birhingingwas Miene verfinstert sich, als er über das Missmanagement der Provinzregierung spricht.

    Und trotzdem trifft man sich - der Mann der Zivilgesellschaft und der Vertreter der Regierung. Auf der Veranda von Vizegouverneur Jean-Claude Kibala. Erst mal gibt es Small Talk; über die traumhafte Landschaft in der Umgebung. Kibalas Familie aus Deutschland ist zu Besuch und kommt gerade aus einem nahegelegenen Nationalpark zurück. Kibala sei gut, flüstert Birhingingwa noch, aber er sei eben nur der Vizegouverneur.

    Als Jean-Claude Kibala, der Ingenieur aus Troisdorf bei Bonn, nach 17 Jahren Deutschland in seine Heimat zurückkehrte, hatte er gehofft, die Provinz schnell sicher zu machen. Doch es gab viele Rückschläge, und nach wie vor gibt es Gewalt und Tote. Trotzdem will sich Vizegouverneur Kibala Birhingingwas negativer Beurteilung der Militäroperation gegen die Rebellen nicht anschließen. Er sieht Verbesserungen.

    "Vor der Militäraktion waren viele Menschen ums Leben gekommen, nur keiner hat es berichtet. Jetzt, heute, haben wir durch die Militäraktion nicht nur Beobachter, eigene Beobachter von der Armee, die melden, was passiert, sondern wir haben auch jetzt Zugang zu vielen Ecken, wo der Staat gar nicht existiert hat."

    Kibala verweist auf die enormen Herausforderungen der kongolesischen Armee. Nur um des Friedens Willen habe man Zugeständnisse an ehemalige Rebellengruppen gemacht, und einige nach einem Abkommen in die nationalen Streitkräfte integriert.

    "Das muss man sich vorstellen, dass heute in Afghanistan, wo deutsche Soldaten sind, und kämpfen gegen die bösen Taliban, jetzt man morgen sagt, um den Frieden zu erhalten, sollen wir die Taliban integrieren in die lokale Armee, und dann vergisst man, was vorher war."

    Weil das Geld nicht reicht, um so viele kongolesische Soldaten zu bezahlen, sind bereits etliche desertiert. Vizegouverneur Kibala schwebt eine kleine, gut ausgebildete und gut bezahlte Truppe vor, die auch - so meint er - die Blauhelm-Soldaten in der Provinz überflüssig machen würde.

    "Überlegen Sie mal, 200 Millionen Dollar - das ist das, was die UNO im Moment im Kongo verbrauchen - im Monat. Die haben mehr als zwei Milliarden im Jahr. Die Armee im Kongo braucht nicht mehr als 20 Millionen. Wenn wir 20 Millionen hätten, die Soldaten zu bezahlen, dann würde ich hier eine Armee bilden, die kein Mensch hier wegputzen kann."

    Kibala ist bekannt geworden für pragmatische Lösungen. Das Benzin ließ er leicht besteuern. 100.000 Dollar pro Monat spülte ihm das in die Kasse, so erzählt er. Er investierte den Gewinn direkt in eine neue Straße. Heute zeigt er das Ergebnis stolz - als sein Jeep von den Schlammwegen auf die betonierte Fahrbahn biegt:

    "Hier haben wir renoviert."

    Nach deutschem Vorbild reihen sich ordentlich Straßenlampen aneinander. Die Kanten der Gehsteige sind weiß markiert.

    "So waren die Straßen früher! Als ich hier zur Schule gegangen bin - so war die Straße. Bukavu war früher wie in der afrikanischen Schweiz."

    Für einen schnellen Wiederaufbau wünscht sich Kibala auch einen schlanken Staat. Die schwerfällige Bürokratie möchte er abschaffen, der Korruption hat er den Kampf angesagt. Das ist schwer durchzusetzen, doch der charismatische Mann setzt auf seine Beliebtheit.

    Als Kibala am nahe gelegenen Grenzübergang nach Ruanda aus dem Auto steigt, bildet sich schnell ein kleiner Kreis von Menschen um ihn. Ein alter Mann schüttelt dem Regierungsvertreter ehrerbietig die Hand. Kibala hat hier ein weiteres Vorzeigeobjekt. Er deutet auf die Grenzschranke, der sich eine Frau mit zwei großen Taschen von der ruandischen Seite nähert.

    "Normalerweise wäre die hier schon von fünf Diensten durchsucht worden und jeder will was haben."

    Kibala hat die zahlreichen Kontrollstellen an der Grenze abgeschafft, und mit ihnen das Schmiergeld. An Ideen fehlt es dem 44-Jährigen nicht. In der flussreichen Gegend möchte er durch Wasserkraftwerke Strom erzeugen und die fruchtbaren Böden stärker nutzen. Mit seinen ehrgeizigen Projekten hat er sich allerdings auch Feinde gemacht und ein neues Problem eingehandelt: Er liegt mit seinem Chef, dem Gouverneur der Provinz, im Clinch. Zu viele Meinungsverschiedenheiten, meint Kibala vage. Er ist besorgt, dass sie beide nicht im Amt bleiben könnten.

    "Es wäre schade für die Provinz. Jeder, der neu kommt, fängt mit seiner eigenen Idee wieder von vorne an. Bis er die Sache tatsächlich in der Hand hat, da geht eine gewisse Zeit vorbei. Und das wäre schade, Zeit zu verlieren, denn bei uns ist jede Minute im Moment so wichtig."