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Eine Klamauk-Veranstaltung deutscher Klischees

Aus Carl Zuckmayers rechtschaffenem "Hauptmann von Köpenick" wird der Star eines surrealistischen Klamauks. Regisseur Adrian Noble zerlegt das Stück in seine Einzelteile und rührt es mit einer gehörigen Portion urdeutscher Klischees wieder zusammen.

Von Matthias Thibaut | 06.02.2013
    Was würde Carl Zuckmayer von dieser Aufführung halten? Würde er das überhaupt noch als sein Werk erkennen? Und wenn – hätte er sich darüber gefreut, dass seine Tragikomödie nun endlich den politischen Biss bekommt, den sie eigentlich schon 1931 bei der Uraufführung in Berlin gebraucht hätte, zwei Jahre vor Hitlers Machtergreifung? Oder würde er sich im Grabe herumdrehen, weil aus seinem Helden, eigentlich doch ein rechtschaffener, gutmütiger deutscher Bürger voller Heimatliebe, wenn man ihn nur lassen würde, nun 2013 in London der Star eines anarchistisch, surrealistischen Klamauks wird, der alle Klischees, die wir Deutsche in den letzten 100 Jahren auf uns gehäuft haben, gleichzeitig zu bemühen scheint?

    Die Gefangenen singen Ein feste Burg ist unser Gott, die Soldaten Die Wacht am Rhein, die Blaskapelle spielt Das ist die Berliner Luft, die Unterdrückten singen die Internationale. Es gibt Pickelhelm und Zwirbelbärte, Stechschritt, die expressionistischen Kulissen aus Fritz Langs Metropolis, es werden Befehle geschnarrt und Hacken zusammengeschlagen und der Polizeipräsident dirigiert in seiner Amtsstube Brahms von der Schallplatte. Beim Manöverball gibt es Anzüglichkeiten, die Zuckmayer die Schamröte ins Gesicht getrieben hätten.

    Zusammengerührt werden das Kaiserreich und die 20er Jahre, Monthy Python Klamauk, Mel Brooks Springtime for Hitler und Charlie Chaplins Tramp und irgendwo ist da auch ein naturalistisches Drama versteckt.

    Wir stellen uns Zuckmayers Held Wilhelm Voigt natürlich wie Heinz Rühmann im Film vor – einer, der leben will wie alle anderen, wenn man ihm die Arbeitserlaubnis geben würde, die er nicht ohne die Aufenthaltserlaubnis bekommt, die er wieder nicht ohne die Arbeitserlaubnis bekommt.

    Der Londoner "Captain of Köpenick", gespielt von Anthony Sher, dem schlachterprobten Bühnenstar, der von Richard III bis Hitler schon jeden Schurken im Repertoire gespielt hat, stellt einen weniger fassbaren Charakter dar, der mehr Existenz einfordert. Mal ist er tückisch, mal fies, mal sentimental. Wenn er dem schwindsüchtigen, sterbenden Mädchen in der Dachkammer das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten vorliest, ist das keine Idylle unterdrückter Menschlichkeit - er klaut ihr auch die Halskette. Hat er ein gutes Herz? Oder will er nur, wie er selber sagt, in den Schlüpfer des Mädchens?

    Im ersten Teil spricht er wie ein Londoner Gauner, sobald er die Uniform an hat, wird er zum englischen Upperclass Offizier, als käme er direkt aus der Offiziersakademie Sandhurst. Wir lieben ihn nicht, wie Rühmann, aus Mitleid, weil er ein Opfer ist, wir lieben ihn als einen chamäleonartigen Schurken, der an unsere antiautoritären Instinkte appelliert.

    Der Hauptmann von Köpenick war wohl schon lange ein Steckenpferd von Regisseur Adrian Noble. In der ersten Großaufführung des National Theatres im neuen Jahr zerlegt er das Stück in seine Einzelteile, setzte es neu zusammen und fährt dabei das Teuerste auf, was das englische Theater zu bieten hat. Zwei Dutzend Schauspieler, die Drehbühne im riesigen Olivier Theater ist unaufhörlich im Einsatz. Noble zerrt, was bei Zuckmayer in der Schwebe bleibt, ans Scheinwerferlicht der Bühne. Aber nur Anthony Shers Schauspielerkunst hält alles zusammen. Und warum Noble und sein Autor Hutchinson das machen, außer dass es allen Spaß zu machen scheint – wird eigentlich auch nicht klar.

    Wenigstens wissen wir am Schluss, wer die Schurken sind. Nicht die selbstverliebten Militärs, die sich in ihren blitzenden Uniformknöpfen spiegeln, sondern diejenigen, die ihnen folgen. Als dem Kaiser am Schluss berichtet wird, wie Voigt einen Trupp Soldaten von der Straße weg zum Sturm auf das Rathaus von Köpenick abkommandiert, schlägt der sich lachend auf die Schenkel: "Endlich", sagt der Kaiser, " können wir dem deutschen Volk vertrauen, dass es uns folgt, wo immer wir es hinführen". Auch das kommt bei Zuckmayer natürlich nicht vor.