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Eine kleine Kulturgeschichte des Souvenirs

Beim Stichwort Souvenir denken die meisten an den Eifelturm als Schlüsselanhänger oder die klassische Schneekugel. Doch es gibt auch ganz persönliche Erinnerungsstücke, wie etwa die Haarlocke im Medaillon.

Von Anja Arp | 21.12.2006
    Die Pilger der frühen christlichen Zeit sammelten ungewöhnliche Steine am Wegesrand, um sich zu erinnern und in der Neuzeit erfreuen sich Reiseandenken großer Beliebtheit. Jede Zeit hat ihre eigenen Souvenirs und Dinge, die Erinnerungen auslösen.

    Über das Phänomen des Erinnerns und Vergessens wird zur Zeit im Frankfurter Raum besonders intensiv nachgedacht. Denn an der Uni Gießen gibt es einen Sonderforschungsbereich zum Thema Erinnerungskultur, der eng mit der Museumslandschaft in Frankfurt kooperiert.

    Christina will ihre elfjährige Freundin Paula also mit der Schneekugel an ihre Freundschaft erinnern. Und das ist seit Jahrhunderten eine der vornehmlichsten Aufgaben von Souvenirs: Erinnerungen wach zu rufen. Dem Erinnern widmet sich auch ein Sonderforschungsbereich an der Universität Gießen. Dort arbeiten seit zehn Jahren ganz unterschiedliche Fachrichtungen der Kulturwissenschaften zusammen. Der Germanist Prof. Günter Oesterle von der Uni Gießen leitet das Forschungs-Projekt:

    "Jede Kultur hat ihre eigene Erinnerung, ihre eigene Identitätsstiftung, ihre eigenen Vergessensmuster. Die Israelis und die Juden haben eine andere Tradition der Erinnerung als die Griechen es hatten. Oder wenn sie an uns denken, an unsere Vergangenheit. Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Dinge abgerissen in Europa, wo man heute kein Verständnis mehr hat. Niemand mehr sogar auf der Straße hat Verständnis warum diese Gebäude abgerissen wurden. Und ein anderes Beispiel: Ein Afrika-Forscher von uns, untersuchte Denkmäler in den ehemaligen Kolonial-Ländern, welche Funktionen sie noch haben. Und er bemerkte, dass sie vor allem dazu dienen - diese Herren auf den großen Sockeln - irgendwelche Taschen an sie an zu hängen und zu verkaufen. Das heißt, die Einheimischen wissen nicht, dass dieses Denkmal einstmals für eine andere Kultur für die Kolonialherren erinnerungsstiftend sein sollten."

    Menschen haben schon immer, zu allen Zeiten und an allen Orten Souvenirs gesammelt. So nahmen Pilger schon im 4. und 5. Jahrhundert zur Erinnerung auffällige Steine mit, die am Wegesrand lagen. Und in vorchristlichen Zeiten, in der Antike war es üblich, dass Freunde, die sich trennten zum Abschied eine Tonscheibe zerteilten:

    "Und jeder hat eine Hälfte bekommen und wenn man sich wiedergetroffen hat, hat man sie fast rituell zusammengesammelt. Marcel Proust beschreibt in seiner Suche nach der verlorenen Zeit, dass die Kelten eben wenn sie einen Menschen verloren hatten ihn in einen Gegenstand so zu sagen hinein projiziert haben und dort lebt er drin fort in einem Baum oder in einem Stein und wenn man diesen Baum oder diesen Stein sieht, dann erinnert man sich sehr lebhaft an diesen Menschen, so der keltische Glauben. Also solange wie es menschliches Denken gibt, gab es die Möglichkeit sich über Dinge zu erinnern."

    Prof. Ulrich Schneider ist Kunsthistoriker und Direktor vom Museum für angewandte Kunst in Frankfurt. Er hat eine Ausstellung über Souvenirs organisiert, die in den Sonderforschungsbereich eingebetet ist und sich vor allem mit dem Erinnern über Dinge beschäftigt:

    "Diese Ding-Kultur ist für uns wichtig gewesen, um auch eine Abgrenzung zu finden. Es gibt natürlich auch eine Menge an Souvenirs, die nicht fassbar sind, nehmen sie zum Beispiel den Geruch. In der Literatur spielt das eine ganz große Rolle, das sich erinnern über Düfte etwa bei Marcel Proust."
    In der Renaissance bekommt das Souvenir eine neue Dimension. Man will sich zunehmend selber in Erinnerung bringen und verschenkt deshalb zum Beispiel eine Haarlocke. Der Kunsthistoriker Ulrich Schneider:

    "Man fängt an sich selbst zu verschenken, um sich unvergesslich zu machen in Form von Stichen oder man gibt Ringe mit dem Bild von sich weiter oder Münzen, wo man als Portrait erkennbar ist. Das ist eine große Neuigkeit."

    "Pietro Bombo zum Beispiel der Kardinal um 1500 wichtiger Humanist, lässt sich eine Locke von Lucretia di Borgia, die sicherlich seine Geliebte war, geben und die hat sich auch in seinen Schriften erhalten. Das ist ganz wichtig."

    "Der Wechsel von der Pilgerreise nach Rom zur antiken Suche nach Rom findet Ende des 16. Jahrhunderts statt, wenn zum Beispiel Michel de Montaigne eine Badereise macht 1581, glaube ich, dann geht er in die italienischen Bäder, um seine Gallen- oder Blasensteine da zu heilen oder los zu werden. Und er schaut aber auch schon in Rom nach den antiken Bauten."

    Und als Goethe 1786 seine berühmte Italien-Reise macht, gibt es bereits Reise-Souvenirs von der "Stange":

    "Wenn Goethe dahin fährt, dann findet er schon ein ganz, ganz reiches Sortiment an Souvenirs und natürlich Souvenir-Händlern vor. Er sagt, er hat schon in seinem Vaterhaus die Kupferstiche gesehen von der Ewigen Stadt, er kauft natürlich selbst auch Kupferstiche. Er kauft aber auch sehr viel gipserne Antike Skulptur, also Abgüsse und er spricht von den großen Sammlungen der Gebäudemodelle in Kork."

    Mit der Romantik im 19. Jahrhundert beginnt dann das Zeitalter der Innerlichkeit. So erfreuen sich zum Beispiel Stammbücher in dieser Zeit großer Beliebtheit. In den eigens zur Erinnerung angelegten Büchern, tragen Freunde lyrische Gedanken ein oder verewigen sich Reise-Bekanntschaften. Im Prinzip haben diese Stammbücher als Poesie-Alben bis heute überlebt, zumeist sind die Einträge allerdings etwas weniger intim als damals. Wie groß die Sehnsucht nach Intimität in der Romantik war, zeigen auch aufwendige Bilder aus menschlichem Haar:

    "Aus Haar, das man sich ausgekämmt hat, wurden Armbänder geknüpft, gehäkelt, gestickt, geklöppelt, aber es wurde auch aus Haar Bilder gefertigt, ganze Generationen geben da ihr Haar, um Bilder daraus zu formen und das hat man dann weiter verschenkt. Das können sehr freudige Erlebnisse sein, die man mit diesen Haarbildern so zu sagen unterlegt und es kann auch der Tod sein, wir haben ein sehr schönes kleines Bildchen, ein Oval wo ein Kreuz über einem Grab zu sehen ist und die überhängende Trauerweide aus Haar gebildet ist."

    Es ist die Zeit der großen Gefühle, die sich auch im Souvenir ausdrückt. So gab es das Wort Gefühl zuvor gar nicht, erklärt der Germanist Günter Oesterle vom Sonderforschungsbereich Erinnerungskultur:

    "Erst in der Zeit der Empfindsamkeit des Gefühls taucht eine bestimmte Form von Individualität auf. Erst in der Zeit, wenn man sich nicht mehr Briefe schreibt, um die Freundin zu gewinnen und zu überreden, sondern jetzt Liebesbriefe schreibt, die durch und durch getränkt sind von Gefühl, beginnt so etwas wie Intimität und eine ganz spezifisch, besondere Form von Verbindung der Menschen. Und dass in diese Atmosphäre die Dinge als kleine Gaben als kleine Geschenke als kleine Erinnerungsgaben eine besondere Rolle spielen und eine besondere Aura bekommen, kann man sich vorstellen."

    Diese kleinen intimen Präsente gibt es natürlich nach wie vor. Daneben gibt es aber auch das Souvenir als Ware. So wird zum Beispiel das Reise-Andenken vom kostbaren Einzelstück der frühen Pilgerfahrten in das gelobte Land zur Massenware der Neuzeit:

    "Die große Zeit des Souvenirs, dann ja auch von Bill Ramsey besungen findet nach dem Zweiten Weltkrieg im Wirtschaftswunder statt, wo man dann gemeinsam dann nach der Adria fährt und von dort Souvenirs mitbringt oder den berühmten Eifelturm kauft."

    Erinnerungen sind aber nicht immer nur angenehm. So gehört zum Phänomen des Erinnerns auch das des Vergessens. Eine schmerzhafte Erinnerung gilt zum Beispiel dem Dritten Reich und dem Holocaust. Ulrich Schneider:

    "Wenn sie nur mal sehen, wie schwierig es war das Holocaust Denkmal in Berlin fertig zu stellen, was für Klimmzüge man gemacht hat. Ich denke nur an diese Unworte wie Denkmal pur, Denkmal plus, als ob es sich dabei um Whiskey Sorten handelt. Wie schwierig es ist eine Erinnerung konsequent zu verfolgen, in dem Moment wo sie unangenehm wird. Das hat sicherlich auch damit zu tun, dass wir jüngste Deutsche Geschichte jetzt neu bewerten und auch unter der Folie Holocaust-Forschung neu bewerten müssen. Also auch die Dinge der unmittelbaren Vergangenheit, Ende der DDR neu bewerten müssen. Wo ist der Breuler geblieben, jetzt einmal harmlos und flapsig ausgesprochen: Wo ist der Breuler geblieben? Wo ist die Plaste geblieben? Es ist ja so, dass noch Generationen gedacht wird an die vergangen Zeit in der DDR. Ich glaube deswegen ist Erinnerungsforschung in Dingen außerordentlich wichtig."

    Günter Oesterle vom Sonderforschungsbereich Erinnerungskultur sieht das ähnlich. Als Germanist beschäftigt er sich vor allem mit dem narrativen Kern von Erinnerungs-Gegenständen:

    "Stellen sie sich vor, sie finden auf einem Schreibtisch eines Kollegen einen merkwürdigen Gegenstand, sagen wir mal einen Kirschkern. Zunächst werden sie denken, das ist Zufall. Aber wenn sie nach einem Jahr diesen Kirschkern exponiert auf seinem Schreibtisch immer noch liegen sehen, werden sie wohl denken müssen, dass mit diesem Kirschkern ihr Kollege etwas ganz besonderes verbindet. Und in der Tat, wenn sie ihn danach fragen, wird sich herausstellen, dass eine Geschichte, eine Erzählung hinter diesem Kirschstein steht, dass hinter diesem, in diesen eingewickelt, verhüllt, versteckt, eine Geschichte, eine Erzählung, sei es an einen Tod einer geliebten Person oder aber eine andere Erzählung dahinter steckt."

    Dabei spielt auch das Medium der Erinnerung eine Rolle. Das gilt zum Beispiel für die Fotografie, die im 19. Jahrhundert in der Welt der Andenken auftaucht:

    "Zum Beispiel Hochzeitssouvenirs, die vorher in komplizierter Weise ausgemalt waren, beschriftet waren, jetzt tauchen in diese traditionellen Souvenirs nun Fotos auf."

    " Das gilt natürlich für das digitale Zeitalter ganz besonders. Die Kulturwissenschaftler sprechen dabei von dem Erinnern ohne Dinge: "

    Der Literaturwissenschaftler und Historiker Dr. Helmut Gold ist Direktor am Museum für Kommunikation in Frankfurt:

    "Weil es eine Vielzahl von Souvenirs gibt, die gar nicht haptisch fassbar sind, sondern die nur als digital gespeicherter Datensatz letztendlich vorhanden sind und das ist eine riesige Flut. Das heißt, es werden Unmengen digitaler Aufzeichnungen gemacht mit Foto-Kameras mit Foto-Handy und vieles mehr. Man wird da ganz vieles wegschmeißen. Man kennt das vielleicht auch selbst, man macht viele Fotos, Schnappschüsse und an ein paar hängt dann doch die Erinnerung und das ist vielleicht mit dem zu vergleichen, wie die Postkarte, die am Küchenbrett hängt, wo man sagt, das ist eine schöne Erinnerung gewesen."

    Wird also die elektronische Kurznachricht oder das digitale Foto auf dem Handy, das Souvenir der Zukunft? Das ist natürlich vor allem auch eine Frage der Speicherkapazitäten und der Speichermedien. Ein Floppy-Disk kann heute kaum noch ein PC lesen und wie lange sich die CD als Tonträger hält ist auch ungewiss.

    "Das heißt, Selektion wird ganz zentral sein, also wer oder wem es nicht gelingt seine Daten zu selektieren relativ früh auch zu ordnen und zwar so, dass sie für den langfristigen Gebrauch nutzbar sind, der wird wahrscheinlich ganz viele digitale Souvenirs haben, aber dadurch, dass sie so vielseitig und so ungeordnet dann doch auch wieder gar nichts."

    Die Frage ist also vor allem, was wird im digitalen Zeitalter Bestand haben?

    Oesterle:
    "Man kann sehr schön zeigen, dass verschiedene Medien, verschiedene Erinnerungen speichern und auf verschiedene Weise Erinnerung transportieren und weitergeben und insofern ist die Medialität oder sogar die Materialität der Erinnerungsträger von großer Bedeutung und wurde von unserem Sonderforschungsbereich als spezifisches Fallbeispiel durch diskutiert."
    Die Bandbreite der Souvenirs ist riesig. Eine Abgrenzung zum Kitsch ist offenbar kaum möglich. Denn das berühmte Eifeltürmchen ist für den einen schreckliche Dutzend-Ware, für den anderen ein echter Erinnerungs-Gegenstand. In der Moderne kann eigentlich fast jedes Ding zum Souvenir werden, erklärt Ulrich Schneider:

    "Jeder Mensch hat heute irgendein Souvenir zu Hause und es gibt viele Menschen, die Souvenirs sammeln, also das immer wieder erwähnte Eifeltürmchen oder so. Aber auch ganz merkwürdige Souvenirs, wie zum Beispiel zwei Jute Taschen die zum einen aus Eritrea, zum anderen aus Indien kommen, wo dann eine Darstellung drauf ist, wie das Flugzeug gerade in den World Trade Tower rast. Also für uns sehr schwer vermittelbar, wo man so etwas wie klammheimliche Freude über diesen Vorgang eigentlich nur annehmen kann. Und dann ganz sachlich vom Ground Zero eine Art Schneekugel, aber das ist jetzt so ei Halter für den Kugelschreiber, den man sich auf den Schreibtisch stellen kann, wo der Feuerwehrmann die amerikanische Flagge über Ground Zero hisst. Auch das sind so merkwürdige Auswüchse der Souvenirkultur im 20. Jahrhundert."