Dienstag, 19. März 2024

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Eine Lange Nacht über Gertrude Stein
"Ich mag das Gefühl von Wörtern, die tun was sie wollen"

Wer kennt nicht das eindrucksvolle Porträt, das der Fotograf Man Ray von der 53-jährigen Dichterin gemacht hat, das sie mit imposantem Cäsarenkopf zeigt. Und noch mehr ist mit dem Namen der Schriftstellerin ihr bekanntester Satz verbunden: "rose is a rose is a rose".

Von Astrid Nettling | 30.07.2016
Zweiter Weltkrieg: Paris, Frankreich - Schriftstellerin Gertrude Stein mit einem Offizier der US Army.
Zweiter Weltkrieg: Paris, Frankreich - Schriftstellerin Gertrude Stein mit einem Offizier der US Army. (imago)
Überhaupt - ein jeder, eine jede kennt Gertrude Stein, die sogenannte "Mutter der Moderne", weiß von ihrem Leben in Paris zusammen mit ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas, von ihren Freundschaften mit Künstlern wie Picasso, kennt ihren unsterblichen Satz "rose is a rose is a rose is a rose", und trotzdem zählt sie zu den ungelesenen Autoren der Moderne.
Süffisant hat jemand über sie formuliert, dass ihr literarisches ŒOeuvre "dem Leser das Gefühl vermittelt, als ungebetener Gast in der falschen Nacht ein dunkles Haus zu betreten". Und wer will schon bei einer solchen Tat ertappt werden?
Die Lange Nacht wagt diesen Versuch. Nicht als finsterer Eindringling, sondern in der Überzeugung, dass ihre Texte genug Offenheit und Strahlkraft besitzen, zu jedem zu sprechen, der bereit ist, sich auf sie einzulassen. Diese Strahlkraft des Steinschen Werks - aber nicht minder die ihrer Persönlichkeit - macht die Lange Nacht in unterschiedlichen Annäherungen erfahrbar, biografisch, literarisch, musikalisch, in Gesprächen mit Stein-Kennern und Stein-Liebhaberinnen.

"Rose is a rose is a rose is a rose", stand auf ihrem Briefkopf, ein Satz, paradigmatisch für die moderne, avantgardistische Literatur schlechthin. 1904 war Gertrude Stein, die in Amerika Psychologie, Medizin und Philosophie studiert hatte, zu ihrem Bruder Leo nach Paris gezogen.
Webtipps:
Klaus Reichert: "Gertrude Stein hat unendlich viel geschrieben, sie war ein Wesen, das man eigentlich als ein schreibendes Wesen bezeichnen kann, egal, wo sie war, wenn sie beim Garagisten war, ihr Auto hat reparieren lassen, saß sie in ihrem Auto dabei und hat geschrieben, geschrieben, geschrieben."
Webtipp:
Infos über Klaus Reichert, Literaturwissenschaftler und Essayist, Frankfurt
Klaus Reichert: "Sie ist wahrscheinlich deshalb so berühmt, weil sie als Figur so etwas Außergewöhnliches war, was nirgendwo hineingepasst hat. Sie kam ja sehr früh, Anfang des Jahrhunderts, nach Paris und hat sich sofort angefreundet mit den jüngsten Malern, die damals so aufgetaucht waren, Picasso, Matisse, Braque. Und diese Art, zu malen, hat sehr viel mit ihrem Schreiben auch zu tun. Sie war immer schon da, wo andere erst hinkommen wollten. Sie meinte im Gespräch mit der Virginia Woolf einmal, ich bin die populärste und berühmteste Schriftstellerin, die es gibt. Von populär kann natürlich überhaupt keine Rede sein, aber sie bildete sich ein, sie wäre das, weil ihre Texte doch so einfach wären. Sie wirken sehr naiv hingesetzt, aber sie war natürlich eine Frau, die sehr gebildet war, die Psychologie studiert hatte bei William James in Harvard, einer der führenden Philosophen, Psychologen, hat allerdings nie ein Examen gemacht. Am Tag ihres Examens schrieb sie ihrem Professor James. "Dear professor, I just don't feel like an exam today", und er schrieb ihr zurück: "I know exactly how you feel!" und hat ihr ein A, die beste Note, gegeben. Aber die Sache, die sie damals geschrieben hat über Experimentalpsychologie ist dann auch veröffentlicht worden und zeigt, welchen hohen Reflexionsgrad sie hatte. Sie ist also keineswegs diese naive Figur, als die man sie gerne hinnimmt, weil sie eine völlig andere Art zu schreiben hatte, wie sie niemand vor ihr und auch niemand nach ihr gehabt hat."
Heidrun Grote: "Ja, es ist wirklich der Aufbruch, so, wir sind da. Und wir fangen jetzt an, wir sind hier gelandet. Und wir fangen jetzt an."
Katja Butt: "Wir fangen an, weiter anfangen, immer wieder neu anfangen, oder immer wieder auf der Stelle tretend denselben Anfang anfangen. Das ist ein Stück über Sprache, wie genau gehen wir mit Sprache um oder welche Worte lösen was aus, was löst heute dieses Wort bei dir aus oder morgen bei mir. Wir denken immer, natürlich Deutsch ist unsere Muttersprache. Und wir kommunizieren einfach so miteinander und benutzen Worte, wo wir teilweise die Inhalte nicht mehr genau bestimmen können, weil sie so beliebig benutzt werden. Und darüber erzählt dieses Stück etwas. Über sicherlich etwas sehr Einfaches, wie gehen Menschen miteinander um mittels Sprache. Dieses "Weiter anfangen. Wir fangen an" erzählt über etwas, was wir permanent tun und schon immer getan haben, aber vielleicht auch mal kurz zu sagen: Stopp, kann man sich das noch mal angucken, was tun wir da eigentlich oder wie tun wir das eigentlich."
Katja Butt: "Ich kenne Texte von ihr aus meiner Studienzeit, ich habe Kunst studiert. Und in der Zeit habe ich ganz viel Beckett gelesen. Und über Beckett bin ich dann eben zu Gertrude Stein gekommen. Und da ich mich schon eher als Bildhauerin sehe, ist die Verbindung zu dieser Sprache einfach auch eine sehr physische, meiner Meinung nach ist es auch eine sehr bildhauerische Sprache, die sich tatsächlich im dreidimensionalen Raum irgendwie entfalten können muss."
Heidrun Grote: "Es war so ungewöhnlich, also, ich kann das nur so emotional sagen, dass es ein Zugang war, dass ich dachte, man ist das sperrig, aber irgendwas, da gibt es eine Ebene dahinter, die ist nicht so, dass mir eine schöne Geschichte erzählen möchte, sondern irgendwie mag ich auch Strukturen und ich mag auch ja, wie soll ich sagen, das ist ja fast mathematisch manchmal auch. Irgendwas hat mich da angesprochen, wobei ich auch sehr verliebt bin in Lyrik oder romantisch auch bin, irgendwas hat mich da angesprochen."
Katja Butt: "Es war insofern ein biografisches Interesse, dass es ja immer nicht so einfach ist, auch die Mütter für das zu finden, was mich jetzt interessiert. Also, deswegen über Beckett war die Frage, wo ist denn da vielleicht auch eine Mutter oder eine Frau. Insofern spielt das natürlich eine Rolle. Und dass sie Anfang des 20. Jahrhunderts ja doch schon ein ziemlich gewagtes, ungewöhnliches, autarkes Leben gelebt hat, hat sich überhaupt nicht irritieren lassen durch die Größen der Literatur- und Kunstgeschichte, sondern eben im Gegenteil so ganz harsche Maßstäbe gesetzt, mit denen sie auch beurteilt hat. Und das finde ich absolut mutig."
Anfangen also, wieder anfangen, immer wieder anfangen – und offen bleiben für den ureigenen Bewegungsspielraum der Wörter. Darum geht es auch an diesem Abend in der Studiobühne Köln: "Weiter anfangen. Wir fangen an", heißt das Stück, das die Schauspielerin und Regisseurin Heidrun Grote von c.t.201 – freies Theater Köln und die Bildhauerin Katja Butt mit Texten von Gertrude Stein in Szene gesetzt haben.
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Barbara Köhler: "Es gibt schon eine Übersetzung auch bei Suhrkamp. Und die ist nicht schlecht, das ist die Marie-Anne Stiebel, ich weiß gar nicht, von wann die ist. Ich glaube, die ist auch nicht fertig geworden, also, da hatte dann der Reichert noch daran gearbeitet. Und ist als Übersetzung ok, aber es war dann, ne, ne, das lese ich aber ganz anders. Es war eigentlich auch eine fantastische Arbeit, also, es hat Jahre gedauert, so was kann man nicht am Stück machen. Und ich glaube, vier Jahre oder so habe ich da gebastelt. Und es gab immer wieder Sachen, wo ich dachte, geht nicht, kannst du nicht. Es war wirklich auch so ein Leben mit dem Buch. Es gab auch Sätze, die waren von Anfang an so was von unklar, an die bin ich über vier Jahre einfach nicht rangekommen bis zum Schluss. Am Anfang denkt man immer noch, worauf hast du dich da eingelassen. Und da gibt's bestimmt einen Trick und irgendwann kommt einer von den großen Jungs und sagt: Hast du übersehen, ist alles ganz einfach und so, wir haben das Strickmuster gefunden. Nein, es gibt kein Strickmuster, das ist das unglaublich Schöne an diesen Texten, sie haben kein Strickmuster. Also, das zu lesen, da hatte ich so das Gefühl, ich verstehe eigentlich fast jedes Wort, aber ich verstehe keinen einzigen Satz, faszinierend. Und dann auch die Bewegung, die die Texte machen, sie halten einen trotzdem dran, es ist nicht stupid nonsense. Es macht was mit einem oder mit einer, dass man dran bleibt und versucht, bis man dann drin ist. Dann versucht man auch nicht herauszufinden, was ist das, sondern was mache ich damit, wie geht das. Schön."
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Infos über Barbara Köhler, Dichterin und Übersetzerin, Duisburg
Übersetzungen:
  • Gertrude Stein: zeit zum essen. eine tischgesellschaft. objects, food and portraits by Gertrude Stein (Audio-CD, 2001)
  • Gertrude Stein: Tender Buttons. Zarte knöpft (2004)
Thomas Jahn: "Mir geht es oft mit Gertrude Stein so, dass, wenn ich sie lese, sozusagen in ihr eigenes Universum eintauche. Und nachdem ich ein paar Übergangsschwierigkeiten hatte, komme ich ganz gut zurecht, ich tummel mich darin, ich tummel mich in dieser Literatur. Und wenn ich gesättigt bin, dann mache ich das Buch zu und bin dann wieder in der Literatur der Tageszeitungen und der Meldungen und der Fernsehnachrichten. Texte, die einen immer auf etwas anderes verweisen, man muss sozusagen in Richtung dieser Texte gehen. Und das ist nicht immer sehr erfreulich, es macht oft auch nicht Spaß. Und es macht auch lustlos. Und deswegen ist es wieder schön, dann zu Texten zurückzukehren, die nur da sind und allein dadurch, dass sie nur da sind, schon etwas von Lust verbreiten."
"Man könnte es vielleicht mit einem Mikadospiel vergleichen. Stellen Sie sich vor, jeder Stab ist ein Wort, und jede Farbe sind ähnliche Worte, und jetzt werfe ich dieses Mikadospiel aus, habe also übereinanderliegende Worte und versuche nun jetzt, ohne dass ich einen Mikadostab bewege, hier langsam diese Stäbe herauszunehmen. Da gäbe es das Wort "a", dann würde ich versuchen, einen nächsten zu nehmen, von vielleicht einer anderen Farbe und der hat das Wort "light". Und es gäbe ein weiteres, was so ähnlich ist wie das Mikado von "light", das wäre "white", und dann finde ich noch ein "a", und dann finde ich einen völlig anderen Mikadostab, der heißt "disgrace", und dann wieder ein "a", und ein "ink", ein "spot" und ein "a" und ein "rosy" und einen "charm". Und nun lege ich mir diese schönen Worte alle zusammen und dann habe ich: "A light white, a disgrace, an ink spot, a rosy charm". Verspielt, einfach und doch so komplex dabei."
Webtipp:
Infos über Thomas Jahn, Komponist, Hamburg
"Seit längerer Zeit interessieren mich Texte, die nicht auf so einer direkten Bedeutungsebene, sage ich jetzt mal, zu lesen sind oder zu verstehen sind. Und bei Gertrude Stein, da ist so ein Rhythmus, so eine Poesie in der Verwendung der Worte, das sind ja noch nicht mal Reime oder so. Aber es ist dermaßen musikalisch der Text an sich für meine Ohren, dass sich das geradezu aufdrängt. Wobei einen Text jetzt musikalisch zu lesen, zu hören, das ist ja noch mal was anderes, dann sozusagen die Musik dazu, daraus, damit zu machen. Und ich hatte vor allem im Auge, eine Sprachkomposition zu machen, weil ich da gar keine andere Übersetzungsmöglichkeiten ins Musikalische zunächst mal gesehen habe. Also, wie ich das kompositorisch, sagen wir mal, instrumental umsetzen sollte, wollte. Also, es hat sich mir eigentlich aufgedrängt, hauptsächlich mit Sprache zu arbeiten."
//I do love roses and carnations.
I do not mention roses.
A rose is a rose is a rose is a rose.
Lifting belly oh yes.
Lifting belly means me.
Lifting belly can please me because it is an occupation I enjoy.//
Inge Morgenroth: "Zu der Zeit hatten wir, glaube ich, auch in unserem Sortiment in der Lilith-Frauenbuchhandlung dieses "Lifting Belly", was ich auf jeden Fall damals schon gelesen habe. Ich fand ihn irgendwie anziehend, hin und wieder habe ich es in die Hand genommen, ist eigentlich ein ganz berührendes, schönes Buch. Und so fremd. So, das hatte ich immer im Hinterkopf behalten. Eigentlich erst vor fünf, sechs Jahren, ich kann nicht mehr sagen warum, jedenfalls habe ich das Buch wieder in die Hand genommen. Und es hat sich ganz schnell entwickelt so der Entschluss, diese Texte möchte ich verwenden für mein nächstes neues Stück. Ich hatte damals ein Stipendium in Norddeutschland. Und es gab da ein kleines Studio, sehr komfortable Bedingungen, es war mitten auf dem Land mit der entsprechenden Ruhe. Und so fing ich an mit "Lifting Belly", was dann, mein Stück heißt ja "Little connections", was sich aber natürlich sehr stark auf den Text "Lifting Belly" bezieht."
Webtipp:
Infos über Inge Morgenroth, Komponistin, Berlin