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Eine Lange Nacht über Rainer Werner Fassbinder
"Liebe ist kälter als der Tod"

Er war die wilde Energie des neuen deutschen Films; der "Satansbraten", wie er sich selber nannte, der zwischen Leben und Kunst keinen Unterschied machte. Das ruhelose enfant terrible, das schon an der nächsten Arbeit war, bevor die vorige herausgekommen oder grandios gescheitert war. Rainer Werner Fassbinder hat eine ganz eigene Filmsprache und ein Empfinden für Räume und Beziehungen entwickelt.

Von Markus Metz und Georg Seeßlen | 30.05.2015
    Schwarz-weißes Foto des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder bei Dreharbeiten.
    Rainer Werner Fassbinder bei Dreharbeiten. (dpa / aa / Frank Leonhardt)
    Viele Filmemacher in der ganzen Welt beziehen sich auf dieses Weltbild, das die intimsten Gefühle und die historischen Geschehnisse zusammenbringen kann. Gerne wäre er, bei allen seinen Talenten, noch zur Musik gekommen. Das und vieles andere wahrscheinlich verhinderte sein früher Tod. Fassbinder, der dieses Jahr 70 geworden wäre, hatte nicht allzu viel Zeit, zum Mythos zu werden.
    1982 starb er mit 37 Jahren. Mit vielen Originalzitaten, nicht nur aus Filmen, sondern auch aus Theaterstücken und Hörspielen, tritt die Lange Nacht gleichsam in einen Dialog mit dem wichtigsten Filmemacher im Deutschland der Nachkriegsgesellschaft - weniger nostalgisch als vielmehr zur Frage, was seine Arbeiten heute zu sagen haben.
    Hören Sie den Trailer zur Langen Nacht über Rainer Werner Fassbinder
    Rainer Werner Fassbinder war der große Einzelne im Neuen Deutschen Film. Auf den ersten Blick scheint es ein wenig paradox, dass ein Künstler, der so sehr bestrebt war, eine "Familie" um sich zu versammeln, der sich so offen und öffentlich nach Zuneigung und Anerkennung sehnte und der in seiner Arbeitswut eine ganz eigene Bilder- und Sprachwelt schuf, im Grunde immer solitär blieb. Künstlerische Nachfolger hat Fassbinder erst in Film- und Theatermachern gefunden, die mindestens eine Generation oder einen Kontinent von ihm entfernt waren. Auch deshalb wurde Fassbinders Tod 1982 nicht nur wie der Schlusspunkt eines Werks empfunden, das neben rund vierzig Kinofilmen zahlreiche Bühnenstücke, Fernsehproduktionen und sogar Chanson-Texte (für Ingrid Caven) umfasste, sondern auch wie ein Schlusspunkt eines aufregenden Kapitels deutscher Film-, Literatur- und Mediengeschichte.
    Trotzdem zeigt sich immer wieder die Aktualität seiner Arbeit. Filmemacher in Frankreich (wie François Ozon) oder Kanada (wie Xavier Dolan) haben keine Probleme, sich auf Rainer Werner Fassbinder zu berufen. Auf deutschen Bühnen werden Fassbinder-Stoffe so häufig wie nie zuvor gespielt. Ausstellungen und Retrospektiven belegen, wie viel Inspirationskraft da noch zu holen ist. Ganz zu schweigen von der großen Arbeit der Biografen, Kuratoren, Filmwissenschaftler und Kritiker, die als kollektive Erzähler an einem Fassbinder-Bild für heute arbeiten. Dieses Werk ist noch lange nicht ausgeschöpft.
    Die enorme Produktivität Fassbinders hängt mit seiner kolossalen Begabung zusammen, einen Film schon so gut wie fertig zu schreiben: Fast alles war schon in seinem Kopf, bevor die Dreharbeiten begannen, Kamerabewegungen, Lichtführung, Ausstattung. Und natürlich auch damit, dass alle seine Filme extrem persönliche Bekenntnisse sind - die eigenen Stoffe wie die Filme, die sich eine literarische Vorlage anverwandeln. Für Fassbinder gab es keinen Unterschied zwischen Leben und Kunst. Seine Filme sind das fortlaufende visuelle Tagebuch eines Menschen, der in sich unversöhnt das liebesbedürftige Kind, den psychischen "Satansbraten" und den von etwas kaputt gemachten Menschen sucht, was Fassbinder selber "das System" nannte. Die Gesellschaft, die Geschichte, die Familie, die Macht, das Geld, von allem etwas vielleicht. "Wie kaputt kann einen das System machen?" fragte er verzweifelt in einem Interview zu den Dreharbeiten von "Berlin Alexanderplatz". Wer ist dieser kaputtgemachte Mensch? Was ist dieses kaputtmachende System? Wie geht das Kaputtmachen von Menschen? Das sind die Fragen, die seine Filme stellen.
    So kann man seine Filme wohl entlang dreier sehr verschiedener Leitlinien durchstreifen: als eine lange magische Auto-Biografie; als Chronologie des deutschen Kleinbürgertums vom Faschismus bis in die ersten Krisen der Nach-Wirtschaftswunderzeit. Und als Suche nach den Ursachen einer Krankheit, nach diesem "System" einer Krankheit der Beziehungen und der Seelen, die ihn als Person fest im Griff hatte, die ihn, gewiss, zu Zeiten unausstehlich und bösartig machte und die in seinen Filmen noch jede Beziehung scheitern lässt. In Fassbinders Welt gab und gibt es kein Happy-End. Deswegen werden seine Filme mit der Zeit nicht versöhnlicher, wie es vielen Filmemachern ging, sondern sie werden im Gegenteil immer rebellischer.
    Markus Metz & Georg Seeßlen
    Links
    Robert Fischer (Hg)
    Fassbinder über Fassbinder
    Die ungekürzten Interviews

    2004 Verlag der Autoren
    Rainer Werner Fassbinder (1945-1982), Autor, Regisseur, Theatermann und Filmemacher, hat sich nie versteckt. Von Anfang an sprach er in Interviews mit Journalisten und Freunden unumwunden und ausführlich über sich selbst und seine Arbeit. Als wollte er die offen oder latent autobiografischen Elemente seiner Filme und Stücke durch persönliche Statements und Erläuterungen ergänzen oder korrigieren. Im Gespräch erwies sich Fassbinder immer als politisch hellwach, die gesellschaftlichen Verhältnisse mit Klarsicht analysierend und gnadenlos selbstreflexiv. Für das Verständnis seines Werkes ist die Lektüre der Interviews, die er im Laufe der Jahre gegeben hat, unerlässlich. Dieser Interviewband versammelt 25 Gespräche mit Rainer Werner Fassbinder, die zwischen 1969 und 1982 entstanden und somit die gesamte Karriere des wichtigsten deutschen Regisseurs nach dem Zweiten Weltkrieg abdecken. Das Besondere an dieser Veröffentlichung: Erstmals werden Schlüsselinterviews in voller, ungekürzter Länge wiedergegeben. Kernstücke sind u.a. Corinna Brochers legendäre Fassbinder-Gespräche über die Geschichte des antiteaters und Christian Braad Thomsens Befragungen zu "Warnung vor einer heiligen Nutte", "Satansbraten", "Chinesisches Roulette" und weiteren Filmen. Erstmals in deutscher Sprache gedruckt werden die wichtigsten Interviews, die Fassbinder englischen, amerikanischen und französischen Zeitschriften gegeben hat.
    Jürgen Trimborn
    Ein Tag ist ein Jahr ist ein Leben
    Rainer Werner Fassbinder

    2012 Propyläen
    Rainer Werner Fassbinder gehört zu den Großen des deutschen Nachkriegsfilms. Rastlos schuf er zwischen 1969 und seinem frühen Tod 1982 als Regisseur, Produzent, Schauspieler und Drehbuchautor ein umfangreiches Werk von mehr als vierzig Kino- und Fernsehfilmen. Damit schrieb er Filmgeschichte und verschaffte dem deutschen Kino zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder internationale Geltung. Der erfahrene Biograf Jürgen Trimborn legt nun die erste unabhängige, gründlich recherchierte Biografie des legendären Filmemachers vor. Fassbinder lebte für den Film, verzehrte sich für sein Werk. Wie kein anderer war er der Seismograf deutscher Befindlichkeiten der sechziger und siebziger Jahre. Seien es die Auswüchse des "Wirtschaftswunders", die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit oder der Terror der RAF mit seinen Filmstoffen sprach er zielsicher die Ängste und Tabus der Deutschen an. Nicht zufällig polarisierte er sein Publikum, lösten seine Filme heftige Diskussionen aus. Bravourös gelingt es Trimborn, die Filmbesessenheit, aber auch die Zerrissenheit und Exzentrik Fassbinders einzufangen.
    David Barnett
    Rainer Werner Fassbinder
    Theater als Provokation
    2012 Henschel Verlag
    Dass der große Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder seine Karriere eigentlich als Theatermann begann, ist den meisten seiner Fans eher unbekannt. 1967 stieß Fassbinder auf das Münchner Action-Theater und gründete kurze Zeit später zusammen mit Peer Raben das "antiteater", ein Gegenmodell zum Staatstheater. Fassbinder brachte seine späteren Filmdiven Hanna Schygulla und Irm Hermann mit, 1970 kam auch Margit Carstensen hinzu. Insgesamt entstanden bis 1974 sechzehn Stücke, u. a. "Bremer Freiheit" und "Die bitteren Tränen der Petra von Kant". Nach Zwischenstationen als Gastregisseur in Bremen, Bochum und Frankfurt war der nunmehr berühmt-berüchtigte Filmregisseur für eine Saison Mit-Intendant am Frankfurter TAT. Sein als antisemitisch umstrittenes (und erst postum uraufgeführtes) Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" löste einen wahrhaften Theaterskandal aus. In seinem spannend geschriebenen Theater- und Fassbinder-Buch beleuchtet David Barnett diese und weitere Details aus dem Leben des Regisseurs, wobei er sich großteils auf bisher unbekannte Quellen stützt.
    Harry Baer
    Schlafen kann ich, wenn ich tot bin
    Das atemlose Leben des Rainer Werner Fassbinder

    Kiepenheuer & Witsch, 1991
    Harry Baer
    Das Mutterhaus - Erinnerungen an die 'Deutsche Eiche'
    Männerschwarm 2001
    Harry Baer über das Mutterhaus der Fassbinder-Clique.
    Der Schauspieler und Autor Harry Baer, langjähriger Wegbegleiter und Co-Regisseur von Rainer Werner Fassbinder, erinnert in seinem neuesten Buch an eine Institution, die es nicht mehr gibt.
    Die Deutsche Eiche war mehr als nur eine Eckkneipe in München: Wohnzimmer, Ort der Geborgenheit und der Exzesse, Magnet für Künstler und Lebenskünstler, Inspiration und Unterschlupf, Sammelbecken der städtischen Vagabondage. All dem wird nun endlich ausgiebig gehuldigt. Die Gästeliste verrät legendäre Namen wie Curd Jürgens, Hanna Schygulla, Marianne Sägebrecht, Armin Müller-Stahl, Mario Adorf, Brigitte Mira, Günther Lamprecht, Maria Schell, Barbara Valentin, Freddy Mercury, Hark Bohm oder Richard Chamberlain ... um nur einige zu nennen.
    Musik von Peer Raben
    Fassbinder 1 - 3. Musik zu den Filmen von dem Regisseur Rainer Werner Fassbinder
    Alhambra A89381-3
    Antiteater's Greatest Hits
    Kuckuck 12034-2
    Cover-Versionen:
    Arbeit Fassbinder Raben
    CCn'C 04620