Freitag, 19. April 2024

Archiv


Eine langezogene Enttäuschung

Der Regisseur Stefan Kimmig, Jahrgang 1959, nimmt sich zwar gern des klassischen Materials an, lässt ihm dann aber die Intensität eines Gegenwartsdramas mit allen psychologischen Finessen angedeihen. Bei der Berliner Fassung von "Kabale und Liebe" dominiert allerdings dramaturgische Unentschiedenheit.

Von Hartmut Krug | 06.02.2010
    Nicht von ungefähr nannte Schiller "Kabale und Liebe" ein "bürgerliches Trauerspiel", denn in der tragisch endenden Liebesgeschichte zwischen dem adligen Ferdinand und der bürgerlichen Luise spiegelt sich mit der Entwicklung eines bürgerlichen Selbstbewusstseins ein zugleich emanzipatorischer wie schmerzhafter Prozess.

    Das noch heute viel gespielte Stück steht auch deshalb auf den Lehrplänen der Schulen. Auf der Theaterbühne aber verlangt es einen deutlichen interpretatorischen Zugriff: Hier wirkt es nicht als historisch erklärendes Dokument, sondern durch eine Spielweise, die die, wenn auch veränderte, Gegenwärtigkeit seiner Konflikte in unserer Zeit zu verdeutlichen vermag. In Leipzig hat Konstanze Lauterbach in den 90er-Jahren mit dem Stück eine marode, sich auflösende Gesellschaft gezeigt, in der alle Figuren auch in der Liebe nur um Besitz kämpfen. Michael Thalheimer hat Anfang unseres Jahrhunderts in Hamburg von Selbstverwirklichungsversuchen einsamer Menschen erzählt, und Martin Nimz hat in Cottbus im Schillerjubiläumsjahr 2005 von der Kommunikationsunfähigkeit zwischen Armen und Reichen in unserer Gesellschaft berichtet. Vor allem aber gibt es Inszenierungen, die das Stück als zeitlose Liebesgeschichte oder es als fast reißerischen Krimi anschärfen.

    Nichts davon, oder schlechter, alles davon, aber nur irgendwie, steckt in Stephan Kimmigs Inszenierung, der die sozialen Unterschiede seiner Figuren nicht auf der Bühne zeigt, sondern im Programmheft erklären lässt, - mit Texten über gesellschaftliche Ausgrenzung und Eliten. Dass die Figuren in dieser Inszenierung verschiedene soziale Lebensumstände und damit ein jeweils anderes Bewusstsein haben, wird im Spiel keinen Augenblick deutlich.

    Bühnenbildnerin Katja Haß hat die Bühne als eine Art Baumarkt-Schauraum gestaltet: die Bühne ist ein leeres Zimmer aus heller Hartfaser, dessen Wände, Boden und Decke mit unzähligen Türen versehen sind. Auf dieser sperrhölzernen Undeutlichkeitsmetapher wird nun von den jungen Leuten viel herumgeturnt, mal kommt man von oben links, mal von seitlich unten rechts, und später rotieren einzelne Elemente der Wände. Das ergibt bildhafte, aber nicht sinnhafte Effekte, oder im besten Fall, wie oft bei Kimmig, plakative Szenen, so, wenn Ferdinand und Luise sich im Liebesschwang mit einer Wand drehen, auf der sich hoch oben der Intrigant Wurm festklammert.

    Alexander Khuon gibt diesen Wurm als ein in sein Kostümfutteral gepresstes blasses Klischee, währende Ole Lagerpusch seinen Ferdinand zwischen statischer Unbeweglichkeit und expressiv übersteigerten, sprachlich-gestisch undeutlichen Ausbrüchen schwanken lässt. Lisa Hagmeister zeigt den inneren Zwiespalt ihrer in einen Business-Hosenanzug gekleideten Lady Milford durch ein merkwürdiges körperliches und sprachliches Taumeln, während Claudia Eisinger ihrer Luise einerseits eine innere Standhaftigkeit, andererseits aber mit einer Flenn-Fleppe auch allzu viel mimische Zerknautschtheit mitgibt. Im Zentrum aber steht Ulrich Matthes als Präsident von Walter als ein Manager der Macht, der seine Haltungen mit Schillers Text wunderbar versinnlicht, - wobei nur wenig stört, dass man Matthes´ Darstellungsweise aus anderen Rollen zu kennen glaubt.

    Die Schwäche des Abends rührt nicht nur aus der leeren Stärke des Bühnenbildes, sondern auch aus der dramaturgischen Unentschiedenheit der Regie her. Es scheint durchaus sinnvoll, die Figur von Luises Mutter zu streichen, weil Kimmig sowohl die enge Vaterbindung Luises als auch eine gestörte Liebe Ferdinands zu seinem Vater zeigt. Doch wenn der alte Diener gestrichen wird, der bei der Übergabe von fürstlichen Juwelen an die Milford dieser vom Elend der Menschen erzählt, und sein Text von der Kammerzofe beiseite gesprochen wird, oder wenn in der Sterbeszene Ferdinand Luises Vater zwar Geld gibt, dieser aber nicht mehr wie bei Schiller begeistert berufliche Pläne macht und die Tochter darüber fast vergisst, dann sind soziale oder ökonomische Begründungen für die Konflikte ignoriert und verschenkt.

    Was bei einer Inszenierung, die sich über drei weitgehend spannungslose Stunden hinzieht und zum Beispiel die Sterbeszene unverhältnismäßig langsam auswalzt, denn doch überrascht. Wie auch die Tatsache enttäuscht, dass es Stephan Kimmig weder gelang, eine einleuchtende Begründung für die Wahl von "Kabale und Liebe" zu finden, noch die Schauspieler zu einem homogenen Ensemble zu formen. So blieb der Abend eine langgezogene Enttäuschung.