Dienstag, 23. April 2024

Archiv


"Eine militärische Lösung in Afghanistan ist gescheitert"

Eine "Stärkung der Zivilgesellschaft" sei nötig, um den Taliban die Argumentationsgrundlage zu entziehen, sagt Thomas Ruttig, der Afghanistan sehr gut kennt. Er hofft, dass die Bundesregieung vor der Londoner Konferenz "einige Überraschungen" präsentiert.

Thomas Ruttig im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 26.01.2010
    Stefan Heinlein: Es sind nur wenige Stunden, die sich die internationale Staatengemeinschaft Ende dieser Woche Zeit nimmt, um in London über eine neue Afghanistan-Strategie zu beraten. Dennoch werden von dieser Konferenz wichtige Impulse erwartet. US-Präsident Barack Obama fordert von den Verbündeten mehr Anstrengungen, und das heißt vor allem mehr Geld und mehr Truppen. In Deutschland laufen die Vorbereitungen für London auf Hochtouren. Gestern Abend ein Treffen im Kanzleramt. Vor dieser Sendung hat mein Kollege Tobias Armbrüster mit dem Afghanistan-Experten Thomas Ruttig gesprochen und ihn zunächst gefragt, ob die geplante Truppenaufstockung ihn zuversichtlich stimmt.

    Thomas Ruttig: Nicht wirklich. Ich glaube, dass die Erhöhung der Truppenzahl, die sich da jetzt andeutet, symbolisch ist, vor allem in zwei Richtungen: einmal als Geste gegenüber den Bündnispartnern, vor allen Dingen den Vereinigten Staaten, die ja mehr Engagement gefordert haben, aber auch für die Innenpolitik natürlich.

    Tobias Armbrüster: Was müsste stattdessen passieren?

    Ruttig: Eine militärische Lösung in Afghanistan ist gescheitert. Insofern geht es jetzt nicht vorrangig darum, mehr Truppen nach Afghanistan zu schicken. Wir brauchen ein Umdenken in der Strategie, viel grundlegender, als das sich bis jetzt andeutet. An eine politische Lösung zum Beispiel mit den Aufständischen in Afghanistan, auch wenn das sehr schwer und kompliziert werden wird, sollte gedacht werden und insofern ist, was jetzt in der Diskussion ist von Karzai, dem afghanischen Präsidenten vorgeschlagen und unter anderem auch von der Bundesregierung aufgegriffen, Taliban-Mitläufern finanzielle Anreize zu bieten, die Seiten zu wechseln, auch zu wenig.

    Armbrüster: Aber es wird zumindest angedeutet, dass das künftig ein Schwerpunkt in der Afghanistan-Politik sein soll. Ist das nicht ein Zeichen für Hoffnung?

    Ruttig: Ja, es ist zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Aber so weit ich die Taliban sehe, haben sie sich relativ stark konsolidiert in den letzten acht, zehn Monaten, auch unter dem starken militärischen Druck der USA, und es wird sehr schwierig sein, einzelne Kämpfer aus diesem Bündnis herauszubrechen, weil sie eben nicht nur wirtschaftlich motiviert sind, sondern wir haben es da mit einem ganzen Bündel von Motiven zu tun und dabei ist auch eine sehr starke Ablehnung dessen, was viele Afghanen als Okkupation ihres Landes sehen.

    Armbrüster: Sie haben ja nun selbst mehrere Jahre in Afghanistan gearbeitet. Wie kann man sich das denn praktisch vorstellen? Wie kann man einen Taliban-Kämpfer dazu bewegen, die Seiten zu wechseln?

    Ruttig: Ja, da habe ich selber auch Fragezeichen. Es hat so was in den vergangenen Jahren gegeben. Es gab ein afghanisches Regierungsprogramm, das, man kann noch nicht mal sagen, nicht erfolgreich war, sondern es ist grandios fehlgeschlagen. Da sind große westliche Mittel reingeflossen, aber vieles ist in korrupten Kanälen versickert. Ich hoffe nur, wenn solch ein Programm jetzt neu aufgelegt wird oder unter neuem Namen, dass die Kontrollen dann viel stärker sind darüber, was mit dem Geld genau passiert.

    Armbrüster: Sie haben jetzt auch kritisiert die Aufstockung des deutschen Kontingents als bloße Symbolpolitik. Ist denn die Sicherheit nicht das eigentlich Notwendige? Hängt in Afghanistan nicht alles von der Sicherheit ab und muss man deshalb nicht den Sicherheitsbereich stärker betonen?

    Ruttig: Das ist schon richtig. Viele Afghanen wünschen sich mehr Sicherheit, aber sie haben sehr viele Versprechungen gehört über die vergangenen Jahre von Seiten der westlichen Regierungen, dass die Bevölkerung stärker geschützt werden soll. Oft sind Gebiete von Taliban befreit worden, dann hat man die Soldaten zurückgezogen, die Taliban sind wieder nachgestoßen. Die haben dort ein Heimspiel und sind viel stärker präsent in der Fläche als die internationalen Truppen. Insofern können mehr Truppen nur eine unterstützende Rolle haben. Für Kundus, wo die deutschen Soldaten stationiert sind, macht das sicher Sinn, dort für mehr Stabilität zu sorgen, aber das ist auch nur eine vorübergehende Sache, die erreicht werden kann. Wir brauchen eine grundsätzliche Lösung.

    Armbrüster: Höre ich da bei Ihnen Anzeichen von Resignation, was die deutsche Politik angeht?

    Ruttig: Nein, mit Resignation hat das nichts zu tun, aber ich würde mir wünschen, dass die jetzt ja schon drei Stunden dauernde Sitzung im Bundeskanzleramt ein Zeichen dafür setzt, dass wir morgen vielleicht doch noch mit einigen Überraschungen in positiver Richtung rechnen können. Bis jetzt scheint mir das, was sich andeutet, noch nicht weit genug zu gehen.

    Armbrüster: Liegt das möglicherweise alles daran, dass sich Deutschland international sehr unter Druck befindet?

    Ruttig: Ja, damit hat es sicher auch zu tun, aber wir dürfen nicht vergessen, dass Deutschland sowohl was die Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan betrifft, auch die Zahl der Truppen, die entsandt worden sind, ja ein großer Player ist und da gibt es sehr große Erwartungen von Seiten der Afghanen vor allem auch. Ich hoffe, dass vor allen Dingen in Fragen Demokratisierung in Afghanistan mehr von deutscher Seite getan wird: Stärkung der Zivilgesellschaft. Das ist nötig, um den Taliban auch ihre Argumentationsgrundlage zu entziehen, die ja häufig darauf rekurriert, dass A die afghanische Regierung korrupt ist und B von Warlords dominiert wird.

    Heinlein: Der Afghanistan-Experte Thomas Ruttig im Gespräch mit meinem Kollegen Tobias Armbrüster.