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Eine Million mal dünner als ein Blatt Papier

Physik.- Dem Physiker Andre Geim genügte 2004 ein Bleistiftstrich und ein Stückchen Klebeband. Die Graphit-Kristalle des Striches lieferten das Rohmaterial, von dem Geim mit dem Klebestreifen dünne Schichten abhob. Das Ergebnis: ein wabenartiges Netz aus Kohlenstoff-Atomen: Graphen hieß der neue Werkstoff fortan.

Von Ralf Krauter | 06.04.2010
    Graphene sind Filme aus Kohlenstoff, die gerade mal eine Atomlage dick sind. Dass ihre Entdeckung 2004 für Goldgräberstimmung sorgte, liegt daran, dass die maschendrahtähnlichen Gebilde nicht nur extrem stabil sind, sondern auch hervorragende Strom- und Wärmeleiter. Elektronen bewegen sich erstaunlich mühelos durch das Kohlenstoffnetz. Das könnte den Weg für Elektronikbauteile ebnen, die 100 mal schneller schalten als die Mikrochips heutiger Mobiltelefone und Satellitenempfänger.

    Doch dazu braucht es erstmal ein Verfahren, um den neuen Wunderwerkstoff im großen Stil herstellen zu können. Mit Bleistiftstrichen und Klebeband kommt man da nicht weit, erklärt Professor Thomas Seyller vom Lehrstuhl für technische Physik der Universität Erlangen-Nürnberg.

    "Also diese so genannte Scotch-Tape-Methode, die ist natürlich nur geeignet für die Herstellung von Graphen im Labormaßstab."

    Bei Elektronikkonzernen und anderswo forscht man deshalb seit Jahren an Methoden, um Graphen möglichst großflächig herstellen zu können. Erste Erfolge gibt es bereits. Der koreanische Displayhersteller Samsung zum Beispiel hat kürzlich DIN-A4-große Graphenschichten präsentiert, bei denen die Kohlenstoffatome auf eine transparente Unterlage aufgedampft wurden.

    "Das ist ein Wunsch, das Graphen möglichst großflächig herzustellen, um damit zum Beispiel Laptop-Displays zu bauen, die eine leitfähige transparente Elektrode benötigen. Hier wird in der Regel Indium-Zinn-Oxid verwendet. Und da gibt's ein Weltmarktproblem. Indium ist eine begrenzte Ressource."

    Weshalb alternative Materialien wie Graphen gefragt sind. Für den Bau schneller Schaltkreise ist das Ergebnis der Bedampfung mit Kohlenstoff aber noch zu inhomogen. Nicht selten entstehen dabei gleich mehrere Lagen des Werkstoffs. Bei Displays stört das nicht unbedingt, bei Elektronikbauteilen dagegen schon. Der Graphen-Experte Thomas Seyller setzt deshalb auf eine andere Herstellungsmethode.

    "Wir versuchen Graphen auf Silizium-Carbid herzustellen, möglichst großflächig mit optimalen Eigenschaften. Das hat den Vorteil, dass es auf einem isolierenden Substrat vorliegt, und das kann man direkt dann für elektronische Bauelemente verwenden."

    Silizium-Carbid ist ein aus Silizium und Kohlenstoff bestehender Werkstoff, der heute schon bei manchen Elektronikkomponenten zum Einsatz kommt. Heizt man eine Scheibe davon auf 1650 Grad Celsius auf, bildet sich auf ihrer Oberfläche innerhalb von 15 Minuten eine einlagige Graphenschicht.

    "Durch Erwärmen zu sehr hohen Temperaturen wird das Silizium-Carbid an der Oberfläche zersetzt. Und das Silizium verdampft, wenn man so will. Der Kohlenstoff auf der anderen Seite bildet bei diesen Temperaturen stabile Bindungen. Und es scheidet sich auf diese Art und Weise eine Graphenlage ab."

    Natürlich ist alles viel komplizierter und der Prozess das Ergebnis jahrelanger Optimierung. Derzeit erzeugen die Physiker nur zentimetergroße Proben, im Prinzip ließen sich mit dem Verfahren aber auch ganze Wafer beschichten – und zwar mit Geräten, die bei der Chipherstellung Standard sind. Klingt gut. Nur leider habe in Deutschland bislang kein Mikroelektronikhersteller das Potenzial der Technologie erkannt, beklagt Thomas Seyller.

    Ganz anders in den USA, wo Firmen wie Intel die Entwicklung graphen-basierter Hochfrequenz-Schaltkreise voran treiben. Der Computerriese IBM präsentierte kürzlich Graphen-Transistoren, die 25 Milliarden Schaltvorgänge pro Sekunde schaffen. Produktionsdetails sind nicht bekannt. Da eine Silizium-Carbid-Scheibe als Ausgangsmaterial diente, muss das Graphen aber ähnlich entstanden sein, wie in Erlangen-Nürnberg. Ist der anhaltende Hype um den neuen Wunderwerkstoff also gerechtfertigt?

    "Man muss prinzipiell mit solchen Hypes immer vorsichtig sein. Weil es gibt viele Materialien, die schon als Wundermaterial gehandelt wurden und dann nicht das gehalten haben, was versprochen wurde. Aber ich bin zuversichtlich, dass das Graphen seinen Weg in die Anwendung finden wird und in der Zukunft im Bereich der Elektronik eine wichtige Rolle spielt."

    Damit Deutschland dabei nicht den Anschluss verliert, hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft ein Schwerpunktförderprogramm aufgelegt, in das in den kommenden sechs Jahren rund 15 Millionen Euro fließen.