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Eine Mittsommernacht - mehr nicht

Der Regisseur Armin Holz gilt als exzentrisch. In Neuhardenberg brachte er nun Strindbergs "Fräulein Julie" mit Stars wie Libgart Schwarz oder Sibylle Canonica auf die Bühne - und das als elegantes Konversationsstück in fein abgezirkelter Gestik. Langeweile pur oder doch Theater mit Tiefgang?

Von Hartmut Krug | 16.08.2010
    Strindberg bezeichnete "Fräulein Julie" als naturalistisches Trauerspiel und ließ es in der detailreich beschriebenen Küche des Grafen, Julies Vater, spielen. In Neuhardenberg sitzt das Publikum vor der Rückwand eines klassizistischen Schlosses und erlebt ein symbolistisches, zeit- und ortloses Traumspiel, bei dem die soziale Stellung der drei Figuren undeutlich bleibt, bleiben soll. Der Maler Matthias Weischer steuerte einige plakative Bühnenutensilien bei: auf der einen Seite der Veranda eine Bank in Fischform (wegen der die Inszenierung mitbestimmenden christlichen Symbolik) und auf der anderen eine Art Sprungbrett mit Treppe und aufgemalter phallischer Fliederblüte, dazu ein schwedisches Liedzitat an der Wand des Schlosses, - alles überdeutlich, hässlich und extrem dysfunktional.

    Regisseur Armin Holz und Dramaturg Gerhard Ahrens haben einerseits Strindbergs Text heftig gekürzt, ihm andererseits zahlreiche Fremdtexte eingefügt, von Keller, Heine, aus der Apokalypse und wohl auch aus der "Salome" von Richard Strauß. Diese kopfig bildungshuberische Fassung macht das Stück, selbst in der Übersetzung von Peter Weiss, weder heutig noch in seinem Spiel der moderaten Stimmungsschwankungen spannend. Was uns die Inszenierung letztlich erzählen will, bleibt unklar, ja, sie wirkt eher manchmal unfreiwillig komisch, sogar der neudeutsche Begriff "fremdschämen" drängt sich auf.

    Der knapp einstündige Abend beginnt mit dem Salome-Gedicht von Gottfried Keller, mit dem Köchin Kristin das ihr in der Mittsommernacht mal wieder verrückt erscheinende Verhalten Julies erklärt:

    "O ihr teuren Gespielen!
    Überlasst mir den stolzen Mann!
    Er soll seh´n, wie die Liebe
    Ein feurig´ Schwert werden kann!
    "
    Libgart Schwarz spielt die Kristin weniger als eine Konkurrentin Julies denn als eine zeigefingerig kommentierende und anspielungsreich zitierende Denkfigur, die Strindbergs Vorurteile und Frauenhass deutlich macht. Sie ist bodenständig, klar und einfach.

    Eine Köchin, ein Diener und eine junge, adlige Herrin, allein in einer Mittsommernacht: das ergibt bei Strindberg sozial begründete Beziehungs- und Macht- und Geschlechterkämpfe. Der Autor schrieb ein reaktionäres Anti-Emanzipationsstück, das dennoch ungemein präzise soziale und emotionale Beziehungen sowie unterschiedliche Lebensvorstellungen beschreibt. Der Diener träumt vom Aufstieg, Julie vom Fallenlassen in die Liebe. Hier will jeder, indem er den anderen benutzt, vergeblich heraus aus seiner Situation.

    Armin Holz inszeniert das Stück als christlich-apokalyptisches Modell um Schuld und Leidenschaft. Seine Darsteller, deutlich, aber folgenlos älter als von Strindberg vorgesehen, zeigen nur temperierte Gefühle und markieren allenfalls Heftigkeit oder Aggression. Lieber singen sie, brechtianisch, aber nicht immer stimm- und tonsicher, die uninspirierten Lieder von Lisa Bassenge. Dabei ertönt ein schwedisches Mittsommernachtslied gleich mehrfach, auf schwedisch wie auf Deutsch, das von kleinen Fröschen und Schweinen erzählt und mit sexuell peinlich neckischer Gestik dargeboten wird:

    "Sowohl Ohren, sowohl Ohren
    als auch Schwänze haben sie.
    A nöff-nöff-nöff, a nöff-nöff-nöff,
    a nöff-nöff-nöff, a nöff-nöff-nöff-nöff,
    a nöff-nöff-nöff-nöff.nöff."


    Sibylle Canonica tänzelt und flirrt als Julie im weißen, schleierartigen Kleid so auf- wie überdreht. Man erlebt eine mimisch starre Schauspielerin, die ihre Arbeit macht, ohne ihre Figur in den Griff zu bekommen. Wie ihre Salome für den Sommertheater-Gebrauch bleibt uns auch Sylvester Groths statt in Dienerlivree in weißer Sommerkleidung auftretender Diener Jean fern. Groth spielt mit kühler Distanz eine so präzise wie eng angelegte Konversationsfigur. Kein sexuelles Begehren, nur elegante Leichtigkeit, als fühle sich der Darsteller im falschen Stück. Nachdem Julie sich Jean hingegeben hat und in existentielle Not gerät, ändert sich der Konversationston der Inszenierung nicht. Auch Julies Selbstmord findet nicht statt: alle drei gehen ins Haus, - es war halt eine Mittsommernacht, mehr nicht.

    Wir aber hoffen, dass uns Regisseurin Katie Mitchell mit ihrer Inszenierung von "Fräulein Juli" Ende September an der Berliner Schaubühne verdeutlicht, warum Strindbergs Stück in dieser Spielzeit wieder öfter gespielt wird.