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Eine monolithische, immer schlaffer werdende Inszenierung

Intendant Martin Kusej präsentierte die Premiere seine Inszenierung von Ibsens "Hedda Gabler" am Münchner Residenztheater. Mit Birgit Minichmayr in der Titelrolle. Ein Stück, das keinen Halt gibt, meint Rosemarie Bölts.

Von Rosemarie Bölts | 27.10.2012
    Irgendwie stimmt es von Anfang an nicht. Obwohl die Rollen doch so klar verteilt sind. Im Mittelpunkt steht General Gablers Tochter "Hedda", dieser eiskalt gelangweilte Teufel, um den herum sich der staubtrockene, nichtssagende Kulturwissenschaftler Jorgen Tesman, die unbescholtene, herzensgute Thea Elvsted, der verschlagene Richter Brack und das erfolglose Genie Ejlert Lovberg gruppieren. Wie eine Spinne im Netz wird Hedda in ihrem großen Ennui die Fäden ziehen und sie alle zappeln lassen. Wobei am Schluss dann doch alles daneben geht, Lovberg eben nicht nach Heddas Regieanweisung "schön" stirbt, sie sich spontan selbst erschießt, und die anderen wieder ihrem scheinheiligen Alltagstrott nachgehen können.

    Doch erst einmal kommen Hedda und Tesman von ihrer sechsmonatigen Hochzeitsreise in die neu angemietete Villa, wo einmal das großbürgerliche Leben stattfinden soll. Tesmans etwas tüdelige Tante empfängt sie mit einem Geschenk, über das sich auch nur der kleine Jorgen freuen kann, denn Konvention ist hier eben alles, und der frisch vermählte Tesman von Anfang an der Pantoffelheld:

    "Nein, hast du mir die wirklich aufgehoben! Hedda, ist das nicht wirklich rührend! - Ja, lieber Tesman, was. - Meine alten Hausschuhe, meine Pantoffeln, zieh sie dir bloß mal an, Hedda! - Für so was interessiere ich mich wirklich nicht. - Aber du ahnst ja nicht, welche Erinnerungen an ihnen hängen."

    Hedda wird nicht müde, zu demonstrieren, dass sie "geboren wurde, um sich zu Tode zu langweilen". "Die Heirat ist wie eine Leibrente", erklärt sie dem enttäuschten Lovberg, nachdem sie sich "müde getanzt" habe, sei "ihre Zeit eben um" gewesen. Soweit zum weiblichen Selbstverständnis in Ibsens Zeit. Einmal gelangweilt, immer gelangweilt. Hedda Gabler kennt keinen anderen Ausweg als den, ein einziges Mal in ihrem Leben über ein anderes Schicksal zu herrschen. In diesem Fall über das des heruntergekommenen Wissenschaftsgenies Lovberg, der mit seinen bahnbrechenden Publikationen ihrem Ehemann die anstehende Professur und damit ihren Lebensstandard - von wegen "Leibrente" - gefährdet:

    "Ich möchte Ihnen jetzt noch was anvertrauen. Dass ich Sie damals nicht erschossen habe, an jenem Abend, das war nicht meine schönste Seite. - Hedda, es war doch mehr, es war Gier nach Leben! Es war Liebe! - Nehmen Sie sich in Acht! Glauben Sie bloß das nicht!"

    Was aber soll man in dieser Aufführung glauben? Auch die Bühne gibt keinen Halt. Ein schwarzes Loch, bestückt nur mit einem Stapel durcheinander geworfener Stühle auf der einen Seite und einer weißen Wand mit einer Reichtum zeugenden, hohen Doppeltür auf der anderen Seite, natürlich mit Milchglas, also auch undurchsichtig. Die Schauspieler sind gezwungen herumzustehen, es gibt nichts, wo man sich - im doppelten Sinn - einrichten könnte, außer in den gewohnten Konventionen zu funktionieren. Disparat wie das konträr zu den historischen Kostümen moderne Bühnenbild wirkt aber auch das zwischenzeitliche Lagerfeuer, in dem Hedda heimlich das wertvolle Manuskript Lovbergs verbrennt. Ja, "La" Minichmayr, die schon im Vorfeld umjubelte Birgit Minichmayr, trifft vollends den Ton der bösartigen Blasiertheit, die sie als Hedda Gabler ausstrahlt. Nur: Gut ist nicht gut genug. Die "existenzielle Dimension", mit der Regisseur Martin Kusej die Aufführung von "Hedda Gabler" gerechtfertigt hat, das absolut Abgründige, teilt sich in dieser monolithischen, immer schlaffer werdenden Inszenierung nicht mit. Das Münchner Publikum jubelte. Es wollte den Ennui, nun hat es ihn.